Entwickelt im eigenen Kreativlabor: die „Backmischungen“ für Lippenstift & Co. Foto: Schwan Cosmetics

Schwan-Stabilo ist für seine Leuchtmarker berühmt. Heimlich ist der Familienkonzern aber auch zum Weltmarktführer bei Kosmetikstiften geworden. Am stärksten jedoch, vorsorglich dazugekauft, wächst eine andere Sparte.

Heroldsberg - Was haben Lippenstifte und Lawinensuchgeräte gemeinsam? Was verbindet sie mit Textmarkern und Radlerhosen? Mit Rucksäcken, Merinoschafen und „Frau Hölle“? Das Zentrum dieser merkwürdigen, erdumspannenden Galaxie liegt in den Vorortwiesen von Heroldsberg, gleich nördlich von Nürnberg. Weiße, flache Fabrikgebäude um einen kleinen Teich mit Café-Terrasse herum, über allem ein neuer, hoher, architektonisch markanter Würfelbau, pechschwarz außen, innen quietschbunt – und ein Kronleuchter, der nicht mit Kristallklunkern behängt ist, sondern mit neongelben „Boss“-Leuchtmarkern. Das ist die zweimilliardenfach verkauften Erfindung des Hauses Schwan-Stabilo.

Irgendwie ist die Region Mittelfranken das Weltzentrum für Blei- und Buntstifte. Hier sitzen Faber-Castell und Staedtler. Hier hat vor 162 Jahren auch ein gewisser Gustav Adam Schwanhäußer, 25 Jahre, Handlungsgehilfe, in Bleistiften angefangen: „Schwan“ die Marke; Familienunternehmen bis heute, zu hundert Prozent, in fünfter Generation – und mit mehr als zehntausend Farben, mit allein 2000 Tönen zwischen Rosa und Rot.

Lippenstifte, millionenfach

Denn Schwan – auch wenn Endverbraucherinnen das Unternehmen unter diesem Namen nicht kennen – ist Weltmarktführer bei Kosmetikstiften. Lippenstifte, Eyeliner, Mascara: allein am Standort Heroldsberg rollen täglich 1,2 bis 1,5 Millionen Produkte dieser Art aus den nahezu vollautomatischen Produktionsstraßen, im Zweischicht-, manchmal auch im Dreischichtbetrieb. Schwan-Stabilo produziert für die führenden Schönheitsfirmen dieser Welt: 700 Kunden, was eben Rang und Namen hat in der Szene. Fast die Hälfte aller weltweit vertriebenen Kosmetikstifte entstehen bei Schwan, sagt Sebastian Schwanhäußer, der als geschäftsführender Gesellschafter zusammen mit Geschäftsführer Jörg Karas das Familienerbe leitet. Schwan-Stabilo ist aber auch in Europa Marktführer bei Rucksäcken und Schlafsäcken – seit 2006 gehört die Marke Deuter zum Konzern.

Und weil man schon beim Ausbau des Outdoor-Bereichs war, so hat man weitere Marken gleich dazugekauft: im Juli 2015 die Firma Maier-Sports aus Köngen in Baden-Württemberg, eingeschlossen Gonso aus Albstadt, den Erfinder der Radlerhose. Bereits 2011 hat Schwan-Stabilo das Unternehmen Ortovox aus Taufkirchen bei München übernommen, dessen Lawinenpiepser heute zur Standardausrichtung für Skitourengeher gehören und das mit Bergsteigerkleidung in den oberen Marktregionen unterwegs ist: Hier kommt die Merinowolle ins Spiel, für die man sechs Farmen in Tasmanien unter Exklusivvertrag genommen hat.

Marktführer bei Rucksäcken

Zum Konzernumsatz von zuletzt 713,5 Millionen Euro trägt die Kosmetiksparte ziemlich genau die Hälfte bei (364,7 Millionen Euro); der Outdoorbereich lieferte 164,2 Millionen Euro – und dann ist da noch das „Basisgeschäft“ mit Buntstiften, Leuchtmarkern und anderem Schreibgerät (184,4 Millionen Umsatz im Geschäftsjahr 2016/17).

