Vor ihrem Gang in die Kirche von Kirnbach richten die drei Konfirmandinnen Saskia Keck, Anne Müller und Luisa Wolber (v.l.) ihre Tracht. Foto: dpa

Der Alltag im Ferienparadies Schwarzwald kann ganz schön unromantisch sein.

Freudenstadt - Achtung, dies ist keine Urlaubsbroschüre. Lobpreisungen über den Schwarzwald als Traumziel für Wanderer, Feinschmecker und Mountainbiker gibt es schon genug. Die Werbemaschine ist gut geölt, und sie läuft bereits seit 100 Jahren.

So hat man auch in Chicago oder Peking eine Ahnung davon, was es mit Bollenhüten, Kirschtorten und Kuckucksuhren auf sich hat. Der Schwarzwald, so befand jüngst die Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers, sei „auch international unter dem Begriff Black Forest gut positioniert“.

Es ist ja auch nicht falsch, was Reiseführer wie der Baedeker schreiben: „Mit seinen dunklen Wäldern, duftenden Bergwiesen, rauschenden Bächen ist der Schwarzwald Inbegriff einer heilen Welt.“ Eine eigene Note im Baustil, in den Bräuchen, in der Küche und in der Sprache macht die Region unverwechselbar.

Jenseits der Postkartenidylle gibt es noch einen anderen Schwarzwald

Deutschlands größtes Mittelgebirge ist, um es im Werbedeutsch zu sagen, eine Marke. Und deshalb wie geschaffen für den Urlaubsprospekt. Die Menschen, die an dieser Kulisse mitbauen, profitieren davon. Mit einem Bruttoumsatz von mehr als acht Milliarden Euro jährlich ist der Tourismus der bedeutendste Wirtschaftsfaktor zwischen Pforzheim und Schopfheim.

Doch jenseits dieser Postkartenidylle gibt es noch einen anderen, einen alltäglichen Schwarzwald, und der kommt mitunter ziemlich trist daher. Ein paar Schlaglichter darauf: Wer mit dem Auto durch das Enztal in Richtung Wildbad fährt, dem springen an vielen Häusern Schilder mit der Aufschrift „Zu verkaufen“ ins Auge.

Wer in einem Dorf einen Laden, eine Bank oder gar einen Arzt sucht, der gibt besser Gas, denn diese Dienstleistungen werden nur noch selten angeboten. Und wer winters in hoch gelegenen Städten wie St. Georgen krank wird, der kann nur hoffen, dass die Straßen geräumt sind, denn die kleine Schwarzwaldklinik vor der Haustür hat das Zeitliche gesegnet.

Wer im Schwarzwald aufwächst, leidet unter Abgeschiedenheit

Klagen über den dürren Busfahrplan gehören in den Gemeinderatssitzungen zum Evergreen – wobei die Frage nach Ursache und Wirkung erlaubt sei: Wer würde Bus fahren, wenn es eine Verbindung gäbe? Den Jugendlichen hilft das nicht weiter. Wer im Schwarzwald aufwächst, leidet unter der Abgeschiedenheit und fährt mangels Alternative schon mal mit dem Traktor ins Kino. Wobei dieses Gefährt auf den schlaglochnarbigen Straßen durchaus von Vorteil ist.

Die Szenen spiegeln Probleme des ländlichen Raums an sich. Sie sind Folge eines „Zangengriffs“, wie Fachleute sagen: Der Nachwuchs bleibt aus, und junge Erwachsene wandern ab. So ging in Triberg die Bevölkerungszahl in den vergangenen 30 Jahren um mehr als 20 Prozent zurück, in Schonach um 18 Prozent, in Furtwangen um 12 Prozent – während sie landesweit anstieg. Im Schwarzwald fällt dieser Wandel noch dramatischer aus als andernorts. Und im „Zentralmassiv des deutschen Gefühls“, wie ein Autor die Region einmal umschmeichelte, wirkt dieser Kontrast auch härter.

Jedenfalls wirft er die Frage auf: Können beide Welten, die der Touristen und die der Einheimischen, unabhängig voneinander existieren? Die These lautet: Das ist unmöglich. Der Schwarzwald hat als Urlaubsort nur dann eine Zukunft, wenn er auch für die Einheimischen lebenswert bleibt.

Matten, Almen und Hochebenen brauchen jemanden, der sie pflegt

Zugegeben, das alles ist überzeichnet. Den Schwarzwald an sich gibt es ja auch gar nicht – jedenfalls nicht kulturgeschichtlich, wirtschaftlich oder verwaltungstechnisch. Ein Unterschied liegt offen zutage: Der Süden mit seiner Höhenlandwirtschaft ist dank der vielen freien Flächen ungleich attraktiver als der Norden – auch wenn das die Murg- oder Enztäler nicht gern hören.

Das Paradoxe am Schwarzwald ist ja: Er ist gerade dort am schönsten, wo er eben nicht aus schwarzem Wald besteht. Sondern wo der Mensch die Natur zähmt und nutzt. Doch gerade diese für den Tourismus so wertvolle Kulturlandschaft rund um Feldberg oder Belchen ist fragil. Denn die Matten, Almen und Hochebenen benötigen jemanden, der sie pflegt. Das können nur Bauern sein, kommunale Mähtrupps wären mit der Fläche überfordert. Doch auch hier „macht sich die Jugend vom Acker“, wie eine Lokalzeitung den Trend einmal treffend überschrieb.

