„Das Nahe wird wertvoll“: Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba Foto: Lg/Julian Rettig

Der Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba hat dem Regio-Trend nachgespürt – und ist zu spannenden Einsichten gekommen.

Stuttgart - Alles, was mit „Region“ zu tun hat, ist in. Also auch das Schwäbische. Der bekannte Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie der Berliner Humboldt-Universität, ist diesem Phänomen nachgegangen und zu interessanten Erkenntnissen gelangt, die er unter dem Titel „Brutal regional. Schwäbisch-Sein heute“ am Donnerstagabend vor großem Publikum im Hospitalhof präsentierte.

Der Vortrag bildete den Auftrag einer vierteiligen Reihe des Schwäbischen Heimatbundes zum Thema „Die Schwaben. Von nix kommt nix?“ – eine gelehrte Einstimmung auf die Große Landesausstellung „Die Schwaben – zwischen Mythos und Marke“, die von 22. Oktober an im Württembergischen Landesmuseum zu sehen sein wird und die ihrerseits ein Hinweis auf die gewachsene Bedeutung des Regionalen ist.

Regional bedeutet nicht mehr provinziell

Kaschubas These lautet: Regionalität ist heute eine Erfolgsstrategie. „Viele Repräsentations- und Marketingstrategien rücken Vorstellungen von Verwurzelung, Echtheit und Authentizität in den Vordergrund.“ Regional sein, heißt demnach, auf der Höhe der Zeit sein. In den Worten Kaschubas: „Die Authentizität des Regionalen steht heute nicht mehr wie in den siebziger Jahren für das Provinzielle. Es gehe nicht mehr um einen Rückverweis auf Geschichte und regionale Eigenarten: „Vielmehr soll in einer sich dramatisch verändernden und unsicheren Welt die Region offensiv als Ort der Zukunft angeboten werden.“ Kaschuba spricht von „neuen Bildern und Gefühlen von Beheimatung“, nach denen augenscheinlich große Nachfrage besteht. Die „generelle Neubewertung des Regionalen“ ist für den Kulturwissenschaftler auch eine Folge des Übergangs von der Bonner zur Berliner Republik. „Das hat starke Gegenkräfte freigesetzt.“

Die Region erscheint somit einerseits als Zufluchtsort andererseits als Schauplatz eines charakteristischen Lebensgefühls, das Reingeschmeckte mit einschließt. Für Kaschuba zeigt sich das exemplarisch in der Esskultur: „Sie ist in neuer Weise identitätsstiftend geworden“ – regionale Einflüsse spielten dabei eine große Rolle. Dieses Regionalselbstbewusstsein spiegelt sich auffällig im Wettbewerb der Regionen. „Alle Städte argumentieren heute mit ihrem kulturellem Kapital“, sagt Kaschuba: „Das Nahe wird wertvoll – es ist die regionale Innenseite einer äußeren Verweltstädterung.“ Und keinesfalls langweilig: „Nicht nur das Ferne ist rätselhaft, sondern auch das Unbekannte vor unserer Haustür.“

Die negative Seite der neuen „Wir“-Haltung

Auch im politischen Diskurs ist die Region heute beliebtes Motiv. Eine „Wir-ticken-anders-“Haltung werde bewusst gepflegt und gegebenenfalls gegen andere in Stellung gebracht, stellt Kaschuba fest. Das geschieht in unterschiedlicher Ausprägung und Lautstärke: „Laut bellend“, wie in Bayern oder als „leise Schlaule-Politik wie in Baden-Württemberg. Letzteres stellt für Kaschuba die „softe Variante des Besserwissens“ dar.

Für völlig unbedenklich hält der gebürtige Göppinger das anschwellende Regionalbewusstsein übrigens nicht: „Angesichts von Pegida müssen wir ernsthaft über alte und neue Schattenseiten von regionalistischen Einstellungen nachdenken“, sagt er. „Wenn Heimat als biodeutsche Festung verteidigt wird, dann ist das ebenso plump wie geschichtsvergessen und kurzsichtig.“