Wer Probleme mit dem Hören hat, fühlt sich in größeren Gesellschaften oft isoliert. Foto: Keystone

Wer Weihnachten mit der Familie feiert, weiß: Es wird laut und turbulent. Insbesondere Schwerhörige haben damit große Probleme. Experten geben Tipps, wie sie mit dem Stimmengewirr besser zurechtkommen, statt sich zurückzuziehen.

Stuttgart - So geht Party: Alle reden durcheinander, es wird viel gelacht, im Hintergrund läuft Musik. Situationen wie diese sind für schwerhörige Menschen schwer zu ertragen – weil sie nichts verstehen und sich deshalb nicht an Small Talks beteiligen können. Norbert Böttges, seit vielen Jahren von einer Hörschädigung betroffen, kennt das zu genau: „Man weiß nicht, worüber die anderen lachen“, sagt der Vizepräsident des Deutschen Schwerhörigenbunds. Gleichzeitig ist man sich über seine eigene Außenwirkung unsicher: „Wie sieht das denn aus, wenn ich die ganze Zeit nur herumsitze? Und was soll ich sagen, wenn mich auf einmal jemand anspricht?“, sagt Böttges. „Das war alles sehr stressig.“ Die logische Folge ist oft, dass Schwerhörige solche Zusammentreffen eher meiden. „So kann es zu sozialem Rückzug und Isolation bis hin zur Depression kommen“, sagt die Psychologin Doris Jäger-Flor, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Empirische Forschung der Universität Landau. „Die Folgen einer Hörminderung werden oft unterschätzt.“

Dazu gehört auch, dass schlechtes Hören auf Dauer offenbar die geistige Fitness beeinträchtigen kann. Epidemiologen stellten in mehreren Studien fest, dass Menschen mit einer Hörschädigung im Zeitraum von rund zehn Jahren deutlich häufiger an Demenz erkrankten als solche mit normalem Hörvermögen. Dieser Zusammenhang soll jetzt in einer Vergleichsstudie der Medizinischen Hochschule Hannover und der Universitätsklinik Salzburg näher untersucht werden. Dazu bekommen spät ertaubte Senioren ein Cochlea-Implantat, das bei geschädigtem Innenohr das Hörvermögen wiederherstellt. Vor dem Eingriff und ein Jahr danach werden die kognitiven Leistungen dieser Teilnehmer getestet und mit den Ergebnissen verglichen, die dieselben Tests bei Senioren mit normalem Gehör erbracht haben.

Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Demenz

„Wir glauben an den Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Demenz im Alter“, sagt die Leiterin der Studie in Hannover, Angelika Illg. „Wenn in bestimmten Arealen des Gehirns weniger Informationen ankommen, beeinträchtigt das die kognitive Leistungsfähigkeit.“ Hinzu kommt, dass ein sozialer Rückzug den geistigen Abbau beschleunigt. Auch deshalb sollten Menschen, die an einer beginnenden Schwerhörigkeit leiden, möglichst bald ein Hörgerät tragen.

Doch eben daran hapert es. In Deutschland leiden nach Schätzungen der Deutschen Seniorenliga mehr als 16 Millionen Menschen unter Schwerhörigkeit. „Aber nur ein Drittel davon hat ein Hörgerät“, sagt die Psychologin Jäger-Flor. „Und wiederum nur ein Bruchteil davon trägt das Hörgerät auch regelmäßig.“

Das hat verschiedene Gründe. Eine große Rolle spielt, dass viele Betroffene ihre Hörbeeinträchtigung zunächst nicht bemerken und auch nicht bemerken wollen. „Schwerhörigkeit ist keine attraktive Krankheit“, erklärt Norbert Böttges. „Man will sie verdrängen und hofft, dass es wieder besser wird.“ Dabei sind Hörminderungen längst nicht nur ein Problem von Menschen im Rentenalter. Rund 40 Prozent der Betroffenen sind berufstätig, sagt Doris Jäger-Floh.

Ausweichstrategien helfen auf Dauer nicht

Um die Beeinträchtigung vor anderen geheim zu halten, wenden Betroffene durchaus findige Ideen an: Sie tun so, als hätten sie verstanden, lenken schnell zu einem anderen Thema über oder meiden von vornherein Situationen, in denen sie von anderen angesprochen werden könnten. Doch solche Strategien helfen auf Dauer nicht – vor allem dann, wenn die Schwerhörigkeit schlimmer wird. Deshalb empfiehlt Norbert Böttges: „Je früher man sich damit vertraut macht, dass man eine Hörbehinderung hat, desto besser. Man lernt, damit zu leben.“

Wichtig ist, im Alter regelmäßig sein Gehör überprüfen zu lassen. Bestätigt sich der Verdacht auf eine Hörschädigung, braucht es ein Hörgerät, das man regelmäßig tragen muss. Ohne Hörhilfe kann es langfristig zu einer Hörentwöhnung kommen: Die Areale des Gehirns, die für das Hören zuständig sind, drohen zu verkümmern, so dass es verlernt, Signale richtig einzuordnen.

Allerdings helfen Hörgeräte meist nicht sofort. In der Regel bedarf es eines langen Trainings, um damit gut zurechtzukommen. „Man darf keine Wunder erwarten. Es kann Monate dauern, bis man die optimale Einstellung gefunden hat“, sagt Jäger-Flor, die selbst seit vielen Jahren auf Hörhilfen angewiesen ist.

Auch Hörgeräte haben ihre Grenzen

Doch ein Hörgerät zu tragen löst nur einen Teil der Probleme. Wichtig ist auch, dass hörgeschädigte Menschen Strategien entwickeln, um im sozialen Umfeld mit der Einschränkung gut leben zu können. Als ersten Schritt empfiehlt Jäger-Flor, eben nicht darauf zu hoffen, dass niemand die Schwierigkeiten bemerkt, sondern offen darüber zu sprechen und bei anderen Verständnis zu wecken. „Sie können darauf hinweisen, dass es Ihnen hilft, wenn man langsamer und deutlicher mit Ihnen spricht“, schreibt sie in ihrem neu erschienenen Ratgeber „DazugeHören“. Meist ist Menschen mit intaktem Gehör nämlich nicht klar, dass Schwerhörige auch mit Hörgerät nicht normal hören.

Auch Böttges spricht ohne Scheu über seine Schwerhörigkeit, die sich bei ihm im Alter von 35 Jahren als Folge eines Tinnitus entwickelte. Da ihm normale Hörgeräte nicht mehr ausreichten, trägt er seit acht Jahren ein Cochlea-Implantat. Das könne zwar bei Weitem kein gesundes Gehör ersetzen. „Es hat für mich aber eine Verbesserung gebracht“, berichtet er. „Auch an Feiern kann ich inzwischen besser teilhaben.“

Erste Anzeichen für nachlassendes Hörvermögen

Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Mitmenschen oft nuscheln?

Müssen Sie oft nachfragen, weil Sie etwas nicht verstanden haben?

Empfinden Sie es als anstrengend, in größeren Runden der Unterhaltung zu folgen?

Fällt es schwer, in einer lauten Umgebung den Gesprächspartner zu verstehen?

Bekommen Sie es manchmal erst im letzten Moment mit, wenn sich Ihnen von hinten ein Fahrzeug näher?

Ermüdet Sie das Zuhören?

Überhören Sie manchmal das Türklingeln oder das Telefon?

Können Sie leise Geräusche wie das Ticken einer Uhr, das Zirpen von Grillen oder das Brummen des Kühlschranks nicht mehr hören?