Ein Traum: Pavards eben solches Tor bei der WM gegen Argentinien Foto: dpa

Selten war so viel Energie in der Stadt wie in diesen Tagen, meint Lokalchef Holger Gayer. Doch mancher Schwabe hält sein Glück kaum aus, wie das Beispiel Benjamin Pavard zeigt.

Stuttgart - Manchmal möchte man verzweifeln an uns Schwaben. Wenn sich aus heiterem Himmel der enge Blick in die Augen der Einheimischen frisst, Pupillen und Kleinhirn in unnachahmlicher Zusammenarbeit den Spatz in der Hand scharf stellen, weil die Taube auf dem Dach so weit entfernt scheint, dann ist es soweit: Jetzt, liebe Artgenossen, stehen wir uns endlich wieder selbst im Weg. Mit der Präzision eines Uhrmachers arbeiten wir daran, dass der Spaß nicht überhand nimmt und unser seliger Oberbürgermeister Rommel Recht behält. „Der Schwabe“, sagte Onkel Manfred einst, „denkt immer: Was groß ist, ist unnötig.“

Der aktuellste Beleg dieser These kommt aus Frankreich. Benjamin Pavard ist nicht nur Weltmeister geworden, er hat sich in diesem Sommer in den Olymp der Rechtsverteidiger gespielt. Zugegeben: Dort stehen nicht viele Konkurrenten, weil der Posten des Außenverteidigers kaum zum Glänzen angetan ist. Aber einige gibt es doch, den Brasilianer Cafú, den Italiener Zambrotta, den Argentinier Zanetti – und Phillip Lahm natürlich, den Besten, der je auf dieser Flanke gespielt hat. Und nun Pavard. So vieles an dem Kerl aus Jeumont erinnert an den jungen Lahm: die Energie seiner Antritte, das Ballgefühl, die Intelligenz auf und außerhalb des Platzes – und das Wunder, dass sein Stern ausgerechnet über Stuttgart aufgeht. Hier beim VfB ist er, wie einst Lahm, zum Nationalspieler geworden. Hier beim VfB hat Hannes Wolf ihn so sehr geprägt, dass Pavard seinem Ex-Trainer eine Liebesbotschaft zukommen ließ, nachdem er gegen Argentinien das Tor des Jahres erzielt hat. So viel positive VfB-Energie war selten bei einer Fußball-WM.

Die Debatte kommt bestimmt gut an bei Pavard

Doch was passiert? Wir Schwaben diskutieren darüber, ob man Pavard nicht sofort verkaufen sollte. Jetzt bringe er nämlich mehr Geld als in einem Jahr, wenn die Ablösesumme auf 35 Millionen Euro festgeschrieben sei. Die Debatte kommt sicher gut an bei einem jungen Fußballspieler, der sich – zumindest bisher – dafür entschieden hat, den Wert des Lebens nicht nur in Heller und Pfennig zu bemessen. Er wird sich richtig wertgeschätzt fühlen, wenn er im Urlaub überlegt, wie und wo er seine Zukunft gestalten wird. Stuttgart, so das Signal, hat ihn abgeschrieben. Also jetzt schon: Auf nach München, Mailand, Madrid.

Wo ist der Ghostbuster gegen die Kleingeister?

Merkwürdig, dass noch kein Ghostbuster geboren wurde, der uns Schwaben diese Kleingeisterei austreiben konnte. Besonders krass fällt das auf an einem Wochenende, an dem in Stuttgart wirklich Großes passiert: Die Toten Hosen, Helene Fischer, Lenny Krawitz, die Fantastischen Vier, Bohnenviertel- und Marienplatzfest, der Fischmarkt, das Festival der Kulturen, Ballett im Park und viele weitere Festivitäten zeigen das feiernde, das fröhliche Gesicht dieser Stadt. Gleichzeitig bekennt die Veranstaltungsgesellschaft In.Stuttgart, dass pünktlich zum Jubiläums-Wasen die Heimweghilfe abgeschafft wird. Man muss sich das vorstellen: Jahrelang werben die Veranstalter mit der bundesweit einzigartigen Aktion von Peter Erb, der sich bereit erklärt, alkoholisierte Wasen-Besucher in deren Auto heimzufahren. Ehrenamtlich, wohlgemerkt. Und nun, ausgerechnet zur 200. Auflage des Volksfests, schaffen die Experten von In.Stuttgart dieses Alleinstellungsmerkmal ab. Begründung: zu wenig Parkplätze. Und sowieso soll ja keiner mehr mit dem Auto fahren, sondern nur noch Busse und Bahnen benutzen.

Diese Aktion samt ihrer Begründung ist so genial, dass bisher nicht einmal die Befürworter von flächendeckenden Fahrverboten für alle drauf gekommen sind. Wir halten’s da, wie auch im Fall Pavard, mit unserem geschätzten Kolumnisten Gerhard Raff und rufen: Herr, schmeiß Hirn ra!