In gestrecktem Galopp über die Eispiste: Das White-Turf-Pferderennen in St. Moritz fordert Pferden und Jockeys Höchstleistungen ab. Foto: Johannes Süss

White Turf in St. Moritz – das ist Pferderennen der Extraklasse auf einer 2.000 Meter langen Piste.

Beruhigende 80 Zentimeter misst die steinhart gefrorene Eisdecke des St. Moritzer Sees – die Wassertiefe darunter beträgt bis zu 44 Meter. Auf der 765.000 Quadratmeter großen Wasserfläche tummeln sich jedes Jahr an den ersten drei Februar-Sonntagen Tausende Besucher bei einem Rennspektakel, das einmalig ist in seiner Kombination aus Pferdesport, Naturerlebnis und Edel-Amüsement. Auch an diesem und am nächsten Sonntag jagen Rennpferde in verschiedenen Disziplinen über den gefrorenen See beim Feriensitz der Reichen und Schönen.

Der Schweizer Ort im Engadin, 1822 Meter hoch gelegen in einer Dauerschönwetterzone mit 322 Sonnentagen im Jahr und umrahmt von sanft geschwungenen Bergen, zieht ganzjährig die Haute-Volée aus aller Welt an. Events wie das White Turf sind perfekt zugeschnitten auf diese Klientel. Bei ungefähr zehn Minusgraden, aber meist strahlend blauem Himmel und gleißend hellem Sonnenlicht können die Besucherinnen und Besucher ungeniert zeigen, was sie haben: Knöchellange Pelzmäntel vor allem und überdimensionale Pelzmützen und -taschen, deren Anblick Tierschützern Tränen in die Augen treibt, dicke Uhren, teure Schneeschuhe und Sonnenbrillen.

Man kommt hierher, um zu sehen und gesehen zu werden, um in den schneeweißen Sponsoren-, Vip- und Catering-Zelten Schampus und Austern zu schlürfen oder um profane Bratwürste oder eine dampfende Bündner Gerstensuppe zu essen – und natürlich um Wetten abzuschließen.

Sechs Rennen in den Disziplinen Flachrennen (Galopprennen), Trabrennen und Skikjöring (reiterlose Pferde ziehen Skifahrer hinter sich her) gibt es gleich am ersten Rennsonntag, 67Pferde aus fünf Nationen sind am Start. Die Spannung knistert förmlich an den Schaltern des Wettbüros, wo man Sieg-, Stall-, Platz- oder andere Wetten platzieren kann – Mindesteinsatz zwei Franken. Margareth Pozzoli aus dem benachbarten Pontresina etwa, stets Gast beim White Turf, fiebert bei jedem der Rennen mit. Ob sie etwas gewonnen hat? "Für ein Glas Champagner wird es schon reichen", lächelt sie vielsagend.

Einer, der etwas von Pferden und Pferdewetten versteht, ist der Schweizer Markus Monstein. Der 36-jährige Bankangestellte, Sportjournalist und Wettspezialist ("Ich habe als 16-Jähriger mit den Pferdewetten angefangen") hat vor mehr als zehn Jahren mit Pferdetrainerin Natalie Friberg den Schweizer Rennstall Allegra gegründet. Der achtjährige Allegra-Schützling Rushing Dasher, liebevoll Rushdie genannt, hatte im vergangenen Jahr in St. Moritz das Flachrennen über 800 Meter um Längen gewonnen. Am ersten Rennsonntag dieses Jahres erreicht der braune Wallach im 1.100-Meter-Rennen Rang vier.

Monstein hat trotz der Routine vor jedem Start Lampenfieber. Wer die seltene Gelegenheit bekommt, bei den Vorbereitungen dabei sein zu können, versteht weshalb. Die Pferde werden am Vortag des Rennens nach St. Moritz gebracht – in eine Art Luxusdomizil: Futter und Stroh gibt es im Stall nur gegen Bares, ein Ballen Heu kostet stolze 20 Franken. Ein Hufschmied beschlägt die Pferde mit Alu-Stolleneisen, die später auf dem eisigen Untergrund der Rennbahn genügend Halt geben.

