Nach Angaben der kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen im Land aber die Kosten für die Vierfach-Impfung für alle Versicherten. Foto: dpa

Pünktlich mit den ersten Fällen rufen Vertreter aus dem Gesundheitswesen zur Grippeimpfung auf. Doch wer glaubt, danach zu hundert Prozent geschützt zu sein, irrt, warnen Ärzte aus Stuttgart und Regensburg und räumen mit weiteren Irrtümern auf.

Stuttgart - Die Influenzaviren breiten sich bereits seit September im Land aus, allerdings noch mit sehr niedriger Geschwindigkeit – und pünktlich mit den ersten gemeldeten Fällen rufen allerlei Vertreter aus dem Gesundheitswesen und der Politik zur Grippeimpfung auf: So auch Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne). Er wies darauf hin, dass nach einer Änderung der Schutzimpfungsrichtlinie der Ständigen Impfkommission der Vierfachimpfstoff nun bundesweit empfohlen werde. Doch wer glaubt, nach dem Piks hundertprozentig vor Gliederschmerzen, Fieber, Husten und Schnupfen geschützt zu sein, irrt, warnen Impfexperten aus Stuttgart und Regensburg – und räumen mit Mythen auf, die in der Grippesaison kursieren wie die Viren selbst.

Was hat es mit der Änderung der Impfschutzrichtlinie auf sich?

Aus drei macht vier – so lässt sich in Kurzform die Änderung der Impfschutzrichtlinie beschreiben: „Bis vor wenigen Jahren war ein Impfstoff mit drei Stämmen von Influenza-Viren ausreichend“, sagt Bernd Salzberger von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Doch in den vergangenen Jahren spielen zunehmend weitere Stämme eine Rolle, weshalb nun gegen vier Stämme von Virustypen geimpft wird. „Hiermit ergibt sich eine bessere weil breitere Wirkung“, sagt der Infektiologe vom Uniklinikum Regensburg. So hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) schon im Frühjahr festgelegt, dass Versicherte, die zu den Risikogruppen zählen einen Vierfach-Impfstoff bekommen – und nicht wie zuvor einen Dreifach-Impfstoff. Dazu gehören Senioren über 60 Jahre, chronisch Kranke, Mitarbeiter in Kliniken, Praxen und Pflegeeinrichtungen sowie Schwangere. Nach Angaben der kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen im Land aber die Kosten für die Vierfach-Impfung für alle Versicherten.

Wie gut schützt eine Grippeimpfung?

Wer glaubt, ein Piks genügt, um gegen Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen sowie Husten, Schnupfen und Halsweh gefeit zu sein, irrt. „Keine Impfung schützt zu 100 Prozent“, bestätigt der Stuttgarter Impfexperte Markus Rose, der als Ärztlicher Leiter der Pädiatrischen Pneumologie, Allergologie und dem Mukoviszidose-Zentrum am Klinikum Stuttgart arbeitet. „Wie gut eine Impfung wirkt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.“ Etwa dem Alter des Geimpften, seinen Grunderkrankungen, zu welchem Zeitpunkt er die Impfung erhält und auch davon, wie gut die Impfstoffzusammensetzung mit den zirkulierenden Grippeviren übereinstimmt. „Bei einer guten Übereinstimmung sind etwa 90 Prozent junger Erwachsene und etwa 50 Prozent der Über-60-Jährigen geschützt“, sagt Bernd Salzberger. Im vergangenen Winter war dies nicht der Fall: Der damals verabreichte Dreifachimpfstoff bot Schutz nurvor einem kleinen Teil der Virusstämme. Zwischen Ende Dezember und Anfang April erkrankten daher nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) 333 567 Menschen an einer Grippe, in Baden-Württemberg wurden nach Angaben des Landesgesundheitsamtes 35 941 Influenza-Fälle gemeldet.

Wie lange braucht es, bis sich der Schutz ausgebildet hat?

