Scooter und der Frontmann H.P. Baxxter haben am Samstag in der Porsche-Arena gespielt. Ein Feuerball ... Foto: Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttgart

Unsere Autorin hat sich aufs Scooter-Konzert in der Stuttgarter Porsche-Arena gewagt - und eine Mischung aus Familienausflug, Malle-Trip und Feuershow angetroffen. Klar: einen Fotografen haben wir auch hingeschickt.

Stuttgart - Es ist eine kalte Nacht in Bad Cannstatt, Menschenmengen drängen sich vor den Eingang der Porsche-Arena, Bierflaschen säumen ihren Weg. Eine nervöse Spannung liegt in der Luft. Ich fühle mich ein wenig fehl am Platz. Nur noch wenige Minuten und mir blüht ein Konzert, das ich eigentlich nicht besuchen würde. Ein komisches Gefühl, auch wenn hier nicht von Unbekannten die Rede ist, sondern von einer Band, die mich schon mein halbes Leben lang begleitet und die ich mit meiner Jugend in den 90ern verbinde.

Scooter waren irgendwie immer da – so ganz nebenbei, in den Charts, im Radio. Ein Trio, das mich nostalgisch werden lässt. „Always hardcore“, schallt es dabei durch meinen Kopf. Ja, gleich spielen Scooter – 23 Top Ten Hits, 30 Millionen verkaufte Tonträger und über 90 Gold- und Platin Awards weltweit. Zum 20-jährigen Bestehen will es die Band nochmal wagen und wissen und voll auf die Zwölf hauen, heißt es zumindest in der Ankündigung.

Ich bin gespannt und überrascht, denn H.P Baxxter und Co. spielen gleich vor ausverkauftem Haus. Das hätte ich nicht erwartet. In meinem Hip-Hop-Mekka Stuttgart Raver vereint unter einem Dach zu erleben – schon witzig. Ja, aber warum auch nicht. Gerade jetzt sollte „open-minded“ doch mehr denn je selbstverständlich sein. Anderes Thema.

Familienausflug zu Scooter

Während ich mich also so umschaue, sehe ich Alt-Raver mit bunten, bedruckten Shirts – selbstverständlich in Neon-Schrift; Schnösel, die dekadent an ihrem Sekt nippen; vermeintliche Mallorca-Urlauber, die ein Gruppenselfie nach dem anderen schießen; Großeltern und Eltern mit ihren Kindern, die sich genau dieses Konzert als – äh – Familienausflug ausgesucht haben. Jedem das Seine. Sicher ist: hier wartet ein bunter Strauß an feucht-fröhlichen Fans auf Feierei.

Geschoben von der Masse, lande ich in Block 14, mit bestem Blick. Die Cola geht runter wie Öl, die ersten Eindrücke bleiben haften. Ist da gerade wirklich ein Mann um die 50 mit einem Hyper-Hyper-T-Shirt an mir vorbeigelaufen? Ich denke mir: Why not?! Schließlich ist Frontmann H.P. Baxxter auch schon 52 und seine Fans sind eben mitgealtert. Und was heißt überhaupt gealtert, oder alt? Wenn’s Spaß und glücklich macht, ist es richtig.

Okay, ich gehe zurück an meinen Platz, zum Zeitvertreib beäuge ich weitere Outfits der Gäste. In unmittelbarer Nähe entdecke ich Shirts mit der Aufschrift „Army of hardcore“ oder „Who the fuck is H.P. Baxxter?“, weiter entfernt stechen mir Neon-Knicklichter in Form von Hasenohren ins Auge. Dann wird es dunkel. Mit einem Donnerschlag, der es in sich hat, ja, fast schon einem Urknall, geht es los.

