Am Samstagabend war der Schriftzug noch verhüllt, seit Sonntag ist er zu lesen. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Eine interne Eröffnungsfeier der neuen Niederlassung an der Heilbronner Straße hat am Sonntag die Nachbarn überrascht. Laut dem Verfassungsschutz will Scientology in Stuttgart neue Mitglieder gewinnen.

Stuttgart - Die Überraschung ist geglückt: Noch am Sonntagvormittag hatte ein Sprecher der Scientology-Gemeinde Stuttgart auf Anfrage unserer Zeitung gesagt, es gebe aktuell „nichts Berichtenswertes zu vermelden“. Wenige Stunden später steht dann eine Festgemeinde vor den Toren des neuen Sitzes der Scientologen an der Heilbronner Straße: Geladene Gäste feierten die Eröffnung der neuen großen Niederlassung an der Heilbronner Straße. Nur Mitgliedern wurde Zutritt gewährt, deswegen habe man die Feier auch nicht im Vorfeld angekündigt, hieß es. „Mehrere Hundert“ Gäste seien gekommen.

Das Haus in Stuttgart soll eine sogenannte Ideale Org werden, ein Haus mit Strahlkraft für ganz Baden-Württemberg. Die Organisation wird seit mehr als 20 Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet. Denn entgegen ihrem eigenen Verständnis als Kirche wird sie von der Behörde und von Aussteigern als Sekte mit verfassungsfeindlichen Zielen eingestuft. Mit der Idealen Org soll der Mitgliederschwund, den die Verfassungsschützer beobachten, vermutlich gestoppt werden. Zu den Zahlen gibt es keine aktuellen Angaben von der Organisation. Laut der Behörde sind es in Baden-Württemberg zurzeit rund 800 Mitglieder. Den Kauf des Gebäudes hatte der Verfassungsschutz vor gut zwei Jahren gemeldet. Die Immobilie soll rund acht Millionen Euro gekostet haben.

Am Samstag hievt ein Kran das Scientology-Kreuz an die Fassade

Am Samstagabend ließ das Treiben rund um das Gebäude, in dessen Erdgeschoss früher Motorradhelme verkauft wurden, auf eine baldige Eröffnung schließen. Bis dato hatte sich Scientology nie öffentlich dazu geäußert, dass sie Eigentümerin des Hauses mit einer Fläche von 5000 bis 6000 Quadratmetern sei. Gegen 19.30 Uhr hievte ein Kran das Symbol von Scientology, ein Kreuz mit Strahlen, am Gebäude hoch. Es wurde auf Höhe des zweiten Obergeschosses an der Stirnseite angebracht. Außerdem zieren weitere Scientology-Symbole – ein S mit zwei Dreiecken und die Pyramide, welche die Dianetik-Lehre repräsentiert – unter den Fenstern im ersten und dritten Stock die Fassade. Die Fenster waren am Samstag noch mit Jalousien vor neugierigen Blicken geschützt, ein Bauzaun umgab den Eingang, der mit einer Videokamera überwacht ist. Hinter den Jalousien brannte Licht, und gegen 22.30 Uhr verließen mehrere Fahrzeuge die Tiefgarage. Vor deren Ausfahrt – dem einzigen Zugang zum Gebäude, der am Abend offen stand – hielten Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma Wache.

Im Erdgeschoss des Gebäudes richtet Scientology ein Informationszentrum ein. Wann genau es zugänglich sein wird, steht laut der Organisation noch nicht fest: „Lassen Sie den Leuten noch ein paar Tage Zeit, sich einzuarbeiten“, sagte der Sprecher lediglich auf Anfrage unserer Zeitung. Auch die Hochglanzbroschüre, die über die Niederlassung informiert, blieb am Sonntag den eingeladenen Mitgliedern vorbehalten. Sie kamen aus nah und fern, wie die Autokennzeichen auf den Parkplätzen nahelegten. Durch die Eingangstür war lediglich eine Rezeption mit dem Schild „Tests und Einschreibung“ zu sehen.

Scientology will laut Verfassungsschutz neue Mitglieder gewinnen

Die Mitgliedergewinnung ist laut dem Verfassungsschutz ein wichtiges Ziel, das Scientology mit der Neueröffnung verfolgt: Die Behörde hat Informationen über sinkende Mitgliederzahlen. Dennoch gilt Baden-Württemberg als wichtiges Wachstumsgebiet für die Scientologen: Rund 800 Mitglieder zähle sie hier, auch aufgrund der hohen Wirtschaftskraft hoffe die Organisation, weitere Mitglieder zu werben, meldet der Verfassungsschutz. Dafür spricht auch, dass Scientology in den zurückliegenden Monaten immer wieder am Mailänder Platz in unmittelbarer Nähe der neuen Niederlassung, die gegenüber dem Einkaufszentrum Milaneo und dem Europaviertel liegt, an Infoständen für sich Werbung gemacht hatte.

Bis zum Frühsommer hatte Scientology in Stuttgart deutlich weniger repräsentative Räume in Bad Cannstatt genutzt. Dort hatte die Organisation ausziehen müssen. Ein Interimsquartier hatte sie im Stadtteil Scharnhausen in Ostfildern (Kreis Esslingen) im Industriegebiet gefunden.