Eindrücke aus dem Prenzlauer Berg, einer von 13 Foto: Bock

Hegel wird mit Currywurst beschmiert. Ein Spruch an der Hauswand erinnert an Naziparolen. Und Thierse lästert. Das Verhältnis zwischen Berlinern und Schwaben scheint belastet. Doch stimmt das tatsächlich? Auf Spurensuche nach dem Fünkchen Wahrheit.

Berlin - Hegel wird mit Currywurst beschmiert. Ein Spruch an der Hauswand erinnert an Naziparolen. Und Thierse lästert. Das Verhältnis zwischen Berlinern und Schwaben scheint belastet. Doch stimmt das tatsächlich? Auf Spurensuche nach dem Fünkchen Wahrheit.

Die Anspannung ist enorm. Keine Fluchtmöglichkeit weit und breit. Umzingelt von Berlinern. Oder zumindest denen, die sich dafür halten. Auf dem Wochenmarkt in Prenzlauer Berg wimmelt es nur so von Menschen. Hauptstädter überall. Und der Besucher weiß, dass er seinen schwäbischen Akzent niemals wird verstecken können. Darf man so den einheimischen Marktbeschicker ansprechen? Ihn nach den verhassten Süddeutschen fragen? Es bleibt keine Wahl. Keine Feigheit vor dem Feind.

„Ha, das ist totaler Schwachsinn mit dem Schwabenhass“, poltert der Blumenhändler los und lacht. „Die Leute sind fleißig, arbeiten und geben Geld aus. Je mehr Schwaben, desto besser“, schiebt er nach. Das ganze Thema sei von den Medien gnadenlos aufgeblasen. „Natürlich gibt’s immer ein paar Hartz-IV-Empfänger, die was zu meckern haben“, sagt der Mann ohne jede Diplomatie. In den 13 Jahren, in denen er auf diesen Markt komme, habe er noch nichts Schlechtes über die Zugezogenen gehört. Die Umstehenden nicken.

Nicht erst seit Wolfgang Thierse die Schwabenschelte für sich entdeckt und es damit in die „New York Times“ geschafft hat, schlägt das Thema bundesweit hohe Wellen. Der Bundestagsvizepräsident hatte sich im Januar lautstark darüber aufgeregt, dass man beim Bäcker in Prenzlauer Berg gefälligst „Schrippen“ und nicht „Wecken“ bestellen solle, und den Schwaben bei der Gelegenheit gleich noch die Ausbreitung des „Pflaumendatschi“ untergeschoben.

„Kauft nicht bei Schwabn“

Doch nicht immer kommen die Auswüchse so vergnüglich daher wie bei den rudimentären Backwerkkenntnissen des in Thüringen aufgewachsenen Politikers. Unlängst hat die Parole „Kauft nicht bei Schwabn“ an einer Hauswand in Prenzlauer Berg, wo viele Zugezogene aus Baden-Württemberg leben, Schlagzeilen gemacht. Der an die Nazizeit erinnernde Spruch unweit einer Synagoge hat Bestürzung ausgelöst. „Die Schmiererei ist eine unsägliche Aktion, für die es keine Begründung gibt“, sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit.

Der Spruch ist längst wieder von der Hauswand in der Rykestraße verschwunden. Kinderwagen und Fahrräder bestimmen das Bild auf der Straße. Vor dem Ayurveda-Wellness-Zentrum steht eine Elefantenfigur, am Eiscafé wirbt ein Schild für Babymassage, auf dem Kollwitzplatz wird ein Kinderfest gefeiert. Die Stände auf dem Markt bieten Biokost, Tofu oder handgeschöpfte Schokolade. Die Realität ist fast noch besser als das Klischee. Eindeutig eine bessere Wohngegend, in der sich Familien wohlfühlen.

Wahrscheinlich ist es genau das, was manchem ein Dorn im Auge ist. Der Kiez verändert sich. „Berlin hat in den vergangenen sieben, acht Jahren die Hälfte seiner Bevölkerung ausgetauscht“, sagt Burkhard Kieker. Allein in dieser Zeit habe es 2,5 Millionen Zuzüge gegeben, weiß der Touristikchef. Berlin habe auch bei den Besucherzahlen mittlerweile Rom überholt. „Die Römer hatten 3000 Jahre Zeit, sich daran zu gewöhnen, die Berliner nur 20“, sagt er. So mancher Einheimische sei sich der Attraktivität seiner Stadt noch gar nicht recht bewusst.

„Berlin ist keine geschlossene Gesellschaft“

Der Schwaben-Debatte will Kieker deshalb nicht zu viel Bedeutung zugestehen. „Es hätten auch die Fischköpfe sein können. Keiner weiß, wann das zu Ende ist und wer als Nächster dran ist“, sagt er schmunzelnd. Das Thema sei, auch wenn ein bisschen Wahrheit dabei sei, vor allem ein mediales: „Das ist zu schön, als dass man sich das entgehen lassen kann. Das sind Lokalanekdoten.“ Ein fremdenfeindliches Gesicht seiner Stadt wäre so ziemlich das Letzte, was ein Tourismusexperte brauchen kann. Kieker sagt stattdessen: „Berlin ist keine geschlossene Gesellschaft, hier herrscht eine offene Atmosphäre.“

Manchen gefällt das, anderen nicht. „Ich finde, die vielen Zugezogenen bereichern die Stadt. Sie wird bunter“, sagt eine junge Frau am Kollwitzplatz. Ein paar Straßen weiter klingt das bei einem Mann mit Kapuzenpullover anders. „Ständig gibt es Mieterhöhungen. Das kann sich hier bald keiner mehr leisten“, knurrt er. Daran seien nicht allein die Schwaben schuld. Aber sie stünden für den neuen Wohlstand im Viertel, für das Geld, den Wandel.

