Ehrenamtliche Werber für die Barockwoche zusammen mit Oberbürgermeister Richard Arnold. Foto: Sellner

Schwäbisch Gmünd? Am besten großräumig umfahren. Das war einmal. Heute bestaunen Tausende Besucher, was die Gmünder und ihr Oberbürgermeister aus der Stadt gemacht haben. Der erstaunliche Wandel einer Stadt vom Nadelöhr zu einem Anziehungspunkt der Region.

Schwäbisch Gmünd - „Angenommen, jemand war zwei Jahre im Ausland und kommt wieder nach Gmünd – er würde seine Stadt nicht wiedererkennen.“ Wie recht Heino Schütte, Redakteur der örtlichen „Rems-Zeitung“ mit dieser Feststellung hat, zeigt sich an diesem Julitag im Gmünder Stadtgarten. Dort steht eine ältere Dame und blickt sich staunend um. Sie kommt nicht aus dem Ausland, sondern aus Leverkusen, und es kein halbes Jahr her, da machte sie schon einmal Station in der ehemaligen Reichsstadt an der Rems. Doch als sie jetzt aus dem Zug stieg, kam es ihr vor, als sei sie woanders gelandet. Als hätten Theaterbauer und Kulissenschieber die Stadt in eine Art Märchenland verwandelt. „Das ist Schwäbisch Gmünd?“

In der Tat. Die 60 000 Einwohner zählende älteste Stauferstadt in Sichtweite der Kaiserberge hat sich verändert wie vielleicht keine andere baden-württembergische Kommune in den vergangenen fünf Jahren. Das hat viel damit zu tun, dass die B 29, über die täglich 50 000 Fahrzeuge rauschen, auf einer Länge von 2,2 Kilometern unter die Erde verlegt wurde. Ohne den 280 Millionen Euro teuren Einhorntunnel wäre Gmünds Metamorphose vom Durchgangsort zum Anziehungspunkt so jedenfalls nicht möglich gewesen. Wo noch vor kurzem eine vierspurige Asphaltschneise verlief, flanieren jetzt Damen aus Leverkusen, Besucher aus der Schweiz und Neugierige aus der Landeshauptstadt. „Das sieht ja aus wie an der Ostsee“, sagt eine junge Besucherin beim Anblick von Strandkörben. Und eine Einheimische erklärt ihr stolz: „Das ist der Gmünder Strand!“

Gemeint ist das Remsufer mitten in der Stadt. Es hat es sich in eine Oase verwandelt. Dahinter erhebt sich, spektakulär verkleidet, das Forum Gold und Silber – künftiges Domizil des Edelmetallhandwerks und der Designer. Ein würdiges Aushängeschild der Gold- und Silberstadt Gmünd. Zugleich ist das Gebäude eine der Attraktionen der Landesgartenschau, die am 30. April startete und bisher alle Erwartungen übertrifft. Nach den ersten neun Wochen zählt man annähernd 600 000 Besucher, mehr als 50 000 Dauerkarten wurden verkauft. Ein Spitzenwert.

Treffender wäre allerdings der Begriff Landes-Gmünd-Schau. Denn die Stadt der Klöster und Kirchen nutzt den Anlass, um sich als ein in jeder Hinsicht runderneuertes Mittelzentrum zu präsentieren. Die Blumen sind da eher Beiwerk. Wer die Landesgartenschau besucht, gewinnt den Eindruck, dass es die Stadt ist, die hier aufblüht. Gmünd boomt. Das sieht man auch in der unmittelbaren Nachbarschaft so: „Jahrelang lag Gmünd im Schatten von Aalen“, sagt ein Wanderer aus Böbingen. „Jetzt kann es sich wieder sehen lassen – 91 Millionen Euro Schulden hin oder her.“

Verändert hat sich in Schwäbisch Gmünd aber nicht nur das äußere Erscheinungsbild, in das die Stadt in einem Kraftakt knapp 39 Millionen Euro gesteckt hat, ergänzt um 25 Millionen Euro Fördergelder und 120 Millionen Euro an privaten Investitionen. Die noch größere Veränderung betrifft die Menschen. Das zumindest sagen viele, die den rasanten Wandel von „Schwäbisch Nazareth“, wie das katholische Gmünd im Volksmund häufig genannt wurde, zu einer vor Lebensfreude sprühenden Stadt verfolgt haben. In Gmünd ist Lockerheit eingezogen; Jüngere würden von Coolness sprechen.

„Ganz arg viel hat sich in den Köpfen verändert“, meint eine aparte junge Frau. Ihre künstlichen Wimpern klimpern. Sie steckt in einem Barockkleid, mit dem sie für die Gmünder Barockwoche wirbt, die am Freitag mit einem Feuerwerk endete – ein großes Fest des Ehrenamts. Sylvia Preiß, die Barockdame, hat dafür eigens Urlaub genommen, wie viele andere der 400 Mitwirkenden auch. Sie schwärmt vom neuen Gmünder Geist. Die Umstehenden Barockdamen nicken heftig.

