Eine HU-Plakette gibt es normalerweise nur nach sorgfältiger Prüfung. Weil es ein Gutachter damit nicht so genau genommen hat, ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft. Foto: dpa-Zentralbild

Weil ein Prüfer Plaketten für die Hauptuntersuchung vergeben hat, ohne die Fahrzeuge gesehen zu haben, sind offenbar über Monate zahlreiche verkehrsunsichere Autos unterwegs gewesen. Der ADAC spricht von „kriminellen“ Zuständen.  

Stuttgart - Der Fall ist spektakulär: Ein Mitarbeiter der Karlsruher Prüfgesellschaft GTS soll etwa ein Jahr lang massenhaft Plaketten für die Hauptuntersuchung (HU) vergeben haben, ohne die entsprechenden Fahrzeuge in Augenschein genommen zu haben. Der Mann ist nach langwierigen Ermittlungen im März festgenommen worden, befindet sich aber inzwischen wieder auf freiem Fuß. Auch gegen mehrere Werkstattbesitzer, die mit ihm zusammengearbeitet haben sollen, laufen Ermittlungen.

Die betroffenen 8500 Fahrzeughalter aus den Kreisen Böblingen, Ludwigsburg, Esslingen, Göppingen, Reutlingen und Tübingen wurden daraufhin angewiesen, zur Nachprüfung beim Tüv vorzufahren. Und dort zeigt sich jetzt das ganze Ausmaß der Taten. Denn nach allem, was die Prüfer bisher gesehen haben, sind durch den GTS-Mann viele Menschen gefährdet worden.

„Die Nachuntersuchungen sind zwar noch nicht abgeschlossen, aber die Ergebnisse zeigen, dass etwa 50 Prozent der Fahrzeuge erhebliche Mängel hatten“, sagt Julia Pieper, Sprecherin des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg. Dabei müsse man allerdings beachten, dass manche Mängel vorher vielleicht schon beseitigt worden, andere erst nach der GTS-Prüfung dazugekommen seien.

ADAC: Wir haben einige Autos gesehen, deren Zustand war schlicht kriminell“

Christian Erichsen, Leiter der Stuttgarter Tüv-Niederlassung, spricht sogar davon, dass „der überwiegende Teil“ der Fahrzeuge erhebliche Mängel aufweise. Und: „Da sind auch zahlreiche verkehrsunsichere Fahrzeuge dabei.“ Kaputte Bremsen, Fehler in der Lenkung und andere gravierende Probleme – offenbar sind über Monate, vielleicht sogar über Jahre massenhaft Autos auf den Straßen unterwegs gewesen, die die Fahrer und andere Verkehrsteilnehmer massiv gefährdet haben. Harry Kellner, Bereichsleiter Kfz-Technik beim ADAC Württemberg, sagt: „Wir haben einige Autos gesehen, deren Zustand war schlicht kriminell.“

Die meisten Halter, davon geht die Staatsanwaltschaft nach wie vor aus, wussten davon nichts. Sie sind schlicht dem betrügerischen Prüfer aufgesessen. Andere dagegen haben wohl wissentlich ihre schrottreifen Autos von dem GTS-Mann durchwinken lassen. Darauf deutet hin, dass so mancher deutlich mehr als den üblichen Tarif von gut 50 Euro bezahlt hat und jetzt gar nicht erst zur Nachprüfung vorgefahren ist. „Einige haben ihre Autos lieber gleich abgemeldet“, weiß Kellner. Das wird auch vom Verkehrsministerium des Landes bestätigt.

Die Nachprüfungen sind derart aufwendig, dass sie sich wohl noch bis ins neue Jahr hinziehen werden. „Die Halter haben einen großen Beratungsbedarf“, sagt Erichsen. Kein Wunder, angesichts von erheblichen Beanstandungen bei mehr als der Hälfte der Fahrzeuge. Bei regulären Hauptuntersuchungen lag die Quote derer, die nicht auf Anhieb durchkamen, laut Tüv-Bilanz zuletzt bei lediglich knapp 20 Prozent.

Die Kostenfrage ist noch nicht geklärt

Bleibt die Frage, wie es so weit kommen konnte. Laut Verkehrsministerium ist der betroffene Prüfer schon früher zweimal wegen Unregelmäßigkeiten kurzzeitig suspendiert gewesen. Einmal wurde er sogar zum Rapport ins Ministerium einbestellt. Zudem ist hinter vorgehaltener Hand zu hören, die GTS sei nicht zum ersten Mal auffällig geworden. „Offenbar ist dort das Controlling vernachlässigt worden“, sagt ADAC-Experte Kellner. Als Sachkundiger wisse man, dass ein guter Mitarbeiter 3500 Prüfungen im Jahr schaffe. Dem Beschuldigten werden dagegen 8500 Fälle in gut einem Jahr vorgeworfen. Das hätte bei seinem Arbeitgeber auffallen müssen.

Auch die Kostenfrage ist noch nicht geklärt. 53,50 Euro werden für jede Nachprüfung fällig. Das Land weist darauf hin, dass man die hoheitliche Aufgabe der Hauptuntersuchung zwar an die GTS übertragen habe, diese habe das Land jedoch von Haftungsfragen entbunden. „Wir nehmen die Kostenforderungen entgegen, werden sie aber bei der GTS geltend machen“, sagt Ministeriumssprecherin Pieper deshalb. Juristen bezweifeln allerdings, dass sich diese Sicht durchsetzt. „Wenn es hart auf hart kommt, ist das Land mit im Boot“, sagt einer. Und damit der Steuerzahler.