Am Donnerstag beginnt der Strafprozess in Sachen Wirecard. Foto: AFP/Christof Stache

Am Donnerstag beginnt die juristische Aufarbeitung des Skandals um den einstigen Dax-Konzern. Aktionärsschützer warnen. Wichtige Fragen könnten offen bleiben.

Marc Liebscher blickt mit einem mulmigen Gefühl auf das, was er den größten Wirtschaftsskandal in Deutschland seit 1945 bezeichnet. „Es besteht die Sorge, dass der Staat, nachdem er beim Verhindern des Falls Wirecard versagt hat, nun auch bei dessen Aufarbeitung scheitert“, fürchtet der Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) kurz bevor eben diese Aufarbeitung die in eine entscheidende Phase tritt. In München wird ab Donnerstag gegen den früheren Wirecard-Chef Markus Braun und zwei Mitangeklagte verhandelt. Ihnen wird vorgeworfen, Teil einer kriminellen Bande gewesen zu sein, die betrogen, veruntreut und Bilanzen manipuliert hat. Umfassende Aufklärung werde es aber nicht geben, fürchten die Aktionärsschützer.

„Nicht beleuchtet wird die Rolle der deutschen Finanzaufsicht Bafin sowie das Aufsichtsversagen anderer Behörden, die von Geheimdiensten, der Betrug an Aktionären, auch das Versagen der Staatsanwaltschaft München wird nicht aufgearbeitet“, listet Liebscher seine Bedenken auf. Verhandelt werde ausschließlich die Schuldfrage der drei Angeklagten. Wesentliches bleibe damit auf der Strecke.

Warum hat die Staatsanwaltschaft so lang gebraucht?

So fragt sich die SdK, warum die Münchner Staatsanwaltschaft zweieinhalb Jahre gebraucht habe, um den Fall zur Anklage zu bringen. Wirecard sei dortigen Ermittlern nicht unbekannt gewesen. Immerhin hätten sie Jahre vor der Milliardenpleite des Skandalkonzerns schon einmal in der Sache ermittelt. Damals jedoch gegen Journalisten und Analysten als mutmaßlich kriminelle Spekulanten, die Wirecard Böses andichten und damit Reibach machen wollten. Die Wirecard-Kritiker von damals lagen aber richtig. Ermittelt wurde gegen die Falschen.

Die SdK regt einen Untersuchungsausschuss im bayerischen Landtag an, um auch die Rolle der Staatsanwaltschaft aufzuarbeiten. Diese Seite des Falls bleibe bislang völlig ausgeblendet. Ähnliches gelte für die Bafin, die sich im Ringen um die Aufdeckung der Wahrheit lange ebenfalls auf die Seite von Wirecard und heute auf der Anklagebank sitzender Manager gestellt hatte.

„Anleger werden alleingelassen“

Vielfach allein gelassen würden zudem geschädigte Wirecard-Aktionäre, kritisiert die SdK. Die versuchen seit 2020 unter anderem den langjährigen Wirecard-Wirtschaftsprüfer EY in Regress zu nehmen. Das Landgericht München habe sich lange anlegerfeindlich verhalten, rügt Liebscher. Erst jetzt sei es gelungen eine Sammelklage auf den Weg zu bringen. Dazu werde wohl noch vor Weihnachten ein Musterkläger bestimmt. „Wir befürchten sehr lange Verfahrensdauer“, sagt Liebscher. Vergleichbare Fälle hätten sich über zwölf Jahre hingezogen.

Dazu komme, dass EY keine Rückstellungen für eventuelle Schadenersatzzahlungen treffe, sondern Gewinne umfangreich ausschütte, mutmaßlich um sie vor künftigem Zugriff in Sicherheit zu bringen. „EY macht sich vom Acker“, formuliert es der SdK-Vorstand.

Verschleppt werde ein Verfahren der Apas gegen EY. Diese Behörde beaufsichtigt in Deutschland die Abschlussprüfer von Konzernen und vermutet, dass sich die EY im Fall Wirecard schuldig gemacht hat. Dieser Frage geht sie seit drei Jahren nach, rügt die SdK mit Blick auf die lange Zeit. Von Apas festgestellter Sachverhalt wäre für Aktionärsklagen gegen die EY wichtig. Die Zeit drängt. „Ende 2023 droht Verjährung“, betont Liebscher.

SdK zerrt Bafin vor Gericht

Die SdK selbst werde im ersten Quartal 2023 auf Basis europäischen Rechts die Bafin im Fall Wirecard vor Gericht zerren. Derartige Inanspruchnahme gestützt auf deutsches Recht sei gescheitert. Mittels EU-Recht bestehe aber eine gute Chance, habe ein juristisches Gutachten bestätigt.

Nicht zuletzt müsse auch noch aufgeklärt werden, ob und wie Geheimdienste am Skandalfall beteiligt waren, fordert die SdK. Mit dem ehemaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek ist einer der mutmaßlichen Haupttäter seit gut zwei Jahren flüchtig. Bei seiner Flucht geholfen haben sollen ihm Geheimdienstkontakte. Der jetzige Strafprozess werde zu solchen Fragen wenig Erhellendes beitragen, schätzt die SdK. „Wir sollten keine zu hohen Erwartungen haben“, meint Marc Liebscher.