Wie passt das alles zusammen? Synergien zwischen dermaßen unterschiedlichen Geschäftsfeldern sind kaum zu erwarten. „Darauf waren wir bei den Akquisitionen auch gar nicht aus“, sagt Sebastian Schwanhäußer. „Wir sind als Familienkonzern eher altmodisch unterwegs – Stichwort Risikostreuung. Wenn die eine Branche mal eine schlechte Phase hat, geht’s einer anderen gut.“ Klar, sagt Schwanhäußer, habe man sich beim Blick in die Runde gezielt für den Outdoormarkt als Wachstumsbranche entschieden. Schwan-Stabilo wollte „starke Marken im oberen Marktbereich mit anfassbaren Produkten“. Die drei Sparten sind unter dem Dach der Holding eigenständig; „die einzelnen Firmen, etwa Deuter und Ortovox, dürfen einander auch konkurrieren“, sagt Schwanhäußer, „solange jeder Spezialist in seinem Bereich bleibt“. Der liege bei Ortovox „etwa ab 2000 Metern Meereshöhe“; Deuter mit seinen Rucksäcken darf auch in die Städte.

In den letzten fünf Jahren ist der Umsatz des Konzerns von 592,5 Millionen Euro beständig gewachsen, zwischen 2014/15 und 2015/16 gleich um 17,7 Prozent, der Outdoor-Bereich am stärksten. Zugelegt hat man auch beim Personal: so beschäftigt Schwan-Stabilo an seinen 22 Standorten weltweit derzeit 5019 Menschen; in Deutschland sind es 2310.

Wer braucht noch Schreibstifte?

Geschrumpft dagegen ist der Umsatz mit Schreibgeräten: Kamen die Buntstifthersteller angesichts des Ausmal-Booms für Erwachsene im vergangenen Jahr mit der Produktion kaum hinterher, sei diese Mode schon wieder am Abflauen, sagt Schwanhäußer. Geht’s im digitalen Zeitalter überhaupt abwärts mit Handschreibgeräten? „Noch nicht, aber wir bereiten uns auf alles vor.“ Man müsse ans eben ans „Drumherum“ denken: „Die Autohersteller stellen sich derzeit als Mobilitätsdienstleister ja auch breiter auf.“

Bei Buntstiften sieht Schwanhäußer keine Gefahr, die blieben auch zukünftig vom Kindergarten aufwärts „die ersten Ausdrucks-Instrumente“ menschlicher Kreativität; für anderes hat man bei Schwan-Stabilo erst dieses Jahr einen „Digitalstift“ entwickelt: bei Störungen in der kindlichen Schreibmotorik liefern seine Sensoren den Ergotherapeuten nützliche Hinweise, wo’s denn hakt.

Und dann soll auch noch Frau Hölle helfen. Das ist eine recht flippige junge Künstlerin, die auf Youtube einen eigenen Kanal unterhält – und auf diesem zeigt sie in Zusammenwirken mit Schwan-Stabilo das heute modisch gewordene kreative Gestalten etwa von Einladungs- oder persönlicher Speisekarten („Handlettering“). Auf „Influencer“ dieser Art, auf Blogger mit ihren ebenso informellen wie riesigen „Follower“-Kreisen in den sozialen Netzwerken, setzt Schwan-Stabilo zunehmend auch bei Kosmetik. Man wolle dabei „Trends nicht nur bedienen, sondern sie auch generieren“, sagt Jörg Karas.

Rasanter Schönheitsmarkt

Das heißt: In Heroldsberg durchforsten Suchroboter, in ersten Anfängen auch schon Algorithmen mit künstlicher Intelligenz das weltweite Internet, um kleinste Trends sofort aufzuspüren, sie zu analysieren und entscheiden zu helfen, ob daraus etwas Marktfähiges wird. Gerade die Blogger-Szene, „deren Ideen springen ja in Riesengeschwindigkeit über die ganze Welt“, sagt Karas, und der Stiftebereich Stabilo mit fast drei Millionen eigenen Followern mischt mittendrin mit.

Aus dem Internet, sagt Karas, hätten heute „schon Teenager mit 17 Jahren eine unglaubliche Schmink- und eine Produktbeurteilungskompetenz erworben.“ Oder, auf dem unermesslichen chinesischen Markt, „da können die Mädchen das Schminken gar nicht von ihren Müttern lernen, das läuft komplett über Internet.“ Und dann die Millionen von Fotos, mit denen Heranwachsende ihr eigenes Ich auf Instagram oder Pinterest darstellten: „Da wird in Kontakt mit der ganzen Welt gleichzeitig nachgeahmt und vorangetrieben, was cool ist.“

Mit einer dermaßen tiefschürfenden Marktbeobachtung und mit eigenen digitalen Versuchen, über Influencer neue Produktideen zu testen, ist man bei Schwan-Stabilo auch den eigenen Kunden voraus: den Kosmetikriesen und der boomenden Kleinunternehmer-Szene. Und auch wenn man als Familienunternehmen keine Gewinnzahlen veröffentlicht: Sorgenfalten sind auf den Gesichtern der Manager ganz und gar nicht zu sehen.