Frank Gaiser spielt den Wunderheiler Morlok. Foto: Hamann

Der Morlokhof im Schwarzwald gehörte einer geheimnisvollen Heilerfamilie. Nun schlüpft ein Schauspieler in die Rolle des Magiers.

Baiersbronn - Donnerstags klebt sich Frank Gaiser (45) einen schwarzen Schnauzbart an, versteckt den Kurzhaarschnitt unter einer buschigen Perücke und zieht einen altertümlichen Anzug über. Er verwandelt sich in den 1940 verstorbenen Johann Friedrich Morlok, den letzten einer Sippe von sagenhaften Wunderheilern aus Mitteltal. Originalgetreu kostümiert begrüßt er die Gäste. Rund 30 Besucher sind an diesem Abend in den Morlokhof gekommen, um gut zu essen, zu lachen, in die Geschichte einzutauchen und etwas über die geheimnisvolle Besitzerfamilie zu erfahren.

Der Morlokhof liegt auf einer kleinen Anhöhe über dem Baiersbronner Teilort Mitteltal. Er gilt als eine der letzten vollständig erhaltenen Hofanlagen des späten 18. Jahrhunderts im Nordschwarzwald. Das Hauptgebäude ist ein für die Region typisches Einfirsthaus mit Stall und Scheune. Daneben stehen ein Backhäusle sowie das sogenannte Leibgedingehaus mit Werkstatt, in dem früher die Eltern des aktiven Bauern ihr Altenteil bekamen. Rundherum liegen Streuobstwiesen und ein hübsch angelegter Gemüse- und Kräutergarten.

Dass alles so gut erhalten und gepflegt dasteht, ist das Verdienst von Hermann Bareiss. 2003 kaufte der Baiersbronner Hotelier einer Erbengemeinschaft den jahrzehntelang vernachlässigten Hof samt Ackerland, Wiesen, Quelle und Brennrecht ab. Eine Enkelin des letzten Wunderheilers hatte bis zum Jahr 2000 dort gewohnt – ohne fließend Wasser und Strom. Seither standen die Gebäude leer. Hermann Bareiss ließ den Hof liebevoll-akribisch restaurieren. Die Architektin Sabine Rothfuß, wie der Hotelier eine gebürtige Mitteltalerin, leitete die Arbeiten fachkundig. Das Ergebnis wurde mehrfach ausgezeichnet. 2008 bekam Bareiss den Denkmalschutzpreis des Landes Baden-Württemberg, 2011 folgte der Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege.

Oft soll der faule Zauber tatsächlich geholfen haben

Um die frühere Besitzer-Familie ranken sich im Murgtal spannende und auch ein bisschen gruselige Geschichten. „Sie behandelten sowohl Mensch als auch Vieh und sollen über magische Kräfte verfügt haben“, erzählt Frank Gaiser. „Es gibt Leute, die betreten dieses Gelände bis heute nicht. Aus Angst, der Geist des alten Hexenmeisters ginge noch um.“ Mit Hexerei, Hokuspokus und Handauflegen haben mehrere Morlok-Generationen ihre Patienten von bösen Flüchen befreit und Zipperlein verschwinden lassen, bei denen Schulmediziner machtlos gewesen seien, so heißt es. Die Methoden der Wunderheiler waren ziemlich ungewöhnlich: eine lebendige Forelle auf den Leib binden, bis sie verendet. Oder über ein vom Blitz getroffenes Stück Holz urinieren, und das danach verbrennen. Kuren können im wahrsten Sinne kurios sein. Oft soll der faule Zauber tatsächlich geholfen haben – weil er die Selbstheilungskräfte der Patienten aktivierte. „Glauba miasset er, ihr Tropfe!“ lautet ein überliefertes Zitat.

Dass die Familie Morlok auf den Placebo-Effekt spekulierte, weiß man aus erster Hand. Im Januar 2005 wurde bei der Restaurierung der sogenannte Morlokschatz gefunden: eine Spanschachtel mit 132 Dokumenten, Anleitungen für Tinkturen und Salben sowie Beschwörungsformeln. Alles auf Hebräisch und Latein. „Die Sprachen haben sie von den Mönchen der Klöster im Nordschwarzwald gelernt“, so Gaiser. Dazu fand man Schutzbriefe, Amulette und ein Kistchen mit Arzneifläschchen. Vermutlich handelt es sich dabei um Sicherheitskopien. Die Schachtel lag unter den Bohlen des Fußbodens der Knechtskammer versteckt. Für Historiker ist der Fund eine kleine Sensation. Teile davon sind in Vitrinen in der Scheune ausgestellt.

Doch der Morlokhof ist mehr als eines von vielen Heimatmuseen. Hotelier Bareiss wollte den Hof nicht nur für die Nachwelt erhalten, er nutzt ihn auch als Veranstaltungsort. „Man kann hier alles feiern – von der Taufe bis zur Scheidung“, sagt der Patron mit einem Augenzwinkern. Beliebt sind vor allem die kulinarischen Erlebnisabende im Morlokhof – sowohl unter den Gästen des Hotels als auch bei externen Teilnehmern.

Während der Vorstellung wird ein historisch inspiriertes Menü serviert

Frank Gaiser lässt mit Witz, Charme und Fachwissen den Hexenmeister wieder auferstehen – so täuschend echt, dass sich die anwesenden Kinder vor ihm fürchten. Im Ort nennt man den Hobbyschauspieler bereits scherzhaft „Morlok“. So intensiv hat er sich mit seiner Paraderolle auseinandergesetzt. Frank Gaiser lebt seit 20 Jahren in der Nachbarschaft des Morlokhofs und ist seither von diesem Ort fasziniert. Er befragte Zeitzeugen und durchforstete Archive, um so viel wie möglich über die Wunderdoktoren und ihre Heilkünste zu erfahren. Inzwischen gilt er als ausgewiesener Kenner des Mythos. Einen besseren Moderator der kulinarischen Erlebnisabende in dem Gehöft hätte Hermann Bareiss wohl kaum engagieren können. Denn Frank Gaiser schauspielert nicht nur gerne, er hat auch einen medizinisch-kritischen Fachblick auf die Geschichten – als hauptberuflicher Rettungsassistent beim Roten Kreuz Freudenstadt.

Während seiner Vorstellung wird den Gästen ein historisch inspiriertes Menü aus regionalen Zutaten serviert: Kräuterrahmsüppchen, Wels, Schweinefilet, Erdbeeren und Holunder. Die mit einem geschwungenen „M“ verzierten Teller kommen aus einer modernen Gastronomieküche. Wie die alten Morloks gekocht haben, lässt sich bei einem Rundgang zwischen den Gängen besichtigen. Die alte rußgeschwärzte Küche ist noch komplett erhalten. Ebenso wie der Stall und die Vorratskammer. Die ist übrigens vergleichsweise groß: denn bezahlt wurde der Wunderheiler oft in Naturalien.

Derweil erzählt der „Hausherr“ aus dem Nähkästchen. „Wir Morloks haben eine Bibel, in der es auch ein sechstes und siebtes Buch Mose gibt. Das ist die Grundlage der schwarzen und weißen Magie, die hier früher betrieben wurde“, sagt Frank Gaiser. Die Leute seien von weither nach Mitteltal gereist, um ihre Zipperlein behandeln zu lassen. „Sogar aus dem Badischen!“, ruft der verkleidete Wunderheiler. Doch selbst das kann einen Teufelsdoktor nicht erschrecken.