Nach Angaben des Impfexperten Rose dauert es rund zehn Tage, teils zwei Wochen, bis sich ein Schutz ausgebildet hat – weshalb er dazu rät, sich möglichst jetzt impfen zu lassen, um die erste Grippewelle im November abzufangen. Ein weiterer Grund, sich frühzeitig um eine Immunisierung zu kümmern, ist die Verfügbarkeit des Impfstoffs: So liefern die Hersteller gerade die letzten Restbestände aus, wie der Branchendienst Apotheke Adhoc vermeldet. Rund 15,3 Millionen Impfdosen habe das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) freigegeben. „Obwohl sich zeigt, dass die Nachfrage größer ist als im Vorjahr, wird kein Impfstoff mehr nachkommen.“ Ähnliche gilt auch für den Nasenspray-Grippe-Impfstoff für Kinder. „Von denen gibt es dieses Jahr nur 40 000 Dosen in Deutschland“, sagt Rose.

Lässt die Wirkung der Impfung nach?

Studien weisen darauf hin, dass die Wirkung des Impfstoffs geringer ist, je später die Grippewelle beginnt, heißt es beim Robert Koch Institut (RKI). Auch können sich die Grippeviren in der Zwischenzeit bereits verändern. Dennoch sei der Schutz dann nicht vollständig weg: „Aufgrund des Kontakts mit den Wildviren wird der Schutz aufgefrischt“, sagt Rose. Eine Impfung lohne sich daher auch im Winter

Braucht es pro Jahr eine neue Impfung?

Influenza-Viren sind echte Verwandlungskünstler. In asiatischen Ländern, in denen Mensch und Tier – insbesondere Schweine und Wasservögel – eng beieinanderleben, vermischen sich die Grippeviren häufig. So entstehen jährlich neue Virus-Varianten, gegen die ein Impfstoff hergestellt werden muss. Hinzu kommt, dass Grippeviren während sie zirkulieren, ihre Oberflächenstruktur schnell verändern können, was dazu führt, dass das menschliche Immunsystem sie nicht mehr erkennt – und auch der aktuelle Impfstoff nicht mehr so gut wirkt. Daher muss die Zusammensetzung der Impfstoffe stets überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, heißt es beim RKI.

Nimmt die Aggressivität der Viren zu?

Im vergangen Winter erkrankten zwar ungewöhnlich viele Menschen – allerdings ist dies kein Zeichen dafür, dass die Aggressivität der Influenzaviren zunimmt. „Solche Verläufe kommen alle paar Jahre vor“, sagt der DGIM-Experte Bernd Salzberger. Auch sein Stuttgarter Kollege Markus Rose kann beruhigen: Vielmehr liege der Grund für die heftige Grippesaison auch darin, dass viele die Krankheit noch unterschätzen. „Von den Krankenhauseinweisungen waren im vergangenen Winter vor allem die Über-35-Jährigen betroffen, die oft keinen Grund sehen, sich grippeimpfen zu lassen. In der Altersklasse der Über-64-Jährigen, wo am meisten geimpft wird, war die Krankheitslast dagegen am niedrigsten.“

Ab welchem Alter wird geimpft?

Schon Kinder im Alter von sechs Monaten können geimpft werden, sagt Bernd Salzberger von der DGIM. „Vorher gibt es hoffentlich einen Nestschutz, wenn die Mutter sich in der Schwangerschaft hat impfen lassen.“ Was viele werdende Mütter auch nicht wissen: Eine Impfung in der Schwangerschaft verhindert nicht nur eine Infektion mit Influenzaviren, sondern schützt auch vor Schwangerschaftskomplikationen und nach der Geburt den Säugling über große Teile des ersten Lebensjahres.

Wie verträglich ist der Impfstoff?

„Der Grippeimpfstoff ist in der Regel ein Totimpfstoff, der gut vertragen wird“, sagt Rose. Möglich sind Reizungen an der Einstichstelle, selten kurzes Fieber und ein Krankheitsgefühl. Schwere Nebenwirkungen sind dagegen sehr selten. Bernd Salzberger spricht etwa von einem Fall auf eine Million Impfungen. „Oft kommt es vor, dass sich Menschen zeitgleich zu ihrer Impfung mit Erkältungsviren anstecken und nach der Impfung typische Symptome entwickeln“, sagt Rose. „Das sind aber zeitgleiche Phänomene.“ Auch wer sich kurz vor dem Impftermin etwas angeschlagen fühlt, muss diesen nicht absagen: „Nur eine akute fieberhafte Erkrankung sollte abgewartet werden – ein banaler Infekt ist kein Hindernis“, sagt Rose.