Der Immobilie an der Ecke Heilbronner Straße/Tunzhofer Straße wird mit Scientology in Verbindung gebracht. Foto: Leif Piechowski

Scientology hofft, möglichst bald ein sogenanntes ideales Kirchengebäude in Stuttgart eröffnen zu können. Aber wo? In der gehandelten Immobilie an der Heilbronner Straße tut sich nicht viel – was Parallelen zu einem Fall in Nordengland aufwirft.

Stuttgart - Mitten auf der Königstraße steht ein roter Pavillon. Auf dem darunter aufgestellten Tisch liegen Flyer, Broschüren, Bücher, DVDs über Scientology-Gründer L. Ron Hubbard und Dianetik aus. Unzählige Menschen hasten hier auf ihrem Weg ins nächste Bekleidungsgeschäft vorbei. Zwei freundliche, adrett gekleidete Männer, Anfang 60, gehen von dem Stand aus offensiv auf Passanten zu. Sie versuchen, ihnen Informationsmaterial in die Hand zu drücken oder sie in einen Dialog zu verwickeln. Die allermeisten Passanten ignorieren die Ansprache und setzen ihren Gang unverändert fort, manche blocken das Angebot mit ablehnender Gestik ab. Und selbst jene, die kurz abstoppen, kaufen an diesem Nachmittag weder die Dianetik-Produkte noch absolvieren sie den kostenlos angebotenen Stresstest.

Diese Beobachtungen scheinen keine Ausnahme zu sein. Die Scientology-Organisation bemüht sich zwar, an öffentlichen Orten mit Infoständen möglichst oft präsent zu sein – in Stuttgart in aller Regel dreimal pro Woche. Nach Einschätzung des baden-württembergischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) funktioniert die klassische Mitgliederakquise der Scientologen auf offener Straße kaum noch. Das liege einerseits daran, dass die Menschen in Bezug auf Scientology hierzulande aufgeklärter seien als noch vor 20 bis 30 Jahren. Andererseits habe sich die Organisation auch nie weiterentwickelt: „Auf die drängenden Fragen der Zeit liefert die Scientology-Organisation keine Antworten.“

Zahl der Scientologen im Land sinkt

Zwar behaupten führende Köpfe der Organisation in den USA, dass Scientology expandiere und die Zahl ihrer Anhänger weltweit deutlich wachse. Den LfV-Experten zufolge sinken die Mitgliederzahlen in Baden-Württemberg aber seit Jahren. 1997, als die Verfassungsschützer begannen, die Organisation zu beobachten, habe es noch mehr als 1200 Scientologen im Südwesten gegeben, mittlerweile sei die Zahl unter 900 gefallen. 500 davon leben in Stuttgart und der Region. Die Tendenz sei weiter abnehmend, heißt es beim LfV. Viele Scientologen seien bereits im Rentenalter, und auf der Suche nach neuen Mitgliedern habe die Organisation in Deutschland erhebliche Probleme. „Scientology tritt auf der Stelle“, sagt ein Verfassungsschützer unserer Zeitung.

Vor allem in Stuttgart könnte das zu einem Problem werden. Derzeit residieren die Scientologen wenig prestigeträchtig im Gewerbemischgebiet in Bad Cannstatt. Nach eigenen Angaben hofft die Scientology Gemeinde Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart aber nach wie vor, „möglichst bald“ eine neue Repräsentanz – eine sogenannte Ideale Org – eröffnen zu können. Es wäre nach Berlin und Hamburg die dritte in Deutschland. Nach LfV-Informationen sollte der Standort Stuttgart das größte Scientology Zentrum Deutschlands werden. Eine Doppel-Immobilie mit 6000 Quadratmetern Nutzungsfläche hatte das Management der Internationalen Scientology-Kirche mit Sitz in Los Angeles den Angaben zufolge über die Strohfirma eines israelischen Anwalts im Jahr 2010 erworben. Die Kosten sollen bei acht Millionen Euro gelegen haben. Deren Gros kam nach LfV-Informationen über Spenden der Mitglieder in Stuttgart und der Region zusammen.