"Weeeekeeeeend"

Lichter aus, Spots an – die Nerven liegen blank. Was war das denn? Sollte man in Zeiten von Terror und Angst, ein Konzert wirklich auf diese Weise beginnen? Ich wundere mich, die anderen scheinbar nicht. Stattdessen wird lieber „Oi, fucking, oi“ gegrölt und mit der Faust vor und zurück gebounct. Während Flammen aus dem Bühnenboden schießen, Laser völlig verrückt spielen und H.P. neben seinen Mitstreitern Michael Simon mit Phil Speiser auf der Bühne, in deren Mitte sich eine Treppe befindet, wie ein blondierter Glitzer-Flummi hin und her hüpft, verwandelt sich die betüddelte Fan-Base in eine ekstatisch ravende Feier-Meute.

Spätestens beim Song „One (always hardcore)“ gibt es kein Halten mehr. Die Ränge werden in Grund und Boden geshuffelt. Wer braucht schon Fluchtwege?! Selbst der Scooter-Frontmann kann nicht anders und muss sich die nietenbesetzte Lederjacke vom Leib reißen, um in einem schwarzen Shirt mit einem Glitzer-Totenkopf vorne drauf, weiter Vollgas zu geben. „You wanna kick some as?“, hört man Baxxter dann fragend in die Runde schreien – ergänzt durch ein „Scooter is in the house – weeeeeekeeeeeend.“ Herrlich und an einfacher Poesie nicht mehr zu überbieten.

Mit dem Lärmpegel steigt leider dann ganz und gar nicht unbemerkt auch der Alkoholpegel. Männer mit gleich fünf Bechern Bier schwanken sich von ihren Plätzen weg und wieder zurück. Wer’s braucht?! An diesem Abend wohl so ziemlich alle. Egal.

Vorsatz: nicht erblinden

Ich konzentriere mich auf die Bühne und versuche, nicht zu erblinden. Das Lichterspektakel: Wahnsinn! Diese Texte - „Respect to the man in the icecream van“ oder „How much is the fish?“ - toll. Ich sehe es von der humoristischen Seite und habe richtig Spaß. Und bin außerdem davon überzeugt, dass es mir viele, vor allem jüngere Gäste, gleichtun und schon mit einer gewissen Ironie ihre Tickets gekauft haben.

So wie Laura zum Beispiel, die mir nur schmunzelnd zuruft: „Naja, ich bin halt always hardcore.“ Ist das ’ne Gaudi hier.

Mit den leichtbekleideten Tänzerinnen auf der Bühne hat man bei einer Can't-Stop-The-Hardcore-Tour natürlich gerechnet. Aber es gibt doch auch ein paar kleine Überraschungen. Etwa die vier Tänzer, die einer versierten Breakdance-Kombo in nichts nachstehen. Würde man die Musik lautlos drehen, das mutete alles ganz „normal“ an: Flickflacks, Headspins, Körperwellen – top. Durch die harten Techno-Beats wirken die Tanzeinlagen der B-Boys aber erstmal merkwürdig. Doch dann denke ich an die Flying Steps und wie sie zu Beethoven tanzen. Ravende B-Boys – why not?! Alles ist möglich.

Morgen sind wir tot

Nach zwei Stunden steht H.P. immer noch auf der Bühne. Ich staune und bin neidisch auf die Fitness des Sängers. Mir nichts, dir nichts schlüpft er immer wieder in freshe Outfits – zuletzt ganz in schwarz, haut er den Satz des Abends raus: „Lass uns tanzen oder ficken oder beides – denn morgen sind wir tot.“ Yeah. Ein älteres Ehepaar schräg hinter mir, beide um die 70, klatscht und wippt mit. So muss das sein.

Zu guter Letzt wird natürlich noch der Techno-Klassiker „Hyper Hyper“ in die mittlerweile zügellose Oben-ohne-Menge, deren Gegröle immer wieder an Fangesänge in Stadien erinnert, geschmettert – alle on fire, es ist ein Feuerwerk der Gefühle, das Scooter hier ausgelöst hat. Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Spots aus, Lichter an. Während ich mit einem „Döp döp döp dödödöp döp döp“ im Ohr zum Ausgang wippe, schnappe ich Sätze auf wie „Hasch g’hört wie der Hans-Peter eing’heizt hat? Bin ich froh, dass ich Ohrenstöpsel drin hatte“.