Sascha Bisley filmt sich in seinem Stuttgarter Nachtlager im Freien. Foto: ZDF/Sascha Bisley

ZDF-Info zeigt einen Themenabend zu den weniger schönen Lebenswirklichkeiten in Deutschland. Der Sozialarbeiter Sascha Bisley war als Obdachloser in Stuttgart unterwegs.

Stuttgart - Vermutlich ist der Sozialarbeiter Sascha Bisley wirklich um Obdachlose besorgt. Vermutlich will er ganz lauter uns alle noch einmal aufrütteln. Uns, die wir uns daran gewöhnt haben, auf den Wegen durch die Stadt von den manchmal ziemlich kaputten Gestalten wegzuschauen. Man will glauben, dass Bisley es nur gut gemeint hat, als er zum Selbstversuch in Stuttgart loszog, als er eine Woche lang lebte wie die Ärmsten, also Platte machte, und das Ganze mit Kameras dokumentierte. „Mit zwei versteckten Kameras und einer kleinen Digicam“, wie er erklärt. Trotzdem kann man sich sehr ärgern über die Reportage „Auf der Straße – Sascha Bisley unter Obdachlosen“, die als Teil eines insgesamt interessanten Schwerpunkts mit dreizehn Dokus aus der sozialen Wirklichkeit Deutschlands an diesem Donnerstag um 20.15 Uhr auf ZDF-Info läuft.

Geschenkt, dass man von einer besonderen Stuttgarter Atmosphäre nicht viel mitbekommt. Zwar macht Bisley klar, dies sei eine der reichsten Städte Deutschlands, aber ob daraus eine besondere Qualität im Umgang mit Obdachlosen entsteht, wird hier nicht zum Thema. Das zu erwarten, wäre wohl auch eine besondere Form des Lokalpatriotismus. Stuttgart stellt einfach die verschärfte Form einer allgemeinen Paradoxie dar. Obdachlose zieht es in große, wohlhabende Städte, weil die sich mehr Hilfsangebote leisten können als ärmere Kommunen. Aber in wohlhabenden Städten mit ihrem teuren Wohnraum ist die Chance besonders gering, wieder ein eigenes Dach über den Kopf zu bekommen.

Bilder der Not

Aber Bisley versucht sich hier an einer Dokumentation für das Selfie-Zeitalter. Wenn er Interviews mit Obdachlosen oder Helfern führt, dann hält er seine Kamera am ausgestreckten Arm wie jemand, der etwas vermeintlich Beneidenswertes für seine Facebook-Seite filmt. Immer wieder mal muss er in die Kamera schauen, um den Bildausschnitt zu kontrollieren. Aber es wirkt dann eben auch, als wolle er uns zublinzeln, uns daran erinnern, dass er gerade wirklich das ganz Besondere durchzieht. Er muss das gar nicht eitel meinen. Er versucht vielmehr, die klassische Reportage über das Leid der Obdachlosen, von der man vermuten könnte, sie sei durch die Gleichheit der Motive über viele gut gemeinte Filme hinweg wirkungslos geworden, ins Zeitalter der allgegenwärtigen Amateurfilmerei zu holen.

Sascha Bisley sucht die Erschütterung, indem er die Bilder der Not so anlegt, wie andere Leute mittlerweile ihre Urlaube Stunde um Stunde, Aussicht um Aussicht, Beckensprung um Beckensprung dokumentieren. Aber das zugleich Banale und Protzige dieser Videotagebuchform gewinnt die Oberhand, der Film wird zum Abenteuerurlaubs-Album, das von Betroffenheitssätzen auf der Tonspur nicht aufgefangen werden kann. Dass Bisley nebenher erzählt, dass er selbst mal zu den Quälern von Obdachlosen gehörte und einen Mann so prügelte,dass der an den Folgen verstarb, mag kurz schockieren. Doch dieses Bekenntnis baut der Filmemacher nur schlecht in die Bilder seines Pennerspiels – eine Art Buße? – ein.

Immer weiter abwärts

Wie viel mehr die klassische Reportage zu erschüttern vermag, zeigt „Wie der letzte Penner – Obdachlos in Deutschland“. Hier werden mehrere Menschen eine Weile begleitet, wir erleben, wie sich auch miese Lagen verschlechtern können. Die Protagonisten erzählen anfangs von ihren Plänen, wieder Fuß zu fassen, aber der Film kann nur zeigen, wie sie immer weiter abrutschen: in einer reichen Gesellschaft.

Info: Um 17.15 Uhr am Donnerstag, 24. Mai 2018, beginnt der Doku-Schwerpunkt auf ZDF-Info mit „Reiches Bayern, arme Alte“. Auch wenn aus der Reihe „Deutschland, Deine Ämter“ Beiträge über Verbraucherschutz und Zollfahnder laufen, geht es meist um die vielen Formen der Armut, um die Vielfalt des Mangels. Obdachlosigkeit ist gleich mehrfach Thema. „Wie der letzte Penner“ etwa startet um 18 Uhr, um 20.15 Uhr läuft „Auf der Straße – Sascha Bisley unter Obdachlosen“. Die Beiträge sind auch in der Mediathek abrufbar.