Noch nicht im „Abschiedsmodus“: Kretschmann vor der Landespresse Foto: dpa/Markus Lenhardt

Seine Regierungszeit geht dem Ende entgegen. Doch worin er seine größten Erfolge sieht, will Winfried Kretschmann noch nicht verraten – anders als Partei und Landtagsfraktion.

Eigenlob stinkt, hieß es früher einmal. In der Politik wurde das schon bisher wenig beherzigt. Vollends passé scheint es, seit ein US-Präsident sich hemmungslos selbst preist und bei passenden wie unpassenden Gelegenheiten mit seinen – oft nur angeblichen – Erfolgen prahlt. „Bescheidenheit ist ein Zier, doch weiter kommt man ohne hier“: der Volksmund scheint da gerade bestätigt zu werden.

 

Doch es gibt noch Politiker, die bescheiden sind oder sich bescheiden geben – zum Beispiel Winfried Kretschmann. Eigenlob will dem grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg partout nicht über die Lippen kommen. Seine bald 15-jährige Amtszeit neigt sich dem Ende entgegen, in acht Monaten tritt er ab, da könnte man allmählich Bilanz ziehen.

„Noch nicht im Abschiedsmodus“

Worin sieht Kretschmann (77) die drei größten Erfolge seiner Regierungszeit? Zweimal schon wurde er das bei seinem wöchentlichen Auftritt vor den Landesmedien gefragt, kurz vor und kurz nach der landespolitischen Sommerpause. Wo sonst eher kritische Punkte angesprochen werden, hätte er also ausführen können, was ihm aus seiner Sicht besonders gut gelungen ist. Doch das wollte er nicht.

Den ersten Versuch konterte der Premier kurz und bündig: für eine Bilanz sei es noch zu früh. Beim zweiten Anlauf diese Woche erklärte er sich ausführlicher. Er sei noch „nicht im Abschiedsmodus“ und denke nicht daran, sein Amt allmählich auslaufen zu lassen. Gerade habe man sich im Kabinett mit fünf Gesetzesvorlagen befasst, es werde also noch auf Hochtouren gearbeitet. Gedanken über seine Bilanz mache er sich später einmal – aber eigentlich überlasse er das lieber anderen, etwa den Medien.

An Problemen mangelt es nicht

Hat die Bescheidenheit womöglich auch damit zu tun, dass es an handfesten Erfolgen mangelt? Mit seinem besonnen-pragmatischen Regieren und seiner gesamten Persönlichkeit hat Kretschmann bei Bürgerinnen und Bürgern großes Vertrauen gewonnen – auch wenn die Beliebtheitswerte inzwischen bröckeln. Doch wie steht Baden-Württemberg da nach anderthalb Jahrzehnten grüner Regentschaft? Die Autoindustrie im Kampf gegen den Abstieg, die Schulen ins Mittelmaß abgerutscht, die Bürokratie kaum gebremst – an Problemen mangelt es nicht.

Zumindest die Grünen lassen sich nicht zweimal bitten, auch das Gelungene herauszustellen. Die drei größten Erfolge von Kretschmann? Dazu nahmen Landesverband und Landtagsfraktion auf Anfrage unserer Zeitung gerne Stellung. Vor allem Anderen steht für die Landesvorsitzende Lena Schwelling die „Politik des Gehörtwerdens“. Nirgendwo in Deutschland könnten sich „die Menschen so intensiv an der Politik beteiligen wie in Baden-Württemberg“. Statt von oben zu verordnen würden Zukunftsaufgaben gemeinsam angegangen.

Ökonomie und Ökologie verbunden

Inhaltlich lobt Schwelling besonders die Verbindung von Ökonomie und Ökologie: Es sei gelungen, den Ausstoß an Treibhausgas deutlich zu senken und gleichzeitig die Wirtschaft zu stärken. Seit 2011 seien eine Million sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Südwesten zusätzlich entstanden. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung sei von 18 auf 55 Prozent gestiegen. Das Land erlebe einen „Solarboom“, mehr als 1600 Windkraftanlagen seien „in Arbeit“. Zugleich habe Kretschmann „die Innovationskraft des Landes gestärkt“ – und damit die Grundlage für den Wohlstand von morgen. Zwanzig Milliarden Euro seien in Zukunftstechnologien geflossen, das Land habe sich „zum Hotspot für Künstliche Intelligenz“ in ganz Europa entwickelt. Zudem habe man den Naturschutz ins Zentrum gerückt, etwa mit dem ersten Nationalpark.

„Verstaubtes Land kräftig durchgelüftet“

Auch der Fraktionschef Andreas Schwarz schickt ein allgemeines Lob voraus: Kretschmann und die Grünen hätten das Land „moderner, fortschrittlicher, weltoffener und ökologischer gemacht“. Noch 2010 habe es als verstaubt und konservativ gegolten, dann sei „kräftig durchgelüftet“ worden. Mit den Menschen werde nun „auf Augenhöhe“ kommuniziert, jeder könne sich einbringen. Wirtschaft und Innovationen nennt Schwarz als zweiten Punkt. Mit dem „Strategiedialog Automobilwirtschaft“ sei der Premier da neue Wege gegangen. Leitbranchen seien gestärkt, Zukunftstechnologie gefördert worden. Zudem habe er gezeigt, dass Klimaschutz und wirtschaftlicher Erfolg zusammen gehören.

Kretschmann selbst betrachtet seine Bilanz übrigens noch keineswegs als abgeschlossen. In den nächsten Monaten geschehe ja „noch Vieles“, begründete er seine Zurückhaltung, das auch dazu gehöre.