Optimale Voraussetzungen für Ideale Org

Das Objekt bietet beste Voraussetzungen für eine Ideale Org. Es liegt in attraktiver, repräsentativer Lage an der Ecke Heilbronner Straße/Tunzhofer Straße, in unmittelbarer Nähe zum neuen Europaviertel mit dem Einkaufstempel Milaneo und dem Wohn- und Hotelturm Cloud No. 7. Die baden-württembergischen Verfassungsschützer beobachteten, wie Ende 2014 in der Immobilie für wenige Tage renoviert wurde. Mittlerweile tut sich hinter den verschlossenen Türen und den mit Papiertischdecken abgedeckten Fenstern im Erdgeschoss jedoch nichts mehr. Der millimeterdicke Staub, der sich auf den roten Klinken der Haupteingangstür gebildet hat, lässt darauf schließen, dass hier seit Monaten niemand mehr ein- und ausgegangen ist.

Doch woran liegt es, dass die Eröffnung eines Idealen Kirchengebäudes in Stuttgart sich so lange hinauszögert? Fehlt es an Geld? Fehlt es an Mitgliedern? Der Präsident der baden-württembergischen Scientology Gemeinde in Stuttgart, Hubert Kech, teilte unserer Zeitung mit, dass derzeit „weder die Planungen noch die Entscheidungsfindung“ für ein Ideales Kirchengebäude abgeschlossen seien. Er könne auch keinen Termin nennen, bis wann dies geschehen sei.

Zieht das Management in Los Angeles die Fäden?

Die Verfassungsschützer gehen davon aus, dass Kech dies auch gar nicht könne, weil die Stuttgarter Scientologen gar nicht über alle der einzelnen Schritte informiert seien. Ihren Erkenntnissen und Einschätzungen zufolge vollzog das Management in Los Angeles nicht nur den verdeckten Kauf der Immobilie. Es soll weltweit auch die Sanierungsarbeiten steuern. Und die werden derzeit offensichtlich nicht mit Nachdruck vorangetrieben.

Parallelen zu einem Fall in England

Die Geschichte der Immobilie in der Heilbronner Straße ähnelt jedenfalls einem Fall in Gateshead. In der Kleinstadt im Nordosten Englands hatte ein ranghoher Scientologe die sogenannten Windmill Hills für 1,2 Millionen Pfund (1,43 Millionen Euro) gekauft. Das denkmalgeschützte Gebäude im viktorianischen Stile war als Schule, später als Pflegeheim genutzt worden. Im Lauf der Jahre sei das Prestigeobjekt von einst jedoch zu einem „Ort der Schande“ verkommen, schrieb „BBC News“ im August 2014. Obdachlose übernachteten dem Bericht zufolge mehrere Wochen in dem Gebäude. Heute – fast zehn Jahre nach dem Erwerb – steht es leer. Von einem prachtvollen Kirchengebäude, wie es die Scientologen auf ihrer Webseite präsentieren, keine Spur. Und es gibt auch keinerlei Anzeichen, dass sich dies in den nächster Zeit ändert.

Im Dialog mit den Behörden in Gateshead bekräftigte die englische Scientology-Kirche nach Informationen unserer Zeitung zwar mehrmals, das Gebäude in einen guten Zustand bringen und es für kirchliche Zwecke nutzen zu wollen. Ein Baugesuch ist dort allerdings noch nicht eingegangen. Der Rat der Stadt überlege deshalb schon, ob und welche gesetzliche Möglichkeiten es gebe, um das Denkmal in prominenter Lage wiederherstellen und für die Allgemeinheit nutzen zu können, teilt der Sprecher der Stadt mit.

LfV: Baden-Württemberg als wichtiger Standort

In Stuttgart kommt zumindest auf dem Papier Bewegung in die Sache. Wie das Grundbuchamt Böblingen mitteilt, sind die bisher getrennten Grundstücke Heilbronner Straße 67 und Heilbronner Straße 69/Tunzhofer Straße 1 in der vergangenen Woche vereinigt worden. Eigentümer ist nach wie vor die Firma „G. Stuttgart Properties Ltd.“, hinter der eine israelische Anwaltskanzlei aus Jerusalem steckt. Sie soll bereits für die Scientology-Organisation in den USA tätig gewesen sein.

Die Verfassungsschützer rechnen damit, dass die Immobilie renoviert wird. Die Verhältnisse in der Landeshauptstadt seien andere als im Norden Englands. Die Scientology-Führung werde nicht den Eindruck erwecken wollen, man gebe auf, sagen sie: „Baden-Württemberg gilt wegen seiner Wirtschaftskraft weiter als wichtiger Standort für die Sekte.“