Der Airbus A 380 vor dem Start in Frankfurt Foto: Jürgen Mai

In der schwäbischen Ortschaft Erbstetten leben zwei Männer, die sich zwischen Himmel und Erde bewegen: Frieder Klaiber und Sebastian Schlüter steuern gemeinsam den Riesenairbus A 380.

Erbstetten - Wer derzeit mit dem größten Passagierjet der Welt, dem Airbus A 380, von Frankfurt nach San Francisco düst, der kann an eine lupenreine schwäbische Cockpit-Connection geraten. In der Pilotenkabine, Schauplatz dieser Geschichte, hat die internationale Fliegersprache Englisch gelegentlich Pause, stattdessen kommt der Dialekt ins Spiel. Die Herren Flieger sind nämlich vom gleichen landsmannschaftlichen Geblüt, und der Slang, der diesem Menschenschlag eigen ist, lässt sich nicht gänzlich abschalten. Könnte ein eingefleischter Altwürttemberger unter den Fluggästen den Dialog der beiden Piloten belauschen, würde er sich wohl bestens aufgehoben fühlen: ,,Guck na, do hocket zwoi Schwoba vorne dren, do ka nix bassiere.“

Der eine, der schwäbelt, ist der Lufthansa-Kapitän Frieder Klaiber, 56, aus dem Dorf Erbstetten im schönen Murrtal. Der andere ist sein junger Kopilot Sebastian Schlüter, 34, der nur ein paar Straßen weiter im selben Flecken wohnt. Ist ihr Megaliner erst einmal auf Kurs und hat die entspannte Flugphase begonnen, sieht das von unzähligen Schaltern, Knöpfen, Bildschirmen und Displays umzingelte Duo keinerlei Notwendigkeit, seinen heimatlichen Slang wegzuklicken. ,,No schwätzet mir über Gott ond die Welt“, sagt Käpt’n Klaiber.

Dem lieben Gott ist man ja ziemlich nahe, und die Entfernung zur Welt kann bis zu satten 12 000 Höhenmetern betragen, wenn die beiden Erbstetter die neuesten Dorfnachrichten austauschen – man muss schließlich up to date sein. So mutiert die Pilotenkanzel im Airbus A 380, diesem vierstrahligen Ungetüm, zumindest zeitweise zum schwäbischen Sprachraum. Es sieht ganz danach aus, dass Schwaben doch (fast) alles können: englisch parlieren, muttersprachlich babbeln und – heidenei – ganz nebenbei die größte fliegende Kiste der zivilen Luftfahrt steuern.

520 Tonnen steigen himmelwärts

Die Triebwerke der LH 454 fauchen und röhren und lassen den ganzen Rumpf erzittern. Die Maschine steht auf Startposition. Die Checks, die Klaiber und sein Co. routiniert Punkt für Punkt abhaken, sind abgeschlossen, alle Instrumente im grünen Bereich. Dann gibt der 56-Jährige mit den vier Schubhebeln Stoff und lässt den Flieger los, der Tempo aufnimmt und schier unglaubliche 520 Tonnen himmelwärts hievt. Das ist ein Gewicht, das dem von hundert ausgewachsenen Elefantenbullen entspricht, hat einer mal ausgerechnet. Rund 4000 Starts hat Klaiber in seinem Pilotenleben bei der Kranich-Airline hinter sich gebracht, sein Adrenalinspiegel, lässt er wissen, bleibt selbst in der Startphase eines A 380 auf coolem Level, da würden auch reelle Dickhäuter in seinem Flieger keinen Stress in ihm aufkommen lassen.

Der Kompass zeigt Richtung Nordatlantik und Island. Die Cockpitcrew meldet sich mit einem Tschüss aus dem Frankfurter Kontrollbereich ab. Von jetzt an heißt die Mission ,,San Francisco, mir kommet“. An Bord sind 526 Fluggäste auf zwei Etagen, mit dabei auch ein VIP: Klaibers Tochter Jana, die gern mit ihrem Papa fliegt, weil sie sich besonders sicher fühlt, wenn sie ihren Vater im Cockpit weiß. Seit einem Jahr hat dieser die Lizenz für den großen Airbus in der Tasche, zuvor freilich galt es, im Flugsimulator den neuen fliegenden Untersatz kennenzulernen und jede Menge Theorie zu büffeln. Was Frieder Klaiber, wie er bekennt, doch einige Anstrengungen kostete.

Nach seinem ersten Flug auf dem Großen gerät Klaiber, zigfacher Kilometermillionär der Lüfte, regelrecht ins Schwärmen. ,,Es ist ein faszinierendes Gefühl, diesen gigantischen Vogel zu steuern“, sagt er begeistert, trotz seiner Größe sei der Riesenjet (Spannweite 80, Länge 73 Meter) keine lahme Ente, sondern erstaunlicherweise sportlich zu fliegen. ,,Der Job in diesem Flugzeug ist die Krönung meiner Pilotenlaufbahn“, sagt Klaiber. Keine Frage auch: wer die A-380-Lizenz in der Tasche hat, der hat es in die Upper Class der Fliegerzunft geschafft.