Gleich um die Ecke steht der inzwischen wohl meistfotografierte Baucontainer der Republik. „Schwabe verpiss Dich TSH“, steht auf der knallgelben Metallschachtel. Die Abkürzung bedeutet „totaler Schwaben-Hass“. Sonst finden sich nur wenige Hinweise im Viertel auf den vermeintlichen Konflikt. Ein Aufkleber gegen Stuttgart 21, einer mit der Aufschrift „Welcome to Schwabylon“. „Das Thema wird heißer gekocht als gegessen. Offene Anfeindungen habe ich noch nie erlebt“, sagt der Herrenberger Daniel Somfleth, der seit neun Jahren an der Spree lebt. Im Alltag bekomme man wenig von diesen Geschichten mit.

Schwabenhass? „Wir nehmen das mit Humor.“

Selbst dort, wo man eigentlich besondere Probleme vermuten könnte. Nämlich im Zentrum schwäbischer Esskultur. „Natürlich gibt es ein paar Viertel, wo Schwaben vielleicht ein bisschen viele Wohnungen gekauft haben, aber von Hass kriegen wir nichts mit“, sagt Michael Hahn. Er betreibt „Die Maultasche“ im Bezirk Mitte. Das Bistro samt Feinkostladen ist nicht nur bei Touristen äußerst beliebt. „Natürlich ziehen wir Schwaben an, davon allein könnten wir aber nicht leben“, erzählt Hahn. 60 Prozent der Gäste kommen von anderswo. Selbst aus Berlin. „Die Italiener haben zum Glück ihr Essen hierher gebracht, und so machen wir es auch“, scherzt Hahn und fügt an: „Wir nehmen das mit Humor.“

Überhaupt treibt das Thema immer kuriosere Blüten. Da landet erst eine gute Portion Spätzle auf dem Denkmal der Künstlerin und Berliner Ikone Käthe Kollwitz. Ein feiger Anschlag, sagen die einen. Andere reagieren auf ihre Weise: Vor wenigen Wochen wird das Hegel-Denkmal in Berlin-Mitte mittels Currywurst bearbeitet. Eine Aktivistengruppe namens „Free Schwabylon“ reagiert augenzwinkernd, indem sie einen „autonomen schwäbischen Bezirk“ fordert und eine Mauer aus Maultaschen errichtet.

Wie sie versuchen viele Schwaben in der Hauptstadt, den Diskussionen eine ironische Seite abzugewinnen. Achim Ruppel, Regisseur und Schauspieler aus Albstadt und Wahl-Berliner, hat in Prenzlauer Berg das Stück „Schwabenhatz“ auf die Bühne gebracht. Darin wird gekonnt mit Vorurteilen beider Seiten gespielt. „Wir kriegen eine wunderbare Resonanz“, sagt er. Im Publikum säßen nicht nur Berliner und Schwaben, sondern sogar solch exotische Landsleute wie Pfälzer oder Franken. „Das Problem ist im Alltag nicht wirklich spürbar, aber das Interesse daran ist vorhanden“, sagt Ruppel. „Die Lösung für uns ist, daraus einen vergnüglichen Abend zu machen.“

300 000 Schwaben leben Schätzungen nach in Berlin

Allerdings fühlt sich auch der Künstler nicht wohl angesichts der jüngsten Auswüchse. „Vom Spaß zum Ernst ist es nicht weit“, sagt er, „ich weiß nicht, was das für Leute sind, die in der Nähe einer Synagoge einen Spruch wie ‚Kauft nicht bei Schwabn‘ an die Wand sprühen.“ Auch der Currywurstanschlag auf das Hegel-Denkmal habe bei ihm ein peinliches Gefühl ausgelöst: „So etwas nimmt dem Thema die Leichtigkeit, mit der wir es angehen.“

300 000 Schwaben leben Schätzungen nach in Berlin. Die meisten unauffällig und unbelästigt. Und wer gerade in diesen vermeintlich harten Zeiten den Patrioten in sich entdeckt, dem kann geholfen werden: Eine Wendlinger Agentur hat Buttons entwickelt, die in der Hauptstadt verschenkt werden. „I ben en Berliner“, steht darauf. Oder das Motto „Das Beste aus zwei Welten“ samt Currywurst und Brezel. Dem Blumenhändler auf dem Markt in Prenzlauer Berg würde das bestimmt gefallen. „Schöne Grüße nach Stuttgart“, ruft er hinterher. Ein Passant bleibt stehen und sagt: „Stuttgart? Lieber nich. Davon ham wa schon jenuch.“

Ein Fünkchen Wahrheit ist halt immer dabei. Auch wenn die Schwaben in Berlin bis auf weiteres in Sicherheit leben.