Global bekanntes Kulturgut: die Schwarzwälder Kirschtorte. Foto: dpa

"Auch in der einfachen Dorfwirtschaft wird in der Regel gut gekocht": Der Gastronom Meinrad Schmiederer über die Zukunft des Schwarzwald-Tourismus und den Unterschied zwischen Titi- und Mummelsee.

Herr Schmiederer, beim Wort Schwarzwald leuchten die Augen von Feinschmeckern. Die waren aber noch nie in einer einfachen Dorfwirtschaft, oder?
Auch in der einfachen Dorfwirtschaft wird in der Regel gut gekocht. Die Erwartung, dass man im Schwarzwald gut isst, ist allgemein berechtigt.
Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt, Küchenchef im Restaurant Schwarzwaldstube in Baiersbronn, hat einmal geklagt, man bekomme nirgends mehr ein gut gemachtes Hacksteak.
Das stimmt so nicht. Hacksteak gibt’s zum Beispiel bei mir auf der Renchtalhütte (lacht). Aber der Geschmack hat sich natürlich verändert. Typische Gerichte von früher wie Sauerbraten, Gulasch und Rinderroulade sind auf dem Rückzug. Die Gäste wollen heute leichtere Küche. Aber auch die ist gut.
Viele Speisekarten lesen sich doch wie die Inhaltsangabe der Tiefkühltruhe.
Das kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil: Die Vielfalt, die wir noch vor 25 Jahren hatten, ist kaum mehr aufrechtzuerhalten. Dazu benötigt man Personal, und das ist teuer.
Die Geschmäcker werden immer internationaler. Kann regionale Küche angesichts von Spaghetti und Sushi überleben?
Ja, ein gutes Wiener Schnitzel hat nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Gästegunst. Oder ein Zwiebelrostbraten. Oder nehmen Sie Bratkartoffeln: Die kommen wieder in Mode. Ich stelle eine gewisse Trendwende fest. Wir sind zwar mediterran orientiert, aber gleichzeitig auch regional.
Vom Schwarzwald aus ist es nicht weit in die Schweiz und nach Frankreich. Macht sich das bemerkbar?
Ich glaube schon. Auf dem Dollenberg gab es zu meiner Kindheit noch nicht mal eine Straße, aber es war völlig normal, dass unsere Mutter im Frühjahr Froschschenkel zubereitet hat – wie auf der anderen Rheinseite.
Gibt es überhaupt eine spezifisch Schwarzwälder Küche?
Die badische, die schwäbische und die Schwarzwälder Küche haben viele Gemeinsamkeiten. Im Badischen sagt man halt Knöpfle, im Schwäbischen Spätzle. Gefüllte Kalbsbrust, Kalbsnierenbraten oder Rindfleisch mit Meerrettich gibt’s links und rechts des Schwarzwalds.
Und was ist typisch für den Schwarzwald? Sagen Sie jetzt nicht Kirschtorte, denn die Urheberschaft darauf beanspruchen ja auch Konditoren in Tübingen und Bad Godesberg.
Das Schäufele zum Beispiel ist eine Spezialität aus dem badischen Schwarzwald. Wir haben den Schwarzwälder Schinken, dessen Name sogar geschützt ist. Und die Geschichte der Kirschtorte beginnt gewiss auch hier. Oder nehmen Sie Wildgerichte: Der Rehrücken Baden-Baden mit Pilzen, Preiselbeeren und Birnen ist ein Klassiker der internationalen Küche. Auch Forelle blau ist typisch für den Schwarzwald. Und legendär.
Warum das?
Weil jeder Dorfgasthof ein kleines Becken besaß, aus dem die Forelle lebend herausgenommen wurde, kurz bevor sie in den Kochtopf wanderte, ganz frisch also.
Dorfgasthöfe findet man immer seltener. Ist es schwer, mit Gastronomie zu überleben?
In der Tat. Sie müssen aber zwischen Nord- und Südschwarzwald unterscheiden. Der Süden ist nun mal attraktiver. Ich sag’ es mal so: Auf dem Mummelsee kann man nur mit kleinen Booten fahren, auf dem Titisee aber mit dem Schiff. Sie finden im Nordschwarzwald einzelne Skilifte, am Feldberg aber einen Skizirkus, der mit manchen Destinationen der Alpen konkurrieren kann.
Aber im Norden gibt es doch die Bäder.
Stimmt. Die haben der Region früher viele Gäste beschert hat. Doch seit den 90ern ist das nicht mehr so. Das liegt zum einen am gesundheitspolitischen Sparkurs, aber auch daran, dass das Thermalwasser an medizinischer Bedeutung verloren hat. Darunter leidet der Nordschwarzwald.
Was bedeutet „er leidet“?
Ich habe das für das Gebiet zwischen Bad Herrenalb, Bad Wildbad, Freudenstadt, Bad Peterstal und Baden-Baden mal ausgerechnet. Hier gibt es im Vergleich zu früher jährlich zweieinhalb Millionen Übernachtungen weniger. Das wirkt sich natürlich auch auf die Gaststätten aus.
Welche Zukunft hat dann die Gastronomie?
Für mich ist klar, dass nicht jedes Hotel eine riesige Wellness-Abteilung bauen kann. Kleinere Häuser können das nicht stemmen. Es gibt dafür auch keinen Bedarf. Der Schwarzwald benötigt aber eine Attraktion, die dem heutigen Tourismus gerecht wird.
Das heißt für zwei, drei Übernachtungen?
Wenn heute ein Gast zehn Tage bleibt, ist er schon Langzeitgast. Als ich im Schlosshotel Bühlerhöhe Hotelkaufmann gelernt habe, kamen manche Gäste im Mai und gingen im September. Heute bleiben viele nur ein Wochenende, da aber wollen sie etwas erleben.
Etwa im Nationalpark?
Ich glaube, dass der touristische Erfolg nicht so groß sein wird wie erhofft. Wir haben nun mal keine Niagara-Wasserfälle. Deshalb müssen wir andere Attraktionen schaffen. Zum Beispiel ein Tierreservat mit Wölfen, Bären und Elchen, das den Nationalpark auf mindestens 1000 Hektar ergänzt.
Wird der Schwarzwald gut genug vermarktet?
Der Name Schwarzwald ist gut. Das zeigen die steigenden Übernachtungszahlen. Nach wie vor machen ja 62 Prozent der Deutschen Urlaub in Deutschland. Wir müssen aber einen Erlebniskick bieten, und da haben alle Mittelgebirge Probleme. Der Städtetourismus etwa ist ausbaufähig. Es hapert schon beim Nahverkehr. Wir müssen erreichen, dass die Schwarzwald-Gäste auch schnell in attraktive Großstädte wie Freiburg, Baden-Baden, Konstanz und Straßburg kommen. Selbst nach Stuttgart sind es vom Dollenberg aus nur etwa 100 Straßenkilometer.
Fehlt es an Geld?
Wir müssen umdenken. Heute kann man den Schwarzwald nur noch als Gesamtpaket vermarkten. Die einzelnen Betriebe müssen dann so interessant sein, dass der Gast sagt: Da will ich hin. Trotzdem vermarkten wir weiterhin einzelne Gemeinden. Dieses Geld verpufft. Es wäre besser beim Tourismusverband in Freiburg aufgehoben, damit wir mit Tirol oder Südtirol mithalten können.