Stefan Spitznagel war von 1992 bis 2001 Priester der katholischen Gemeinde in Filderstadt. Er ist Mitinitiator der Outing-Kampagne #OutInChurch und wünscht sich, dass Aktionen wie diese irgendwann nicht mehr nötig sind.
Filderstadt - Stefan Spitznagels Pfarrzeit in Filderstadt liegt schon ein paar Jahre zurück, doch in der Gemeinde erinnern sich viele an ihn. Mit der Aktion #OutInChurch, bei der 125 Kirchenmitarbeiter sich outeten, hat der Priester einiges ins Rollen gebracht. Zur jüngsten Entwicklung gehört, dass elf Generalvikare dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz geschrieben haben und sich dafür aussprechen, dass keine arbeitsrechtlichen Sanktionen mehr in Bezug auf die persönliche Lebensführung möglich sein sollen.
Herr Spitznagel, was halten Sie von dem Brief der Generalvikare?
Es ist zwar nett, dass sie das gemacht haben, aber den Worten müssen Taten folgen. Wir sind seit Jahren gebrannte Kinder und deshalb etwas vorsichtig mit diesen wohlklingenden Äußerungen.
Was wäre ein besserer Weg?
Der Bischof von Würzburg, Franz Jung, hat einen Brief herausgegeben, in dem er garantiert, dass bei ihm niemand aufgrund seiner persönlichen Lebensführung entlassen wird. Das Arbeitsrecht kann jede Diözese für sich festlegen. Andere verharren darin, zu sagen: „Wir müssten etwas tun.“ Viele Amtsträger sind der Meinung, es ist doch alles gar nicht so schlimm, andere Lebensweisen werden doch geduldet. Aber man ist immer abhängig von der Laune des jeweiligen Pfarrers. Der nächste kann es schon wieder anders sehen. Man muss das Arbeitsrecht ändern, damit jeder die Sicherheit hat, nicht abhängig vom Wohlwollen des Vorgesetzten zu sein.
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Hatten sie als schwuler Priester je Angst um Ihren Job?
Wir Priester sind von allen kirchlichen Mitarbeitenden am meisten abgesichert. Wir sitzen am längeren Hebel, weil wir in einer verbeamteten Position sind. Da wir ohnehin das Zölibat versprochen haben, haben wir nicht das Reizpotenzial für die Bischöfe.
Hat die Aktion #OutInChurch, die Sie zusammen mit neun anderen initiiert haben, etwas bewegt?
Sie läuft ja noch, es gibt immer noch jeden Tag Presseanfragen. Die Welle der Solidarität ist groß: Wir haben bereits mehr als 110 000 Unterschriften von Unterstützern gesammelt, und jeden Tag kommen Tausende dazu. Die werden wir in der ersten Märzwoche an die Bischöfe überreichen. Es soll nicht bei harmlosen, wohlwollenden Bekundungen bleiben.
Was hat die Aktion unter queeren Menschen ausgelöst?
Es kamen bisher 300 Anträge von Leuten, die sich uns anschließen wollen. Viele trauen sich jetzt, aus sich rauszugehen. Das ist ein befreiendes Gefühl – fast wie eine Auferstehungsgeschichte für jeden einzelnen. Die Solidarität unter uns ist wichtig. Wir stärken und unterstützen uns. Aber dass es überhaupt ein Reizthema ist, ist der eigentliche Skandal. Solange Homosexualität in der Kirche ein Tabuthema ist und Diskriminierung damit verbunden ist, braucht es Aktionen wie diese. Das Ziel wäre, dass die Kampagne überflüssig wird.
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Die Sexualmoral der Katholischen Kirche betrifft nicht nur homosexuelle Menschen, sondern auch heterosexuelle.
Richtig, jede Sexualität außerhalb der Ehe ist verboten. Geschiedene, Nicht-Verheiratete, Singles, Queere, sie alle dürfen keine Sexualität leben. Das geht an der Realität vorbei und fördert eine Doppelmoral und Scheinheiligkeit. Die Amtsbischöfe müssen lernen, dass sie nicht mehr die Deutungshoheit haben, sondern dass die Gesellschaft die übernommen hat. Jahrhundertelang hat die Kirche gesagt, was Sexualität heißt – und jetzt hört keiner mehr darauf.
Als Sie Priester in Filderstadt waren, wie ist die Gemeinde da mit Ihrer Homosexualität umgegangen?
Grundsätzlich ist es doch so: Die, die es nicht hören und sehen wollen, stellen keine Fragen. Die, die es hören und sehen können und wollen, haben kein Problem damit.
Vita
Stefan Spitznagel, 1958 im Landkreis Waldshut geboren, studierte Theologie in Tübingen, Bonn und Bamberg. 1988 erhielt er seine Priesterweihe. Er war Pfarrer in Bernhausen und Sielmingen, Kornwestheim und am Klinikum Ludwigsburg. Heute ist er Priester in Marbach a.N.
Engagement
Spitznagel ist aktiv im „Katholischen Komitee“, einem Verbund aller queeren Gruppen der Katholischen Kirche in Deutschland, im Netzwerk „Schwule Priester in Deutschland“ und beim Beratungstelefon „Homosexuelle und Kirche“.