Rushing Dasher lässt diese Prozedur lammfromm über sich ergehen, zuckt und zickt nicht, er ist nicht einmal angeleint. So manches Schulpferd könnte sich ein Beispiel an dem disziplinierten Vollblüter nehmen. Kaum wird er jedoch ins Freie geführt, zeigt er jenen Ehrgeiz, der ihn zum Rennpferd macht. Alle Muskeln straffen sich, er schnellt ungeduldig nach vorn, würde am liebsten sofort losgaloppieren.

Nach einer kurzen Nacht beginnt endlich der Renntag. Im sogenannten Führring, wo alle Pferde dem Publikum kurz vor dem Start präsentiert werden, damit man sich einen Eindruck von deren Form machen kann, sind die meisten Tiere kaum mehr zu bändigen. Die Jockeys legen ihre Ausrüstung an: Zusätzlich zu den Helmen tragen sie Gesichtsmasken und Skibrillen. Jetzt kann es losgehen. Ein grandioser Anblick, vor allem wenn der Pulk der Pferde mit ihren jeweils in den Stallfarben gekleideten Jockeys um die letzte Kurve des Ovals biegt und auf der Zielgeraden einläuft, eingehüllt in eine leuchtend weiße Wolke aus aufwirbelnden Schnee- und Eisbröckchen, angefeuert von den Zuschauern, die sich ganz vorn an der hölzernen Balustrade drängen und gebannt den Ansagen zur aktuellen Reihenfolge lauschen. Die Wetteinsätze belaufen sich am ersten Renntag übrigens auf 83922 Franken. Beim dritten Rennsonntag am 21. Februar, dem Höhepunkt des White Turf, dürfte diese Summe noch deutlich höher ausfallen.

Wettexperte Monstein rät jedoch zur Mäßigung: "Vorsicht vor der Sucht. Anstatt mehr Geld zu setzen, sollte man lieber an seiner Strategie feilen. Die richtige zu wählen, macht glücklicher als ein hoher Gewinn."

White Turf in St. Moritz

White Turf
Das spektakuläre Pferderennen auf dem zugefrorenen St. Moritzer See gibt es seit 1907 – seit 1994 unter dem Namen White Turf.

Infos
Karten für den dritten Renntag am 21. Februar können online bestellt werden unter www.whiteturf.ch. Stehplatz 16 CHF, Tribünenplätze 50–60 CHF. An diesem Tag geht es um den mit 12.1121 CHF (rund 75.000 Euro) höchstdotierten Großen Preis von St. Moritz.

Preise
Für einen Euro erhält man etwa 1,47 Schweizer Franken (CHF).
Doppelter Espresso 4 Euro
Weizenbier 4,70 Euro
Nudelgericht 16,30 Euro
Einzel-Busfahrt innerhalb St. Moritz 2 Euro

Unterkunft
Um diese Zeit ferienbedingt schwierig, am besten über die St. Moritz Tourist Information, http://www.engadin.st.moritz.ch, Telefon 0041 8 18 30 00 01. Im Umkreis von etwa 25 Kilometern rund um St. Moritz Doppelzimmer in Hotels ab 150 Euro pro Nacht.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall sollten Sie wenigstens einmal früh aus den Federn – auch wenn in St. Moritz das Nachtleben in den teuren Clubs und Bars zelebriert wird. Skifahrer und Snowboarder können die perfekt präparierten Pisten im Skigebiet Corviglia/Piz Nair bereits morgens ab 8 Uhr in jungfräulichem Zustand genießen. White Carpet Experience heißt das Vergnügen, diverse Seilbahnen starten um 7.45 Uhr zur ersten Bergfahrt, http://www.engadin.stmoritz.ch/corviglia. Auf keinen Fall sollten Sie ohne Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor ins Freie gehen. Die Sonnenbrandgefahr ist enorm. Und nicht dem Reiz der Nobelboutiquen erliegen – das Preisniveau in der Engadiner Nobelgegend ist durchgehend gehoben.

Anreise
Mit dem Auto über Chur und den Julierpass (Vorsicht: Schneeloch). Reizvoll die Anfahrt mit der Bahn, zunächst mit den Schweizerischen Bundesbahnen bis Chur, ab dort mit der Rhätischen Bahn auf einer außergewöhnlichen Streckenführung. Der Engadin- Airport St. Moritz/Samedan, höchstgelegener Flughafen Europas, wird von Privatjets angeflogen.