Jens Caspar alias Herr Kächele liebt seine Maultaschen aus der Hand. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

No net hudla. Das war einmal. Mittlerweile hat’s auch der Schwabe eilig – selbst beim Essen. Damit man beim Stehen und Gehen trotzdem Heimatgefühle hat, verkauft Herr Kächele in der Calwer Passage Maultaschen 2.0. Auf die Hand. Food zum Hudla für getriebene Großstädter.

Stuttgart - Die Menschen haben ja schon viel gesucht. Die Grenzen der Welt wollten sie erforschen, Gold, Diamanten und Atlantis finden, dem Seelenheil rennt man hinterher, dem Jungbrunnen und dem Yeti war man auf der Spur. Auch Jens Caspar ost auf der Suche: Er arbeitet an der perfekten Maultasche.

Das ist natürlich eine große Aufgabe, und eine, die wahrscheinlich trotz vieler Füllungen nie ihre Erfüllung findet. Doch Jens Caspar stellt sich ihr mit seiner Firma Herr Kächele. Obschon diese Herausforderung bereits überlebensgroß scheint, hat er es sich auch noch zur Pflicht gemacht, der Maultasche im Besonderen und dem schwäbischen Essen im Allgemeinen wieder jenen Rang zu geben, der ihm gebührt. „In der Innenstadt können sie Essen aus aller Herren Länder genießen“, sagt er, „aber die schwäbischen Lokale müssen sie suchen. Das ist doch jammerschade.“ Den Griechen mit dem Cavos und den Italienern mit dem La Vapiano sei es gelungen, ihre Küche aufzupeppen und junge Leute dafür zu interessieren. Butzenscheiben und dunkle enge Räumen wirken zwar heimelig, aber nicht mehr für alle Kunden einladend.

Eigentlich beschäftigt sich Jens Caspar als Geschäftsführer von Planbau Schwaben vor allem mit dem Bauen und Verkaufen von Häusern und Wohnungen, doch neben dem Immobilienmarkt treibt ihn auch das „fehlende kulinarische Lokalkolorit“ in Stuttgart um. Zehn Jahre schon hat er die Idee für Herr Kächele mit sich herumgetragen, 2013 hat er schließlich und endlich seine Firma gegründet. Herr Kächele Suevia Schwäbische Gastlichkeit 2.0 GmbH heißt sie mit ganzem Namen. Dieser Name ist Programm. „Zeitgemäß und modern“ sollen die Produkte sein. Angefangen hat er natürlich mit der Maultasche.

Zunächst hat er sich mit dem „Hasenwirt“ Josef Stritzelberger aus Uhlbach zusammengetan, dem Erfinder der sogenannten Handymaultasche. Vor 15 Jahren, beim Abstecher des Stuttgarter Weindorfs nach Hamburg, hat er sie erstmals ohne Teller verkauft, auf die Hand. Sogar Bill Clinton habe schon eine gegessen, erzählt Stritzelberger, es habe ihm offenbar gemundet, „er hat danach gestrahlt wie verrückt“. Nun sind Amerikaner nicht zwingend Gourmets. Aber selbst die wahren Experten schwärmten wie „die schwäbischen Omas“.

Doch auch die Enkel sollten wieder Maultaschen essen, fand Caspar. „Das ist ein geniales Produkt, vielseitig verwendbar, es schmeckt gut, und es repräsentiert uns .“ Also orderte er drei Fahrräder, baute sie zu rollenden Theken um und verkauft seitdem Maultaschen auf die Hand bei Messen, Festen und Feiern. Damit kommt er nicht nur dem schwäbischen Geschmack entgegen, sondern streichelt die Seele seiner Landsleute. „Sie brauchen keine Teller, kein Besteck, aber auch keine Tische, können einen kleineren Messestand buchen oder haben mehr Platz, um ihre Produkte zu zeigen.“ Da frohlockt der Schwabe, man isst und spart. Heiligs Blechle.

Das kam so gut an, dass sich Caspar dachte: Das muss auch in der Innenstadt funktionieren. Als sich Hannes Steim mit dem Projekt Fluxus aufmachte, die Calwer Passage wiederzubeleben, mietete Caspar dort einen Laden. Befristet zunächst bis Ende Januar, doch sollte es dort nicht weitergehen, hat Caspar „was anderes in Aussicht“. Direkt neben dem Abgang zur Haltestelle Stadtmitte kann man nun eine Maultasche, auch fleischlos, auf die Hand für drei Euro kaufen. „Das ist doch das perfekte Essen“, sagt er, „Döner, Pommes, Wurst, Falafel, alles hat man bekommen, nur ein Maultaschenbistro gab es bisher nicht.“ Natürlich gibt es auch den Kartoffelsalat (zwei Euro) dazu, ebenso Brezeln vom Bäcker Frank sowie einen Fleischkäse und eine Tagessuppe für drei Euro, heute, wie könnte es anders sein: Linsensuppe. Bald sollen Fleischküchle und Spätzle mit Soß’ dazukommen.

Zudem verkauft er das eigene Weißweinschorle aus der Flasche, Wein aus Korb von Zimmerle, Eingekochtes von der Landfrau, Linsen von der Alb, Wibele und Springerle vom Becka Beck aus Römerstein, Filder-Weinsauerkraut, Gewürze und Senf von Maier aus Schorndorf und von der Alb von Böhringer den glühenden Hirsch, das ist Bier mit Johannisbeer-Nektar und fünf Prozent Karamell-Zimt-Sirup. Zum Trinken macht man es bei 50 Grad im Wasserbad warm.

Rund ums letzte Heimspiel des VfB gegen Schalke 04 hätten einige Fans das Bier entdeckt und seien so begeistert gewesen, dass sie zwischenzeitlich einige Kisten nachgekauft haben, sagt Caspar. Gut, sie können nachfühlen, wie es sich anfühlt, bei kleiner Flamme gegart zu werden. Den VfB muss man sich ja schönsaufen.

Aus Aschaffenburg hat ihm eine begeisterte Kundin geschrieben, die fürs Weihnachtsmenü 16 Maultaschen geordert hat. Die kann man nämlich auch eingeschweißt und im Viererpack kaufen. Ein Besucher aus Berlin hat ihm gar empfohlen, doch einen Laden dort aufzumachen. Wie der Zufall will, heute ist Caspar in Berlin und schaut sich am Gendarmenmarkt ein Lokal an. Genügend Schwaben hat es da ja. Die würden bei seinem Slogan „0 % Chemie, 100 % Maultaschen“ sicher Heimatgefühle bekommen.

Mittlerweile lässt er ob der Menge an benötigten Maultaschen in einer Großküche fertigen. Am Rezept tüftelt er immer weiter. Denn die Suche nach Perfektion gerade in Geschmacksdingen ist ja eine endlose.

Herr Kächele an der Haltestelle Stadtmitte ist unter der Woche von 9 bis 19 Uhr geöffnet, samstags von 10.30 bis 19 Uhr.

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