Kapitän Granit Xhaka (re.) sorgt mit der Schweiz bei der EM für Furore. Foto: dpa/Robert Michael

Nach dem Erfolg über Italien wollen sich Granit Xhaka und die Schweiz nicht mit dem Erreichen des EM-Viertelfinales zufrieden geben. Dort wartet nun England.

Auch nach dem großen Triumph blieb sich die Schweizer Nationalmannschaft treu. Immer mit der Ruhe, lautete das Motto nach dem 2:0 gegen Italien. Oder wie es Nationalmannschaftdirektor Pierluigi Tami am Tag nach dem Viertelfinaleinzug ausdrückte. „Die Euphorie bei den Fans ist schön. Wir bleiben mit den Beinen am Boden.“

 

Für ausschweifende Feierlichkeiten war nach dem Sieg gegen das niedergeschlagene Nachbarland kein Platz. Von einer spontanen Pizza-Party noch auf der Tribüne des Berliner Olympiastadions einmal abgesehen. Ausgerechnet Pizza, was der Schweizer Boulevard genüsslich auskostete. Die Mannschaft landete derweil bereits am Sonntagnachmittag wieder in Stuttgart. Im Anschluss hielten die Helden von Berlin in ihrem Degerlocher Quartier noch eine kleine Regenerationseinheit ab.

Über ein Viertelfinale ist die Schweiz noch nie hinausgekommen

Das Ziel ist klar: Mit der Teilnahme am EM-Viertelfinale – weiter ist die Schweiz bei einem großen Turnier noch nie gekommen – will man sich nicht begnügen. „Wir haben unser erstes Ziel, die Vorrunde zu überstehen, erreicht. Wir haben unser zweites Ziel, das Achtelfinale zu überstehen, auch erreicht. Und jetzt geht es weiter“, sagte Kapitän Granit Xhaka vor dem Duell gegen England am Samstag (18 Uhr) in Düsseldorf.

Der Sieg gegen den noch amtierenden Titelträger von 2021 nach Toren von Remo Freuler und Ruben Vargas (37./46.) war nicht nur hochverdient. Er war auch ein Statement an die Konkurrenz, an alle anderen verbliebenen Mannschaften im Turnier. Mit dieser Schweiz ist zu rechnen! Der Geheimfavorit ist längst kein Geheimtipp mehr.

In nahezu allen Bereichen waren sie dem zweifachen Europameister überlegen. Technisch, taktisch, mental. Nicht zuletzt physisch, was Tami am Sonntag noch einmal herausstrich. In den vergangenen Turnieren ging der Schweiz oftmals im Achtelfinale der Saft aus. Nach der WM in Katar wurde an einigen Stellschrauben gedreht, der Bereich Athletik und Ernährung im Verband professionalisiert. Das zahlt sich nun aus. Zu sehen unter anderem an Granit Xhaka. Anders als andere große Spieler dieses Turniers wirkt der deutsche Meister und Pokalsieger mit Leverkusen trotz langer Dreifachbelastung nicht überspielt. Der 31-Jährige knüpft nahtlos an seine herausragende Form aus der Bundesliga an. Als Chefstratege, als Herz und Hirn, als Taktgeber – kurz: als Chef der Schweizer Mannschaft.

Die kleine Schweiz, das gilt nicht mehr

„Mein Fitnesslevel ist sehr gut. Bei uns fehlt kein Rhythmus, wir sind voll im Rhythmus drin.“ Und bereit für weitere Taten. Die kleine Schweiz, das gilt nicht mehr. Die Nationalspieler spielen allesamt bei großen beziehungsweise in dieser Saison sehr erfolgreichen Vereinen wie Leverkusen oder Bologna. Hinzu kommt der Hunger, endlich aus dem Schatten der Großen treten zu wollen. Nach dem Italien-Spiel zog Xhaka Parallelen zum Aufeinandertreffen bei der letzten EM, als es in der Gruppenphase ein 0:3 setzte. „Damals haben sie uns mit ihrer Körpersprache schon vor dem Spiel kaputt gemacht. Dieses Mal war es genau anders.“

Seither ist viel passiert bei der „Nati“. Unter anderem ein Konflikt zwischen Trainer Murat Yakin und seinem Kapitän sorgte im vergangenen Winter für Unruhe. Nach einem schlechten Qualifikationsspiel gegen den Kosovo (2:2) gerieten die beiden aneinander. Xhaka missfiel die Leistungsbereitschaft im Team und er artikulierte dies deutlich. Mit dem Abstand von sechs Monaten erwies sich der Konflikt als reinigendes Gewitter. „Die Zeit damals hat mir die Augen geöffnet“, sagt Xhaka. „ Wir haben nicht das gezeigt, was wir konnten und uns ausgesprochen. Seither gehen wir viel offener, ehrlicher und transparenter miteinander um.“

Xhaka spricht über den zurückliegenden Konflikt mit Trainer Yakin

Mit Erfolg. Nach einer insgesamt durchwachsenen EM-Qualifikation, in der Trainer Yakin auch medial unter Beschuss geriet, sind die Eidgenossen beim Turnier in Deutschland auf den Punkt perfekt eingestellt. Gegen England gehen sie am Samstag gewiss nicht als Außenseiter in die Partie. Weshalb zumindest auf der Pressekonferenz die Fragen aller Fragen erlaubt sein durfte: Ist die Schweiz gar reif für den Titel? Die Antwort von Granit Xhaka fiel ohne Umschweife aus: „Ich würde nicht soweit gehen zu sagen, dass wir das Turnier gewinnen. Aber ich kann sagen, dass wir bereit sind.“ Und: „Jeder bei uns will Titel gewinnen.“

Der 31-Jährige weiß nach dieser Saison schließlich nur allzu gut, wie das geht.