Dieser Geist – das findet man in vielen Gesprächen bestätigt – geht wesentlich von der Person des Oberbürgermeisters aus. Richard Arnold, 56, CDU, ist der Mann, der die Stadt verändert. „Hallo Mädels, wie wär’s mit einem Sekt?“, ruft er und strahlt, als er die barocke Gesellschaft im Stadtgarten erblickt. Aus seinem Mund klingt das nicht anbiedernd, sondern herzlich.

Arnold, der wandelnde Mittelpunkt. Unmöglich, mit ihm zehn Schritte durch die Stadt zu gehen, ohne dass er angesprochen wird. Hier die Schwester von Sternekoch Vincent Klink, die in Australien lebt, „am liebsten aber in dieses tolle neue Gmünd zurück möchte“, dort ein Herr, der vorschlägt, im neuen Aussichtsturm der Stadt, dem von Bürgern finanzierten 38 Meter hohen „Himmelsstürmer“, Vollmondbesteigungen anzubieten. „Und Mitternachtstrauungen“, ergänzt der Oberbürgermeister spontan.

Der Politiker ist immer für eine Idee zu haben und sei sie noch so schräg – wie der jüngste Einfall, in einem weniger frequentierten Teil der Landesgartenschau lebensgroße Dinosaurier-Figuren aufzustellen.

Arnold ist der Star der Stadt oder, wie es Schütte ausdrückt, „der Märchenprinz, der Schwäbisch Gmünd wachgeküsst hat“. Schon an seiner früheren Wirkungsstätte in Brüssel zählte er laut einer Umfrage zu den zehn einflussreichsten Deutschen, weil er sich als Chef der baden-württembergischen Landesvertretung mindestens so viel mit Menschen befasste wie mit Institutionen. Als „Bürgermeister aller Baden-Württemberger“ verstand er sich. Typ Menschenfischer, Anti-Technokrat.

Auch in seiner Heimatstadt Gmünd, die er seit fünf Jahren regiert, setzt der gelernte Verwaltungswissenschaftler auf den emotionalen Faktor. Bürgernähe und Bürgerbeteiligung praktizierte Arnold lange bevor die Begriffe unter Grün-Rot Karriere machten. Als Schlüsselerlebnis verbucht er, wie die Gmünder den Salvator, die kleine Felsenkirche hoch über Gmünd, in einer Gemeinschaftsleistung aus dem Dornröschenschlaf weckten. Kaum gewählt, trommelte Arnold die Bürger zusammen. Jeder sollte mitbringen, was er hat: Hauen, Motorsägen, Scheren, um den Salvator von Unrat und Überwucherung zu befreien. Einfach anfangen, etwas wagen – mit dieser Einstellung wurde Arnold zum treibenden Moment der Stadterneuerung und -belebung.

Der Krebstod seines Mannes, des Künstlers Stephan Kirchenbauer-Arnold vor eineinhalb Jahren, bestärkte ihn darin, nichts aufzuschieben. Seitdem hat Arnold das Tempo noch erhöht. Nicht alle Gmünder können oder wollen ihm darin folgen. Die Zahl seiner Fans übersteigt die seiner Kritiker jedoch bei weitem; bei der Kreistagswahl im Juli wurde Arnold im Ostalbkreis mit weitem Abstand Stimmenkönig.

Unbestritten ist: Die Rettung des Salvators markierte den Beginn einer Ehrenamtsbewegung, die für Gmünd inzwischen prägend ist. Das Gemeinschaftserlebnis steht obenan – sei es bei Aufführung der Staufer-Saga zum 850. Stadtjubiläum vor zwei Jahren mit rund 2000 ehrenamtlich Mitwirkenden im Stile von Oberammergau oder jetzt bei der Landesgartenschau mit 1300 Helfern. Zu ihnen zählt Siegfried Leinmüller, 78, der Tickets kontrolliert und die Besucher mit einem Lachen begrüßt, weil es ihm ein Bedürfnis ist, ein guter Gastgeber zu sein. „Für Geld würd’ ich’s nicht machen“, sagt er.

Gemeinschaft, Bürgersinn, Ehrenamt – darauf stößt man in Gmünd an jeder Ecke. Auch über Nationalitäten hinweg. Vor kurzem brachte Arnold schwäbische Landfrauen und türkische Hausfrauen zusammen; das Experiment gelang. „Das Wir-Sein ist wichtig“, steht auf einer Spenden-Tafel der türkisch-islamischen Gemeinde, die wie Dutzende Vereine, Firmen und Bürger eine Spende für den neuen Aussichtsturm geleistet hat. Wenn die Landesgartenschau am 12. Oktober endet, wird sich ein Bürgerschaftsverein um die Anlagen kümmern; mehr als 200 Gmünder sind bereits beigetreten.

„Bei uns hat irgendwie jeder ein Ehrenamt“, sagt Heino Schütte. Ein Stück weit spielt die Tradition hinein. Weltweit einmalig sind die Gmünder Altersgenossenvereine, in denen man sich jahrgangsweise trifft, um mit Pauken, Trompeten und dem gemeinschaftlich geschmetterten Alois-Lied öffentlich Vierziger-, Fünfziger-, Sechziger-, Siebziger- und Achtziger-Feiern zu zelebrieren, eine Maßnahme auch gegen soziale Vereinsamung. Wer das vor etwa 150 Jahren erfunden hat, ist unbekannt. Vermutlich war’s ein Typ wie Richard Arnold.