Die Schweiz begrenzt die Zuwanderung aus der EU Foto: dpa

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erklärte im Gespräch mit den StN, er bedauere den Ausgang der Volksabstimmung in der Schweiz. „Aber wir müssen ernst nehmen, dass das Thema Zuwanderung die Menschen mobilisieren kann."

Stuttgart/Berlin/Chur - Nirgendwo berühren sich Baden-Württemberg und die Schweiz so intensiv wie in Konstanz und Kreuzlingen. Die beiden 85 500 und 18 500 Einwohner großen Städte am Bodensee bilden eine räumliche Einheit. Seit dem Abbau von Grenzanlagen im Zuge der bilateralen Verträge bilden Konstanz und Kreuzlingen ein Musterbeispiel für Personenfreizügigkeit. Auch pendeln viele Konstanzer täglich zum Arbeiten in die Schweiz. Die Abstimmung in der Schweiz wurde hier deshalb mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt.

Am Tag nach dem Schweizer Ja zu mehr Abschottung vermeidet man am See Aufgeregtheiten. „Konstanz pflegt seit vielen Jahren eine enge, freundschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Schweizer Nachbarn“, betonte am Montag ein Sprecher der Stadt. „Dass die Personenfreizügigkeit nun neu verhandelt werden soll, bedauern wir. Wir hoffen aber, dass innerhalb der nächsten drei Jahre eine Lösung gefunden werden kann, die insbesondere den vielen Pendlern hier in der Grenzregion entgegenkommt.“

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erklärte, er bedauere den Ausgang der Volksabstimmung in der Schweiz. „Aber wir müssen ernst nehmen, dass das Thema Zuwanderung die Menschen mobilisieren kann, nicht nur in der Schweiz – auch im Hinblick auf den Europawahlkampf“, sagte der CDU-Politiker den Stuttgarter Nachrichten. „Wir müssen im Europawahlkampf klarmachen, wie sehr die Menschen von der Freizügigkeit profitieren.“ Die Freizügigkeit sei einer der wesentlichen Fortschritte in Europa, auch als Quelle für Wohlstand und Wachstum. „Offenheit nützt uns, das müssen wir immer wieder klarmachen. Wir müssen der da und dort vorhandenen Europaskepsis begegnen. Bedienen sollten wir sie nicht“, sagte Schäuble. „Viele Menschen machen sich Sorgen, und wir müssen durch Argumente die Ängste nehmen. Dabei sollten wir – nach Luther – dem Volk aufs Maul schauen, aber nicht den Populisten nach dem Mund reden.“

Auch der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Rainer Wieland (CDU), sprach in Stuttgart von einer bedauerlichen Entscheidung. Die Schweiz könne sich im Verhältnis zur EU nicht „die Kirschen rauspicken“, sagte Wieland. Vielmehr handle es sich um ein Geben und Nehmen. Die politisch Verantwortlichen sollten miteinander und nicht übereinander reden.

Der Waldshuter Landrat Tilmann Bollacher (CDU) wurde deutlich. Die Abstimmung in der Schweiz rühre an einen Grundpfeiler europäischer Integration, sagte er. Die Schweiz riskiere damit einen handfesten Streit mit der EU.

In den Chefetagen deutscher Unternehmen in der Schweiz will man dagegen zunächst die Umsetzung der Volksinitiative abwarten. „Die Folgen für unser Unternehmen und unsere künftige Personalplanung kann man noch nicht abschätzen“, sagte der Geschäftsführer eines schwäbischen Maschinenbauunternehmens, das zwei Niederlassungen in der Deutschschweiz unterhält. „Jetzt ist es erst mal Aufgabe der Schweizer Regierung, die Entscheidung verfassungskonform umzusetzen.“

Die Schweizer hatten sich am Sonntag in einer Volksabstimmung mit 50,3 Prozent überraschend dafür ausgesprochen, die Zuwanderung aus der EU zu begrenzen. Künftig soll es jährliche Höchstzahlen und Kontingente für Ausländer in der Schweiz geben. Die Schweizer Regierung hat drei Jahre Zeit, den Beschluss umzusetzen.

Mit Entsetzen nahm der Schweizer Tourismus-Verband (STV) das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative zur Kenntnis. STV-Direktorin Barbara Gisi fürchtet negative Folgen: „Zum einen leidet das Image des Urlaubslandes Schweiz insbesondere bei unserer wichtigsten Gästegruppe aus Deutschland. Da kann man sich natürlich die Frage stellen, ob man als Tourist in ein Land reisen will, in dem man als Arbeitskraft unerwünscht ist“, sagte Gisi unserer Zeitung. „Diesen Reflex könnte ich nachvollziehen.“ Zum anderen fürchtet sie Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Personal, insbesondere im Hotellerie- und Gastronomiebereich. „Wir müssen nun darauf drängen, dass die Kontingente den Anforderungen in der Realität entsprechen, damit die Wirtschaft nicht abgewürgt wird.“

Erst vor gut einer Woche hat die Marketingorganisation Schweiz-Tourismus angekündigt, in den Jahren 2014 und 2015 sieben Millionen Franken (5,7 Millionen Euro) zusätzlich zu investieren, um mehr Gäste aus Deutschland in die Schweiz zu locken. Zuvor war die Zahl der Hotelübernachtungen von deutschen Touristen um 24 Prozent zurückgegangen. Jetzt dürfte das zusätzliche Geld vor allem der Schadenbegrenzung dienen.