Im Landkreis Waldshut zum Beispiel ist nur auf jedem fünften Hof die Nachfolge geregelt. Das hat unlängst eine Landwirtschaftszählung ergeben, die alle zehn Jahre stattfindet. Andernorts sieht es nicht besser aus. Viele Landwirte fühlen sich von der Politik im Stich gelassen.

Die Schwarzwaldhochstraße ist die einstige Traumroute Deutschlands

Die Fernsehfamilie der Fallers hätte ihren Bauernhof in der Realität wahrscheinlich längst aufgegeben, denn Höhenlandwirtschaft lohnt sich trotz der Subventionen nicht mehr. Wenn dann noch ein Wirtschaftsminister in Stuttgart darüber räsoniert, es schade nicht, wenn einige Täler zuwachsen, schlägt das den Einheimischen gewaltig aufs Gemüt.

Der Norden hat andere Probleme. Bei einer Fahrt über die Schwarzwaldhochstraße, der einstigen Traumroute Deutschlands, sind die Hotelruinen nicht zu übersehen: Hundseck zum Beispiel oder Plättig oder Sand. Allzu lange haben sich die Gastronomen hier auf den Zahlungen der Kranken- und Rentenversicherungen ausgeruht.

Die an Bädern reichen Täler an Alb, Rench, Nagold, Enz oder Murg haben jahrzehntelang Heerscharen aus dem Ruhrgebiet und anderen Stadtregionen angelockt. Doch diese staatlichen Wohltaten gibt es nicht mehr. Unter den Folgen der Gesundheitsreformen leidet die Region noch heute.

Gefragt sind schnelle Internetverbindungen

Umso größer sind die Hoffnungen, die viele Gastronomen in den neuen Nationalpark setzen, der zwischen Baden-Baden und Baiersbronn entsteht. Dass er Borkenkäfer anlockt, ist sicher. Aber auch zahlende Naturliebhaber? Ob die sich selbst überlassenen Wälder und Moore ausreichen, um eine touristische Trendwende einzuleiten, ist jedenfalls umstritten.

Eine Alternative zu dem Projekt haben die Gegner allerdings nicht. Mag auch der positive Effekt nicht sofort eintreten: Der Nationalpark bietet dem Norden immerhin die Chance, dass er besser von der Marke Schwarzwald profitiert, dass Arbeitsplätze entstehen und junge Menschen bleiben.

Um dies zu erreichen, muss die Politik jedoch noch erheblich mehr tun. Dazu gehören solch profane Dinge wie schnelle Internetverbindungen. Firmen oder Familien überlegen sich den Hausbau dreimal, wenn sie damit rechnen müssen, online im Schneckentempo unterwegs zu sein. Das aber ist eher die Regel als die Ausnahme.

Mit Masse allein ist dem Schwarzwald nicht geholfen

Zu einer guten Infrastruktur gehören auch Straßen, die diesen Namen verdienen, und Schienen. Wenn man im Kreis Calw versucht, die einstige Schwarzwaldbahn zu reaktivieren, um die Brücke zum Großraum Stuttgart zu schlagen, verdient das alle Hilfe der Landespolitik. Dass die Menschen im Schwarzwald die Hände in den Schoß legen, kann man jedenfalls nicht behaupten. Eigeninitiative zeigen sie schon seit den Zeiten, als sie in langen Winternächten ihre Kuckucksuhren zusammenbauten, um sie in alle Welt zu verkaufen.

Ein paar aktuelle Beispiele: Um Dorfläden und Wirtshäuser wieder zu beleben, gründen Idealisten vielerorts Genossenschaften, so in St. Märgen oder in Bollschweil. Regionale Erzeuger schließen sich zusammen, um Käse oder Fleisch zu vermarkten. Im Süden haben 30 Gemeinden ein Biosphärengebiet ins Leben gerufen, das Naturschutz und Tourismus unter einen Hut bringen soll. Und wenn es gar nicht anders geht, fusionieren ganze Kommunen wie im Kleinen Wiesental, weil sie merken, dass sie alleine nicht mehr klarkommen.

Bei allen Versuchen, den Tourismus und damit die Wirtschaftskraft zu stärken: Mit Masse allein ist dem Schwarzwald nicht geholfen. Wer darauf setzt, dem sei die Fahrt an einem schönen Sonntagnachmittag um den Schluchsee empfohlen. Dort liefern sich Tausende schweizerische und deutsche Motorräder ein Wettrennen. Ihr Dröhnen ist noch im entferntesten Tal zu hören. Auch der Skitourismus am Feldberg braucht Schleusen. Der jahrelange Streit um ein Parkhaus war dort letztlich hilfreich, denn er hat bewirkt, dass am Ende nicht nur eine Autogarage entsteht, sondern ein intelligentes Verkehrskonzept.

Mythos? Ja, es gibt ihn noch

Tourismus und Alltagsleben im Schwarzwald funktionieren nur im Einklang mit der Natur, mit Nachhaltigkeit und Selbstbeschränkung. Nur so lässt sich der Mythos des Schwarzwalds erhalten.

Mythos? Ja, es gibt ihn noch. Und hier kommt dann doch ein wenig Werbung ins Spiel. Wer jemals in der Nacht bei Todtnauberg durch den Tiefschnee gestapft ist, um vom Höhenfeuer aus glühende Holzscheiben ins Tal zu schleudern, dem wird schlagartig klar, was sich dahinter verbirgt. Auch weit hinten im Murgtal bei Raumünzach kann man den Zauber finden, wo man an Hochsommertagen zwischen zyklopischen Granitblöcken badet. Oder im Winter hoch oben auf dem Kaltenbronn. Hier ziehen Langläufer ihre Bahnen rund um den Hohlohsee. Einheimische und Touristen