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Mit dem Velo bis zum Jungfraujoch und an den Bodensee. Eine beschauliche Zeitreise zu den schönsten Flecken der Schweiz.

Mönch und Jungfrau kuscheln sich eng aneinander, die schneeweiße Decke reicht ihnen bis zur Nasenspitze. Der Eiger erhebt sich links daneben. Drohend, wie eine Anstandsdame, die aufpasst, dass sich die beiden nicht näher kommen.

Die Zeitreisenden bestaunen das wuchtige Schauspiel, während sie nacheinander aus dem Postbus klettern. Das Gefährt, das wie ein Relikt aus einer vergangenen Epoche wirkt, hat die Teilnehmer der Fahrrad-Zeitreise durch die Schweiz auf die beinahe 2.000 Meter hoch gelegene Große Scheidegg gekarrt. Wie ein altersschwaches Väterchen ist das Nachfolgemodell der Postkutsche die engen Passstraßen nach oben geschnauft. An Bord Paket- und Briefsendungen nebst Fahrgästen. "In dünnbesiedelten Gebieten kann der gemeinsame Transport von Passagieren und Post eine Buslinie rentabel halten", erklärt Franz Hofmann.

Während er redet, prasselt der Regen unerbittlich auf seinen roten Transporter und den offenen Anhänger herunter, auf dem die Räder startklar sind für die Abfahrt. Seit zehn Jahren organisiert der schlaksige 1,90-Meter-Mann mit seiner Firma Eurovelo Touren für Sattelfeste. Der studierte Jurist und einstige Banker ist Perfektionist. Keinen Weg, den Hofmann nicht selbst mit dem Velo abgefahren, kein Hotel, dessen Betten er nicht persönlich einem Härtetest unterzogen hätte, bevor er es in sein Programm aufnimmt.

Doch gegen die Launen der Natur ist auch einer wie er machtlos. Die Kunst des Improvisierens ist nun gefragt. Statt wie geplant auf den Rädern gen Tal zu sausen, vorbei an Gletschern bis zum Ortsschild von Grindelwald, werden die Urlauber trockenen Fußes per Kleinbus ins Hundert Jahre alte Hotel chauffiert. Die Laune der 40- bis 60-jährigen Genussradler, "die nicht die sportliche Herausforderung suchen, sich aber gerne bewegen", wie Hofmann seine Kunden charakterisiert, ist an diesem Abend auf dem Tiefpunkt. Es juckt in den Waden, die Lungen wollen mit frischer Bergluft betankt werden. Als es nach einem Ausflug mit der mehr als 150 Jahre alten Wengeneralpbahn auf die Kleine Scheidegg und mit der Zahnradbahn aufs Jungfraujoch am fünften Tag der Reise endlich wieder heißt: "Aufsitzen", machen daher alle erwartungsfrohe Gesichter.

Am Abend, nach 56 Kilometern in den Oberschenkeln und mit Erinnerungen in den Satteltaschen an Interlaken, den spiegelblanken Thunersee und die wildromantische Strampelei entlang der Rhone nach Visp, kommen alle glücklich in Zermatt an. Der Weg durch das knapp 6.000 Einwohner zählende Bergnest wird allerdings zum Spießrutenlaufen. Die Jünger des steinernen Wahrzeichens mit dem pyramidenförmigen Gipfelkopf pilgern auch im Sommer in Scharen zur Stätte ihrer Anbetung und verstopfen die schmalen Gässchen des autofreien Örtchens. Statt mit Ski-, bezwingen sie in der warmen Jahreszeit eben mit Wanderstöcken den 4.478 Meter hohen Riesen. Dieser lugt schüchtern zwischen den Häuserfirsten hervor und ist doch überall präsent.

"Dem Matterhorn ist in Zermatt einfach nicht zu entkommen", sagt Reiner Lochmann anderntags mit gespielt entnervtem Ton in die Mikrofone eines lokalen Radiosenders, dessen junge Reporterinnen in den Panoramawagen des Glacier Express’ Reisende interviewen. Der emeritierte Professor aus Kornwestheim bei Ludwigsburg ist zusammen mit seiner Frau Marianne bereits zum neunten Mal mit Eurovelo unterwegs. Dass die Touren allesamt ein Thema haben, gefällt den Lochmanns. Viele der aus ganz Deutschland kommenden Radreisenden sind Wiederholungstäter. Wie Rudolf Blanke und Ursula Faust aus Cloppenburg, die bereits in Sizilien mit Franz Hofmann in die Pedale traten.

Bernd und Gertrud Langner aus Winsen unweit von Hamburg lassen sich dagegen zum ersten Mal alles auf dem Silbertablett servieren, die Koffer von Hotel zu Hotel transportieren und die Satteltaschen packen. Das reiselustige Paar ist sonst auf eigene Faust unterwegs. Einmal sind die beiden in Etappen von der dänischen Grenze bis nach Mailand gelaufen. "Wir sind immer dort weitergegangen, wo wir im Jahr zuvor aufgehört hatten", erzählt Bernd Langner.

