125 000 beglaubigte Unterschriften – verpackt in Kartonschachteln – hat die Interessengemeinschaft Schießen Schweiz dieser Tage bei der Schweizer Bundesregierung in Bern vorgelegt, um ein Referendum über ein schärferes Waffenrecht zu initiieren. Foto: dpa

Europa erschwert den Besitz halbautomatischer Waffen, doch viele Eidgenossen ziehen da nicht mit - auch auf die Gefahr hin, dass sie damit den Schengen-Raum verlassen.

Stuttgart/Bern - Das Recht auf Waffenbesitz ist nicht nur den Amerikanern heilig. Auch beim deutschen Nachbarn Schweiz hält man das Schießen traditionell hoch. Auch so hoch wie das wirtschaftliche Wohlergehen? Vor dieser Frage stehen am 19. Mai die knapp fünfeinhalb Millionen Stimmberechtigten. Sie sollen darüber entscheiden, ob die Bundesregierung der EU-Vorgabe folgen und das Waffenrecht verschärfen darf. Glaubt man maßgeblichen Vertretern von Politik und Wirtschaft, hätte ein Nein schwerwiegende Folgen für Handel und Sicherheit. Denn die Mitgliedschaft im Schengen-Raum stünde damit auf der Kippe.

Die Interessengemeinschaft Schießen Schweiz (IGS) sieht das jedoch völlig anders. Mit der Parole „Nein zum Entwaffnungsdiktat der EU!“ hat die Initiative 125 000 Gleichgesinnte mobilisiert und durch die Übergabe der Unterschriften vor wenigen Tagen das Referendum eingeleitet. Die EU-Waffenrichtlinie und die damit verbundene Begrenzung halbautomatischer Waffen biete nicht den geringsten Sicherheitsgewinn, mahnt die IGS, bedeute vielmehr das Ende des Schießens als Breitensport in der Schweiz. Und das sei „unrecht, freiheitsfeindlich, nutzlos, gefährlich und antischweizerisch“.

„Antischweizerisch“

Mit der Reform reagiert Bern auf die EU-Richtlinie 853 aus dem Jahr 2017. Nach den Terroranschlägen von Nizza und Paris hatte die Gemeinschaft ihr Waffenrecht verschärft und vor allem den Erwerb und Besitz von halbautomatischen Waffen eingeschränkt. Dazu gehört in der Schweiz auch das Sturmgewehr 90, das Standardgewehr der Armee, das auch bei Sportschützen sehr beliebt ist. Zwar dürfen Schweizer, die eine solche Waffe bereits besitzen, diese auch nach der Reform behalten. Und Schützen können halbautomatische Waffen auch weiterhin erwerben. Voraussetzung ist jedoch künftig, dass sie Mitglied in einem Schützenverein sind oder regelmäßige Schießübungen nachweisen.

Große Magazine dürfen nur noch von jenen gekauft werden, die auch einen Erwerbsschein für die entsprechende Feuerwaffe besitzen. Damit sei man den Schützen und den Vollzugsbehörden „maximal entgegengekommen“, argumentiert Bern, wo die Reform sowohl von der Regierung als auch vom Parlament im vergangenen Jahr gebilligt worden war. Damit wolle man „die Tradition des Schweizer Schießwesens wahren“ und gleichzeitig sicherstellen, dass die Schweiz die Zusammenarbeit mit der EU im Bereich der Wirtschaft und der innere Sicherheit fortsetzen könne.

Das „Schweizer Schießwesen“

Die Schweiz ist zwar nicht EU-Mitglied, gehört aber seit 2008 zum EU-Schengenraum mit offenen Grenzen und muss solche Richtlinien deshalb umsetzen. Tut sie es nicht, so warnt jetzt Economiesuisse, der größte Dachverband der Schweizer Wirtschaft, trete Schengen „automatisch nach sechs Monaten außer Kraft“. Es gebe zwar eine kurze Frist, innerhalb der beide Seiten noch einmal verhandeln können, doch dann träten das Schengener und damit verknüpft auch das Dubliner Abkommen, das die Zuständigkeit für Asylanträge regelt, automatisch außer Kraft. „Es braucht keine Kündigung, von keiner Seite“, sagte kürzlich die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga.

Warnung vor Milliardenkosten

Was das bedeutet, schildern die Wirtschaftsvertreter in drastischen Worten: Außenhandel und Wettbewerb würden geschwächt, das Bruttoinlandsprodukt sinke, allein der Tourismusbranche drohten Ausfälle von jährlich bis zu 530 Millionen Franken. Und dass die Schweizer Strafverfolgungsbehörden auf das Schengen-Informationssystem zugreifen könnten, erhöhe mit bis zu 50 Fahndungstreffern pro Tag die Sicherheit. Kurz: Für die Schweiz sei wichtig, dass sie im Schengenraum verbleibe, die Reform sei „zumutbar“. Die Berner Regierung bezifferte den Schaden im Fall eines Austritts auf elf Milliarden Franken, das sind rund 9,8 Milliarden Euro.

„Laufgitterparagrafen“

„Wir werden darlegen, warum wir auch im Schengenraum verbleiben werden, wenn wir die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie ablehnen“, verkündet dagegen die IGS. Diese verstoße gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und sei auch nutzlos, denn bisher sei noch kein einziger Terroranschlag mit einer legal erworbenen Waffe verübt worden, argumentieren die Gegner des neuen Waffenrechts. Das sei nicht zuletzt antischweizerisch: „Wer so frei ist wie wir Schweizerinnen und Schweizer, braucht keine Laufgitterparagrafen für Viertelmündige!“ Bis 13. Februar läuft nun die Phase, in der Parteien, Kommunen, die Wirtschaft und „interessierte Kreise“ Stellung beziehen können.