„In Stuttgart sind 3149 Personen Inhaber einer Waffenbesitzkarte“, sagt Stefan Praegert, Leiter der städtischen Waffenbehörde. „Auf sie verteilen sich 17 653 legale Schusswaffen, darunter sind etliche Sammlerstücke.“ Regelmäßig werde die Aufbewahrung der Waffen und die Zuverlässigkeit des Besitzers von der Behörde überprüft. Foto: dpa-Zentralbild

Ein 75-jähriger Mann ist am Samstagmittag durch ein Projektil verletzt worden. Vom Täter keine Spur. Die Polizei geht davon aus, dass ein Unbekannter aus größerer Entfernung den Schuss illegal abgefeuert hat.

Stammheim - Ein ungewöhnlicher Zwischenfall hat sich am Samstag um 14.20 Uhr am Glühwürmchenweg ereignet: Als ein 75-Jähriger sein Auto am Straßenrand parkt und seinen beiden Begleiterinnen beim Aussteigen behilflich sein möchte, hört er plötzlich ein Knallgeräusch. Kurz darauf stellt er fest, dass seine Kleidung am Oberarm beschädigt ist und er blutet. Im Arm steckt die Kugel aus einer Handfeuerwaffe. Der Mann muss ins Krankenhaus, wo ihm die Ärzte das Projektil operativ entfernen. Lebensgefahr bestand nicht. Vom Schützen fehlt – einmal abgesehen vom Projektil – bislang jede weitere Spur.

„Die Kriminalpolizei hat die Ermittlungen aufgenommen“, sagt Polizeisprecher Jens Lauer: „Wir gehen davon aus, dass der Geschädigte ein Zufallsopfer ist und dass der Schuss aus größerer Entfernung abgegeben wurde, eventuell sogar aus einem Kilometer Entfernung.“ Die Kugel sei von oben in den Arm eingedrungen. „Wahrscheinlich hat jemand woanders in die Luft geschossen.“ Zur genauen Art der Waffe möchte die Polizei zum jetzigen Zeitpunkt der Ermittlungen noch nichts Näheres verraten. Nur so viel: „Es war kein Luftdruckgewehr, sondern eine scharfe Handfeuerwaffe.“

Fallende Kugel kann Schädel durchschlagen

Dass allein die Fallgeschwindigkeit eines Geschosses aus großer Höhe ausreicht, um erhebliche Schäden bei Mensch und Tier zu verursachen, ist bekannt. „Etliche Einzelfälle sind beschrieben“, sagt Reiner Herrmann, staatlich vereidigter und bestellter Waffensachverständiger aus Dörzbach bei Bad Mergentheim. „In Reutlingen hat ein Idiot vom Balkon aus in die Luft geschossen, das Projektil hat Vordach durschlagen und eine preisgekrönte Husky-Hündin eines Züchters verletzt.“ Das Tier habe nur durch eine Operation gerettet werden können. Und 1996 wurde ein Mädchen bei den Feierlichkeiten zum Schweizer Nationalfeiertag durch ein 7,9 Gramm schweres Geschoss einer Kalaschnikow lebensgefährlich verletzt: „Das Geschoss drang oberhalb der Achsel ein und steckte 21 Zentimeter im Brustkorb, nur zwei Zentimeter neben der Aorta“, berichtet ein Sachverständiger der Polizei und ergänzt: „Geschosse sämtlicher Kurz- und Langwaffen, ausgenommen Luftgewehrprojektile und kleinere Schrotkugeln, die nicht kleiner als sechs Millimeter sind, können beim beim Zurückfallen auf die Erde lebensbedrohende Verletzungen verursachen oder zu Sachbeschädigungen führen.“ In Stuttgart habe ein an der Universität an der Kepplerstraße abgegebener Warnschuss aus einer Dienstpistole die Motorhaube eines Autos durchschlagen, das sich an der Weißenhofsiedlung befand. Das Projektil, Kaliber 9 Millimeter, steckte im Kühler. Auch Schädel könnten ohne weiteres durchschlagen werden.

Gefahrenbereich reicht zwei Kilometer weit

„Bei einer Patrone im Kaliber 9 MillimeterLuger zum Beispiel geht man von einem Gefahrenbereich von zwei Kilometern aus“, erklärt Reiner Herrmann. Das bedeutet, dass die Kugel unter gewissen Bedingungen auch in einer Entfernung von zwei Kilometern noch Schaden anrichten kann.

Herrmann geht davon aus, dass es sich im Stammheimer Fall nicht um einen Besitzer einer legalen Waffe gehandelt hat. „Jeder Jäger, Sportschütze oder Sammler weiß, dass er nicht einfach rumballern darf – sie alle haben eine Sachkundeausbildung.“ Wer außerhalb einer geschlossenen Schießstätte eine Genehmigung zum Abfeuern einer Waffe erhalten wolle, der erhalte diese nur in ganz seltenen Fällen. „An den Schießständen gibt es Wälle, Blenden und Kugelfänge, die sicherstellen, dass kein Projektil irgendwo hinfliegt, wo es nicht hingehört.“ Und auch die Jäger dürften nur in ihrem jeweiligen Jagdrevier schießen. „Unfälle mit Legalwaffen liegen im Promillebereich.“ Das Problem sieht Herrmann vielmehr in den unzähligen illegalen Waffen, die aus Krisengebieten ins Land gebracht wurden. „Da weiß kein Mensch, was alles im Umlauf ist.“ Sicher sei für ihn nur eines: „Wenn einer in die Luft schießt, dann hat er schon von Anfang an alles falsch gemacht, denn noch kein Geschoss ist bisher oben geblieben.“

Die Kriminalpolizei bittet im Stammheimer Fall um sachdienliche Hinweise unter der Telefonnummer 89 90 57 78.

(Es handelt sich um eine aktualisierte Version – unter anderem wurde der Begriff „Luger Parabellum“ korrigiert)