Schlägt das Herz? Wächst das Baby so, wie es soll? Psychologen und Geburtsmediziner machen den gesellschaftlichen Druck dafür verantwortlich, dass eine Vielzahl von Frauen das Gefühl hätten, alles tun zu müssen, um ein gesundes Kind zu bekommen Foto: Fotolia/© Inarik

Guter Hoffnung. So hieß es früher, wenn eine Frau ein Kind erwartete. Doch moderne Mütter wollen inzwischen immer mehr Klarheit, wenn es um die eigene Schwangerschaft geht, sagen Geburtsmediziner.

Gütersloh/Tübingen - Hauptsache gesund – das ist der wichtigste Wunsch einer jeden Schwangeren für ihr Kind. Haarfarbe, Augenfarbe – alles nebensächlich, wenn nur körperlich und geistig alles in Ordnung ist. Um das zu herausbekommen, bietet die moderne Medizin jede Menge Tests und Untersuchungen. Manche müssen selbst bezahlt werden, nicht alle sind risikofrei und nicht jeder Test kann ausschließen, dass man am Ende auch ein gesundes Baby im Arm hält.

Doch offensichtliche lassen viele Mütter trotz allem nichts unversucht – wie nun eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt. Demnach erhalten fast alle schwangeren Frauen mehr Untersuchungen, als nach Einschätzung von Experten nötig ist. Sogar die Tests, die sonst nur Frauen mit einer Risikoschwangerschaft ans Herz gelegt werden. „Es gibt eine klare Überversorgung während der Schwangerschaft“, sagte der Gesundheitsexperte der Stiftung, Uwe Schwenk.

Für die Studie befragte die Bertelsmann Stiftung knapp 1300 Frauen, die zwischen 2013 und 2014 ein Kind bekommen haben. 99 Prozent von ihnen erhielten demnach mehr Untersuchungen, als es in den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehen ist, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss erarbeitet wurden. Zu den zusätzlichen Untersuchungen zählte etwa die Kardiotokographie (CTG), bei der die Herztöne des Kindes und die Wehen der Mutter erfasst werden. 49 Prozent der Frauen mit normaler Schwangerschaft erhielten zudem mehr als fünf Ultraschall-Untersuchungen. Empfohlen sind nur drei. 95 Prozent der Frauen glaubten fälschlicherweise, dass die CTG zu den Routinemaßnahmen gehöre. 80 Prozent der Frauen mussten für nicht routinemäßig vorgesehene Untersuchungen Geld zahlen.

Viele Frauen sind während der Schwangerschaft unsicher

Experten der Bertelsmann-Stiftung fürchten nun, auf diese Weise werde Schwangerschaft immer mehr als etwas Krankhaftes und Behandlungswürdiges angesehen. „Es schürt möglicherweise auch ihren Wunsch nach einer vermeintlich sicheren Kaiserschnitt-Entbindung“, sagte Studienautorin Rainhild Schäfers von der Bochumer Hochschule für Gesundheit.

Diesen Zusammenhang können Experten der Geburtsmedizin nicht erkennen. Natürlich sei es nicht in Ordnung, wenn manche Ärzte Vorsorgeuntersuchungen empfehlen, wenn sie nicht aus medizinischer Sicht wirklich notwendig sind, sagt der Gynäkologe Dieter Grab von der Deutschen Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin. Andererseits müsse man auch bedenken, dass die Mutterschaftsrichtlinien zwar einen wichtigen Teil an Untersuchungen abdecken, aber die heutigen Erkenntnisse über modernere Methoden noch nicht berücksichtigt haben.

Dabei bieten die wachsende Zahl an Vorsorgetests in erster Linie den Frauen die Chance, „zu sehen, wie sich ihre Schwangerschaft entwickelt“, so zumindest sieht dies Harald Abele, leitender Arzt im Perinatalzentrum der Uniklinik Tübingen: „Wo manchen Frauen die vorgeschriebenen Routineuntersuchungen ausreichen, möchten andere Schwangere mehr Gewissheit haben“ – auch mit Vorsorgeuntersuchungen, die nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. „Grundsätzlich sollte daher jede Patientin die Möglichkeit haben, Zugang zu Untersuchungsmethoden zu bekommen, die diese Gewissheit stützen können“, sagt der Tübinger Experte. Und das, bei einem immer kleiner werdenden Risiko für ihre eigene Gesundheit und die des Kindes: Der umstrittene Bluttest etwa, mit Hilfe dessen Frauen schon recht früh herausfinden können, ob ihr Kind an einer genetischen Anomalie leiden könnte oder nicht, sei ungefährlicher, als etwa die dafür verwendete Fruchtwasseruntersuchung.

Den Satz „Alles ist in Ordnung“ wird kein Arzt zu einer Schwangeren sagen

Den „normalen Umgang mit der Schwangerschaft“, den die CDU-Gesundheitspolitikerin Maria Michalk als Reaktion auf die Bertelsmann-Studie öffentlich fordert, gibt es nach Meinung von Medizinern, die sich mit dem Phänomen beschäftigen, sowieso nicht mehr. Die einst an der Lübecker Universitätsklinik forschende Gynäkologin und Psychologin Ingrid Kowalcek machte erst unlängst den gesellschaftlichen Druck dafür verantwortlich, dass Frauen das Gefühl hätten, alles tun zu müssen, um ein gesundes Kind zu bekommen.

Doch diese Garantie kann ihnen keine Vorsorgeuntersuchung geben, warnen Geburtsmediziner . Den beruhigenden Satz „Alles ist in Ordnung“ wird kein Arzt zu einer Schwangeren sagen, so der Münchner Experte Grab. Was, wenn bei der Untersuchung etwas übersehen wurde? Das sei sicherlich auch ein Grund, warum Ärzte dann doch einen weiteren Test empfehlen – auch wenn dieser von der Mutterschaftsrichtlinie nicht gedeckt wird, sagt Grab. Doch dann muss auch ein Arzt akzeptieren, wenn die Patientin von ihrem Recht Gebrauch macht, auch etwas nicht wissen zu wollen – trotz aller medizinischen Möglichkeiten.