Da geht’s lang: Angela Merkel (CDU) zwischen Alexander Graf Lambsdorff (FDP) und Horst Seehofer (CSU). Foto: dpa

Am Familiennachzug braucht Jamaika nicht zu scheitern. Dazu müsste aber vor allem die CSU ideologische Vorfestlegungen fallen lassen, meint unser Autor Norbert Wallet.

Berlin - Niemand hat gesagt, dass es leicht wird. Ja, schon. Aber dass der Weg nach Jamaika so kompliziert sein würde, ist eine Erkenntnis, die die Verhandlungspartner von Union, FDP und Grünen am späten Donnerstagabend mit frischer Wucht getroffen zu haben scheint. Zu leisten ist eben etwas noch nie Dagewesenes – eine Verständigung zwischen drei sehr unterschiedlichen Parteien. Nein, vier! Denn die CSU ist eine sehr eigenständige Partei, und das macht einen großen Teil des Problems aus. Die Unterhändler müssten also Neuland betreten. Das erfordert einen gewissen Eroberergeist, denn Neuland lässt sich nicht mit alten Karten und auf alten Wegen erkunden. Wer da in seinem Rucksack zu viel ideologisches Gepäck mitschleppt, kommt nicht ans Ziel, denn Jamaika ist weit.

Ideologisch bedingte Denkblockaden

Das hemmt eine Verständigung nirgends mehr als beim Thema Zuwanderung. Das ist ein ziemlich absurde Situation, denn ließe man einige der ideologisch bedingten Denkblockaden weg, wäre gerade in der Zuwanderung durchaus eine tragfähige, sogar eine zukunftsweisende Lösung möglich, die über einen Formelkompromiss hinausgeht. Alle Seiten sind sich inzwischen einig, dass Deutschland ein Einwanderungsgesetz braucht, welches es uns ermöglicht, eine gezielte Zuwanderung von Fachkräften nach unseren Bedürfnissen zu lenken. Angesichts des heute schon bestehenden Mangels in vielen Branchen ist das kein Beiwerk, sondern eine dringende Notwendigkeit. Im Prinzip müssten alle Seiten auch einsehen können, dass Deutschland nicht grenzenlos aufnahmefähig ist, und sei es nur politisch nicht begrenzt aufnahmefähig. Das Menschen, die sich nicht rechtmäßig in Deutschland aufhalten, kein Bleiberecht und auch kein objektives Abschiebe-Hindernis haben, das Land verlassen müssen, ist eigentlich für jede Rechtsstaatspartei einsehbar. Wo also sollen die angeblich so großen Gräben sein, die vor allem Grüne und CSU trennen? Sie bestehen eben eher im Ideologischen als im Realen.

CSU macht Familiennachzug zum Symbolthema

Das wird nirgends deutlicher als beim Thema Familiennachzug, das von der CSU unverantwortlicherweise als Symbolthema behandelt wird. Dabei geht es eben nicht um drohende neue Flüchtlingswellen, sondern um einen vergleichsweise überschaubaren Personenkreis. Steuerungsmöglichkeiten hat die Politik nämlich ohnehin nur bei den so genannten subsidiär Geschützten: Menschen also, die weder politisches Asyl noch den Genfer Flüchtlingsstatus haben, denen aber bei Abschiebung ernsthafter Schaden droht, etwa im Falle eines Bürgerkriegs. Derzeit leben in Deutschland 152 000 subsidiär Schutzberechtigte. Im ersten Halbjahr 2017 wurden 30 600 Visa zum Zweck der Familienzusammenführung an Angehörige von Menschen erteilt, die aus den drei wichtigsten Herkunftsländern von Flüchtlingen stammen: Syrien, Irak, Afghanistan. Im Gesamtjahr 2016 waren es 50 000, 2015 waren es 25 300. Aktuell bearbeiten deutsche Botschaften 70 000 Anträge auf Nachzug, deren Bearbeitung etwa in Beirut oder Amman ein Jahr dauern kann.

Zahlreiche Möglichkeiten zum Kompromiss

Der Familiennachzug ist ein überschaubares, humanitäres Problem. Bei gegebenen politischen Willen bieten sich zahlreiche Kompromisswege an: Man könnte den Zuzug an den Nachweis des schon in Deutschland lebenden Angehörigen binden, für den Lebensunterhalt aufzukommen. Man könnte sich auf jährliche Richtgrößen einigen. Man könnte Länder festlegen, für die der Nachzug ermöglicht werden soll. Es gibt keinen Grund, im Familiennachzug ein objektives Hindernis für eine Einigung zu sehen. Das Hindernis sind ideologische Vorfestlegungen. Wer die weiter aufrecht erhält, der will eben Jamaika grundsätzlich nicht.