Auch Margit und Klaus Mairhofer aus Stuttgart wollen sich einmal in den Ferien um nichts selbst kümmern müssen. "Einfach zurücklehnen und genießen", sagt die Mutter von drei Söhnen und lässt sich in die weichen Polster des Glacier Express sinken. Wenn sie den Kopf in den Nacken legt, schaut sie durch die Dachfenster des Waggons in unergründlich weites Blau. "Dem Himmel so nah", murmelt Reiner Lochmann im Sitz nebenan. Die Sonne scheint durch die blankgewienerten Scheiben, die Klimaanlage gibt alles, der satte Duft der grünen Matten und der würzige Geruch der Nadelbäume, die im Dampfloktempo vorbeiziehen, lässt sich nur erahnen. Wer sich den Knopf des Kopfhörers ins Ohr presst, erhält dagegen Gewissheit: Über die kleinen Geschichten und Anekdoten der Landstriche, durch die sich der langsamste Schnellzug der Welt seinen Weg von Zermatt nach St. Moritz bahnt.

Alles zu seiner Zeit

Der Bahnhof des oberwallisischen Ortes Visp ist demnach ein wichtiger Knotenpunkt der Matterhorn-Gotthard-Bahn. Im Dezember 2007 wurde der neue Lötschberg-Basistunnel eröffnet. Visp ist seither wichtige Drehscheibe der Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen (NEAT). Die Reisezeit nach Bern ist damit auf 55 Minuten verringert worden. Der Mann im Ohr flüstert einem auch zu, dass der Kanton Wallis mit seinen 5.000 Hektar Rebflächen das größte Weinanbaugebiet der Schweiz und das Klima hier mit jenem im Bordeaux vergleichbar sei. Die Weinterrassen schmiegen sich jenseits der Panoramafenster an die Steilhänge.

Zeitgleich ploppt im Abteil ein Korken und Rudolf Blanke gießt seiner Frau Ursula etwas von dem edlen Rebensaft ins Glas. Die Stimme vom Band säuselt derweil davon, dass der junge Churchill seine Ferien am Aletschgletscher verbracht hat.

Als schließlich das Wahrzeichen des Unesco Welterbes Rhätische Bahn angekündigt wird, kommt Bewegung in die Reisegruppe. Die Kameras werden gezückt, die Finger sind bereit, um auf den Auslöser zu drücken, wenn der 106 Jahre alte und 142 Meter lange Landwasserviadukt in den Fokus rückt. "Nach der nächsten Kurve müsste er kommen", ruft ein Passagier in Lauerstellung. Kurz darauf geht ein enttäuschtes Raunen durch den Waggon: Das denkmalgeschützte Bauwerk wird bis November für den Bahnalltag fit gemacht. In seinen maßgeschneiderten roten Stofffetzen schaut es aus, als sei der Verhüllungskünstler Christo in Albula zu Besuch gewesen.

Ursula Faust ist dennoch begeistert: "So etwas wie die Fahrt mit dem Glacier Express erlebst du nie wieder." Nach sieben Stunden Stillsitzen wollen die meisten Zeitreisenden allerdings gerne den gepolsterten Sessel gegen den Sattel tauschen. "Endstation, bitte alle aussteigen", heißt es für die Radfahrer im kleinen Bergdörfchen Samedan, von wo aus am nächsten Morgen das Höhentraining startet.

Auf 1.800 Metern ist die Luft dünn. Auf der Serpentinenstraße, die sich entlang der olympischen Rodelbahn aus dem Jahr 1948 nach St. Moritz schlängelt, keucht die Karawane der Stahlrösser nach oben. Das Pfeifen in der Lunge täuscht darüber hinweg, dass der Nobelkurort für sein Champagnerklima berühmt ist. Wer im Sattel eines Elektrofahrrades sitzt, ist klar im Vorteil.

Tags darauf nützt solch ein kleiner Hilfsmotor jedoch wenig. Ein Bus bringt die von der Etappe des Vortags Berauschten hinauf auf den fast 2.300 Meter hohen Albulapass. Oben angekommen, geht es kilometerlang nur noch abwärts. Im Zeitraffer ziehen die Vegetationsstufen vorbei: Geröllwüste, spärliches Grün, Nadelbäume, saftig grüne Almwiesen. Der Bremszug ist gelockert, Glückshormone schwimmen durch die Blutbahn. Der Fahrtwind ist der beste Chirurg. Er zieht die Mundwinkel nach oben, lässt Wangen ganz ohne Rouge erröten und zaubert ein Funkeln in die Augen.

Info Zeitreise: Eurovelo feiert 2009 sein zehnjähriges Firmenjubiläum. Die daher ins Programm aufgenommene Zeitreise führt mit historischen Bahnen, Schiffen und dem Zweirad zehn Tage lang durch Landschaften und an Orte in der Schweiz, die ebenfalls einige Jährchen auf dem Buckel haben. Start- und Zielpunkt ist Zürich. Man kann also mit dem Auto anreisen, oder mit der Bahn fahren (ab Stuttgart oder München direkt). Obwohl es ab und an über Pässe geht, ist die Tour leicht, mit wenigen Herausforderungen. 2010 wird die Schweizer Zeitreise jeweils im Juni, Juli, August und September stattfinden. Chef von Eurovelo ist Franz Hofmann. Der 45-jährige Südtiroler, der mit einer Schweizerin verheiratet ist und in Grindelwald lebt, hat vor einem Jahrzehnt sein Hobby zum Beruf gemacht. Seine Spezialität: Gemütliche Radreisen, bei denen auch Kultur, Wein oder Wellness eine Rolle spielen .

Neu im Programm von Eurovelo: Kulturreisen mit dem Rad in Marokko, Andalusien und Tschechien sowie eine Vier-Länder-Tour durch Polen, Russland, Lettland und Litauen. Infos und Buchung: Eurovelo, Tel. 00 41 / 33 / 8 53 56 66 http://www.eurovelo.ch.