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Eine Stunde braucht die alte Dampflok für die 7,6 Kilometer hoch aufs Rothorn. Der Ausblick lohnt.

Eine Stunde braucht die alte Dampflok für die 7,6 Kilometer hoch aufs Rothorn. Oben erwartet die Besucher ein toller Blick in die Bergwelt.

Fauchend speit die alte Lok Dampf aus dem Kamin. Es riecht nach verbrannten Kohlen und nach Öl. Trotzdem ist die Werkstatt der Brienzer Rothornbahn vergleichsweise sauber. Die Männer, die hier Hand an die Dampfloks anlegen, arbeiten penibel und konzentriert. Enrico Tarchini gießt fast andächtig ein paar Tropfen Öl aus dem silbernen Kännchen auf einen Kolben. Dann verreibt er es liebevoll mit einem Lappen. Albert Flück wienert mit Putzwolle auf einer blanken Fläche.

Die Inbrunst, mit der die beiden sich Lok Nummer 1 hingeben, kommt nicht von ungefähr. Der 64 Jahre alte Albert Flück ist der Lokführer, der ein Jahr jüngere Tarchini sein Heizer. Gemeinsam bereiten sie die 118 Jahre alte Dampfzahnradbahn auf ihre nächste Fahrt vor. Eilig haben sie es nicht. Genauigkeit und Sicherheit gehen vor.

Denn die einstündige Fahrt hinauf aufs Brienzer Rothorn hat es in sich. 7,6 Kilometer zieht sich die Strecke hin – und offenbart ein grandioses Panorama. Nach jeder Kehre ein anderer Blick hinab auf den 566 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Brienzersee sowie die Städte Brienz und Interlaken. Hier ein Turmfalke, der durch die Lüfte schwebt, und dort ein Adler, der über dem Boden kreist. Mehr als 100 verschiedene Blumen verwandeln die Wiesen in ein farbenprächtiges Blütenmeer. Auf dem 2244 Meter hohen Rothorn wartet ein grandioser Ausblick: Ist die Sicht klar, blicken die Reisenden auf die Eiger-Nordwand, den Mönch und die Jungfrau.

1678 Meter Höhendifferenz sind zu überwinden. Das geht nur mit einer Dampfzahnradbahn, die ihresgleichen sucht in Europa. Die Lok "stößt die Waggons von hinten", sagt Flück. Eine Lebensversicherung für die Passagiere. "Die Lok am Ende des Zugs ist wie ein Klotz auf der Schiene und bremst notfalls die Wagen", erklärt der Lokführer. Es geht durch sechs Tunnels und zwei Galerien, an der steilsten Stelle beträgt die Steigung 250 Promille, wie es in der Fachsprache heißt.

Kein Wunder, dass die Lok in Planalp, der Mittelstation, ein weiteres Mal gewartet und mit Wasser betankt wird. Denn die Maschine glüht. Hierher, nach Planalp, ist sogar schon Richard Nixon gekommen. 1968, als der damalige US-Präsident in Brienz zu Besuch war, wanderte er auf der 1341 Meter hoch gelegenen Planalp mit seiner 60-köpfigen Delegation in den Bergen des Berner Oberlands.

Gebaut hat die Rothornbahn der deutsche Ingenieur Alex Lindner (1839–1907). In Rekordzeit wurde 1889 die Konzession durch die eidgenössische Bundesversammlung zum Bahnbau erteilt. Schon im Sommer des gleichen Jahres ging es los. Bis zu 640 Mann arbeiteten an der Strecke – zwei von drei waren Italiener. Sie waren die Spezialisten für das Anlegen der Trockenmauern, die auch nach 118 Jahren noch sicher stehen. Der Streckenbau und die ersten vier Lokomotiven, darunter die Lok Nummer 1, kosteten damals zwei Millionen Schweizer Franken. Am 16. Juni 1892 schließlich wurde die Bahn eingeweiht. Die Bergfahrt kostete damals zehn, die Talfahrt sechs Schweizer Franken. 16 Franken entsprachen etwa drei Monatseinkommen eines Durchschnittsverdieners. So konnten sich anfänglich nur betuchte englische Urlaubsgäste die Fahrt aufs Rothorn leisten. Schon damals durften aber Kinder unter vier Jahren gratis mitfahren. Heute nutzen mehr als 150000 Fahrgäste pro Jahr die Bahn. Neben elf Dampfloks kommen auch vier Dieselloks zum Einsatz.

Albert Flück kennt sie alle. Wenn er mit Frau und Sohn – der natürlich ebenfalls Lokführer bei der Rothornbahn ist – zu Hause auf der Terrasse sitzt, spitzen sie die Ohren und raten um die Wette, welche Bahn gerade hochfährt. Ein "tsch, tsch, tsch" kündigt Lok Nummer 1 an. Es ist das Geräusch der Direktübertragung von Kolben zu Kolben. Lok Nummer 7 (Baujahr 1936) macht "dädädädädä". Flück erklärt: "Sie hat schon ein Getriebe. Der Ton ist eleganter, gedämpfter." Die neue, ölbefeuerte Lokomotivengeneration (Nummer 12 bis 16) der Baujahre 1992 beziehungsweise 1996 klingt hart.

"Taktaktaktaktak", macht Flück das Geräusch nach. "Die schlagen sehr stark und haben viel weniger Schwungmasse." Ist die Talfahrt beendet, fährt Flück die Lok wieder zurück ins Depot. Fauchend spuckt sie noch einmal Dampf aus. Dann nehmen die Männer wieder Ölkännchen und Putzwolle zur Hand – für die nächste Fahrt.

Spazieren am See oder wandern in den Schweizer Bergen

Anreise
Mit dem Auto über Schaffhausen oder Bregenz. Dann Richtung Luzern und auf der A8 bis Brienz. Mit dem Zug über Zürich bzw. Basel nach Brienz.

Unterkunft
Für Familien: Reka-Feriendorf Hasliberg, 16 Kilometer von Brienz entfernt. www.reka.ch. Grandhotel Giessbach unter www.giessbach.ch.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall sollten Sie in Brienz einen Spaziergang auf der Seepromenade unternehmen. Auf keinen Fall mit Sandalen in den Bergen wandern.

Rothorn-Bahn
Berg- und Talfahrt kosten rund 60 Euro. Kinder unter sechs Jahren bezahlen nichts. Saison: Juni bis Oktober: www.brienz-rothorn-bahn.ch

Allgemeine Informationen
Schweiz Tourismus: Telefon 00800/ 100200 30. www.MySwitzerland.com, www.brienz.ch.