Mitläufer oder Feuer und Flamme für den Führer? In Ludwigsburg geht das Landesarchiv der Geschichte des „Schwäbischen Dichterkreises“ und seiner Entnazifizierung nach. Mit überraschenden Erkenntnissen.
Stuttgart/Ludwigsburg - „Den ganzen Tag schwer bedrängt durch das von der Reichsschrifttumskammer auferlegte Führergedicht, weil ich sehe, daß ich mich der Aufgabe nicht entziehen kann.“ So lautet ein Kalendereintrag der Schriftstellerin Isolde Kurz. Und obwohl viele Quellen beschreiben, die „Grande Dame deutscher Dichtkunst“ habe „eine Eloge“ zu Hitlers 50. Geburtstag am 20. April 1939 geschrieben, in „Dem Führer. Gedichte für Adolf Hitler“ taucht sie nicht auf.
Im Gegensatz zu den Werken von Kollegen des „Schwäbischen Dichterkreises“, dessen Mitglied auch sie war. Der „elitäre Zirkel“, geleitet vom NS-Funktionär und Schriftsteller Georg Schmückle, wurde im Dezember 1938 gegründet – zum 50. Geburtstag des württembergischen Reichsstatthalters Wilhelm Murr. Ein Zeichen der Zeit: Um regime-gefällige Kunst und Literatur zu stärken, riefen Gauleiter und Reichsstatthalter ab 1934 geradezu inflationär Kreise und Preise ins Leben, etwa den mit 3000 Reichsmark dotierten „Schwäbischen Dichterpreis“.
Wie sich Kurz im Schwäbischen Dichterkreis verortete, ist unklar. Sie sei als einer der Prominentesten ihrer Zunft wohl eher Aushängeschild gewesen. So das Fazit von zwölf Geschichtsstudenten eines neuen Masterstudiengangs an der Universität Tübingen: Sie forschten – angeleitet von Stephan Molitor, stellvertretender Leiter des Landesarchivs – für die Schau „Der Schwäbische Dichterkreis von 1938 und seine Entnazifizierung“, die derzeit im Staatsarchiv Ludwigsburg zu sehen ist. Dokumentiert wird, wie die rund zwei Dutzend Mitglieder – darunter August Lämmle, Auguste Supper, Anna Schieber, Hans Heinrich Ehrler und Ludwig Finckh – schwäbische Heimatdichtung in den Dienst der NS-Herrschaft stellten. Und: wie sie sich nach 1945 rechtfertigten.
Kurz war gegen Nationalismus und für Europa und huldigte dennoch Hitler
Obwohl Isolde Kurz nicht als Nationalsozialistin gilt, zeigen sich auch bei ihr Widersprüchlichkeiten. Sie unterzeichnete Aufrufe gegen die Auswüchse des Nationalismus, für Europa, für die Verständigung mit Frankreich, für die Ächtung der Kriegsmittel oder 1930 eine Erklärung des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus. Später strich und ersetzte sie indes, aufgefordert von der Reichsschrifttumskammer, Juden aus ihren Werken. 1933 in die von der NSDAP neu strukturierte Preußische Akademie der Künste berufen, nahm sie an ihrem 90. Geburtstag 1943 „im Rollstuhl die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft samt Glückwunschtelegramm von Goebbels entgegen“. Manche vermuten, die greise Dichterin hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Andere werfen ihr, trotz ihrer zeitlebens „inneren Unabhängigkeit“, eine „fatal unkritische Haltung gegenüber den Vereinnahmungen durch den nationalsozialistischen Literatur- und Kulturbetrieb“ vor.
„Während die einen notgedrungen mitmachten, waren andere Feuer und Flamme“, sagt Molitor. „Der Retter, der ihr Bahn brach sei gesegnet, In seinem Kommen ist uns Gott begegnet“, schwärmte etwa Auguste Supper. Nach dem Krieg stufte sie sich als Entlastete ein, obschon Zeugen sagten, sie habe die Hand nicht „hoch genug halten“ können. Ihre Anwältin argumentierte mit ihrem hohen Alter und bezeichnete ihre Werke „als persönliches Bekenntnis“. Schließlich wurde sie als Mitläuferin eingestuft.
Auch August Lämmle pries Hitler als von „gütigen Göttern gegebenen Führer“. Später tat er es als „lächerliche Lobrede“ ab, als unpolitische, unjuristische, dichterische Idealisierung von Menschen. Dabei wusste er wohl um schriftstellerische Verantwortung. 1936 schwärmte er in „Schwäbisches und Allzuschwäbisches“ von Dichtern als „Soldaten ihres Volkes, Spiegel der Strebungen und Strömungen ihrer Zeit (...) der Blutsgemeinschaft, zu der sie selbst gehören“. Die Spruchkammer sah ihn erst als Belasteten, er schrieb im Meldebogen „Mitläufer“. Dem wurde – nach Zeugenvernehmungen – 1947 stattgegeben.
Nach dem Krieg wollte es keiner gewesen sein
Karl Hans Bühners Entnazifizierungsverfahren wurde 1948 eingestellt: Im April des Jahres aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt hatte er auf Heimkehreramnestie plädiert. 1978 kam er gar auf die Honoratioren-Todestafel des Schwäbisch Gmünder „einhorn“-Jahrbuchs. Für die „Rems-Zeitung“ verfasste er die Glosse „Fabian verfasst“ – dabei glorifizierte er nachweislich Führer, Militär, Heldentod und auch nach dem Krieg die „Ideale der letzten drei Jahrzehnte“. Andere behaupteten, keine Vorteile vom NS-Regime gehabt zu haben, nicht Parteimitglied im eigentlichen Sinne gewesen zu sein oder bei den – von den Nazis gehassten – Freimaurern. Hans Heinrich Ehrler forderte: „Gebt mir und meiner reinen Dichtung die Ehre wieder.“
Wurde jemand als belastet verurteilt, passierte wenig. Meist folgte ein „Sühnebescheid“, etwa eine Zahlungsforderung von 1500 Reichsmark. Helmut Paulus erhielt einen solchen. Im Urteil wurde seine NSDAP-Mitgliedschaft erwähnt, ihm „nur eine nominelle Teilnahme“ bescheinigt. „Je später ein Verfahren begann, umso besser für sie. Die Gründlichkeit ließ nach, der Kalte Krieg forderte die Militärregierungen. Viele hatten gute Anwälte“, erklärt Molitor, der auch untersucht, wann bestimmte Wörter Hochkonjunktur haben. Die Frequenz von „völkisch“ steigt etwa ab 1930 enorm und sinkt 1947/48 rasant. Das gilt auch für die „Volksseele“. Seit den 2000er Jahren sind „Judentum“ und „Heimatliebe“ wieder hoch im Kurs.
Molitors Fazit – auch mit Blick auf die Gegenwart: „Verantwortungsbewusst mit Begriffen umgehen! Gedrucktes beeinflusst die Öffentlichkeit.“ Auch Staatsarchivleiter Peter Müller betont: „Das geht schleichend.“ Es gelte, „zu sensibilisieren, genauer hinzuschauen und zu hören, was passiert.“
Info
Die Ausstellung „Der Schwäbische Dichterkreis von 1938 und seine Entnazifizierung“ ist noch bis 6. September im Staatsarchiv Ludwigsburg am Arsenalplatz 3 zu sehen. Montag bis Donnerstag von 9 bis 16.30 Uhr, Freitag bis 15.30 Uhr, Eintritt frei.