Kommunikation auf Schwäbisch

Im Führerstand der LH 454 hat längst der Autopilot seinen Dienst angetreten, Zeit für Kommunikation auf Schwäbisch, wobei die beiden richtigen Piloten die Instrumente immer im Blick behalten. Es herrscht eine aufgeräumte Stimmung, auch weil das Mittagsmahl naht. Die Maschine befindet sich über Grönland, als das Essen hereingereicht wird. Während sich die Eskimos da drunten vielleicht gerade an Robbenfleisch laben, wird zwölf Kilometer über Grund Gänsebraten und Fisch serviert. Nicht schlecht, doch könnten sich Klaiber und sein junger Kollege Schlüter auch mal etwas speziell Schwäbisches vorstellen. Sie denken dabei etwa an Maultäschle, deftigen Kartoffelsalat oder Kässpätzle. Hier sehen die beiden die gastronomischen Überflieger aus dem Ländle gefordert, mal einen schwäbischen Gaumenkitzler für die Lufthansa zu kreieren. Sie denken dabei an jene renommierten Sterneköche, die im Schwarzwald und auf der Wielandshöhe beheimatet sind.

Mit Klaiber und Schlüter haben sich nicht nur zwei Schwaben gefunden, sondern auch Seelenverwandte, bei denen, wie sich beide bestätigen, trotz des Altersunterschieds die Chemie stimmt. „Der Sebastian macht seinen Job sehr gut“, lobt der altgediente Flugzeugführer und frühere Pilotenausbilder seinen Senior first Officer, wie Schröters offizieller Titel lautet. Dass für das gute Einvernehmen im Cockpit der gemeinsame geografische Background eine wichtige Rolle spielt, ist für Klaiber keine Frage. ,,Mir send halt bekennende Schwoba“, sagt der Käpt’n mit lächelnder Miene, und wenn die übrige Crew im Flieger wieder mal nix versteht und die Cockpit-Schwaben milde belächeln, dann grinst das Duo zurück.

Wo Frieder Klaiber, dieser globale Kreuz-und-quer-Flieger, längst angekommen ist, will Sebastian Schlüter in ein paar Jahren sein. 1999 hat er mit der Ausbildung begonnen, und was ihm jetzt weiterhilft, ist der Erfahrungsschatz Klaibers, gesammelt seit 1979 in 20 000 Flugstunden bei Trips in alle Weltgegenden. Der 56-Jährige gehört zu den alten Hasen der Lufthansa-Piloten, dem – toi, toi, toi – bis heute brenzlige Situationen erspart geblieben sind. Als er noch ein junger Luftfahrer war, da äußerten seine Erbstetter eines Tages den Wunsch, er möge doch einmal einen Flug für sie organisieren. 133 Eingeborene, ganz stolz auf ihren Frieder, ließen sich damals von ihm durch den schwäbischen Luftraum schaukeln. Nähme er heute die Großversion des A 380, die für 853 Fluggäste konzipiert ist, könnte er auf einen Schlag den halben Flecken und noch einige dazu mitnehmen. „Erbstetten geht in die Luft“, könnte man einen solchen Ausflug nennen.

Die Golden Gate Bridge rückt ins Blickfeld

Die Rocky Mountains liegen hinter der LH 454, nach gut elf Stunden Flugzeit rückt sie langsam ihrem sonnigen Ziel näher. Nicht nur für die Passagiere, auch für das Personal im Cockpit ist es immer wieder ein erhebender Anblick, wenn die Golden Gate Bridge ins Blickfeld kommt und kurz danach die Skyline von San Francisco. Sebastian Schlüter darf nicht allzu lange mit seinen Augen auf diesen faszinierenden Bildern verharren, denn es ist jetzt sein Job, den Airliner sicher und sanft auf den Boden zu bringen. Das macht er vorzüglich, ,,des war a butterwoiche Landong“, lobt Frieder Klaiber seinen Co-Piloten nach getaner Arbeit.

Was machen die beiden professionellen Luftkutscher in den folgenden zwei freien Tagen? Klarer Fall: sie fliegen. Sie chartern ein Sportflugzeug und gondeln entspannt an der kalifornischen Pazifikküste entlang. Klaiber hat auch schon mit dem Motorrad, einer Harley-Davidson, die dortige Küste erkundet, ein Hobby mit Bodenkontakt. Mit dem Bike herumkurven macht ihm viel Spaß, doch nichts ist schöner als fliegen, für Klaiber eine unumstößliche Tatsache.

Zurück Richtung Heimat. Die zwei freien Tage sind wie im Flug vergangen, „business as usual“ ist wieder angesagt. Der Rückflug Richtung Frankfurt steht bevor, vom sonnigen Kalifornien geht’s ins wintergraue Hessen. Alles verläuft planmäßig. Über den Jahreswechsel können Klaiber und Schlüter am Boden bleiben, sie haben dienstfrei. Dann aber wird es für die passionierten Wolkenstürmer aus Erbstetten wieder Zeit abzuheben, sonst könnten sie womöglich von Entzugserscheinungen eingeholt werden.