Die Polizei trainiert im Herbst mit Erstklässlern das richtige Verhalten auf dem Schulweg. Foto: dpa

Nach einem deutlichen Anstieg der Unfälle mit Schulkindern appellieren Stadt, Polizei und ADAC für mehr Rücksicht im Straßenverkehr. Auch die Zahl der flüchtigen Fahrer sei gestiegen.

Stuttgart - In der Woche vorm Schulstart machen Stadt, Polizei und der Automobilclub ADAC traditionell auf die Verkehrsanfänger mit Schulranzen aufmerksam, die bald wieder in großer Zahl in den Straßen der Stadt unterwegs sein werden. Etwa 4500 Erstklässler schnappen kommende Woche ihre Schultüte und müssen zuallererst den neuen Schulweg lernen. Am Dienstag präsentierten ADAC und Polizei vor der Stammheimer Grund- und Werkrealschule, wie sie die Kinder für den Weg zur Schule fit machen. In diesem Jahr mahnte der Polizeipräsident Franz Lutz mehr denn je, auf die Verkehrsanfänger achtzugeben. Denn in der Unfallstatistik für das Jahr 2015 musste die Polizei einen unschönen Anstieg verzeichnen: Es geschahen 25 Schulwegunfälle, zehn mehr als im Jahr zuvor und im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Was den Polizeipräsidenten ärgert: Sieben Autofahrer machten sich nach dem Unfall aus dem Staub und begingen Unfallflucht. „Da beruhigt es mich auch nicht, dass das unter dem statistischen Wert für unerlaubtes Entfernen vom Unfallort liegt. Ein Kind liegt verletzt auf der Straße – und man fährt weg: Das ist unglaublich“, sagte Lutz.

In den meisten Fällen sind die Autofahrer am Schulwegunfall schuld

Die Statistik zeigt, dass nicht die Kinder, sondern Autofahrer und andere Verkehrsteilnehmer das Problem sind. Von den 25 Unfällen war mit 15 die Mehrheit von ihnen verursacht worden, 14 mal von Autofahrern, in einem Fall fuhr ein Radfahrer ein Kind um. Die Hauptunfallursache waren Fehler beim Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren.

All diese Unfallursachen sind auch typisch für einen Gefahrenbereich, der in den zurückliegenden Jahren immer mehr in den Fokus gerückt ist, nämlich direkt vor der Schule. Dort halten kurz vor Unterrichtsbeginn sogenannte Elterntaxis; sie wenden und setzen zurück. Die Zahl der Kinder, die nicht zu Fuß zur Schule gehen, steigt immer weiter: „Anfang der 70er Jahre haben noch 92 Prozent der Kinder ihren Schulweg alleine zurückgelegt, 2012 waren es nur noch 52 Prozent“, sagte Dieter Roßkopf, Vorstandsvorsitzender des ADAC. „Dabei haben die Kinder doch das Laufen nicht verlernt“, fügte er hinzu.

„Wir richten regelmäßig einen Appell an die Eltern, dass sie ihren Kindern lieber eine Erziehung zukommen lassen, die es ihnen ermöglicht, irgendwann alleine in die Schule zu gehen, als sie jeden Tag mit dem Auto hinzufahren“, ergänzte die Stammheimer Schulleiterin Claudia Neulinger. „Der Schulweg ist auch eine Erfahrungswelt. Diese halbe Stunde Selbstständigkeit sollte man den Kindern zugestehen“, so die Rektorin. Die Stammheimer Schule sei ausgewählt worden, weil sie vorbildlich sei: Nicht, weil es laut der Rektorin kein Problem mit Elterntaxis gebe, sondern, so Roßkopf, weil sie mit der Stadt und der Polizei regelmäßig zusammenarbeite, um gute Lösungen für einen sicheren Schulweg zu finden, lobte der ADAC-Chef. Die Stadt trage ihren Teil dazu bei, indem sie regelmäßig Schulwegpläne erarbeite, sagte Dorothea Koller, die Leiterin des Ordnungsamts. Etwa 80 Pläne seien aktuell verfügbar, entweder in Papierform oder im Internet auf der Seite der Stadt. Sie stünden in sieben Sprachen zur Verfügung, damit auch Eltern, die noch nicht über ausreichend Deutschkenntnisse verfügten, die Tipps abrufen könnten, sagte Koller. In den zurückliegenden beiden Jahren sei an 16 Schulen Tempo 30 eingeführt worden. Außerdem habe die Stadt 31 Anzeigetafeln mit Grinsis und Heulis vor Schulen aufgestellt, die dem Autofahrer anzeigen, ob er sich an Tempo 30 halte oder nicht.

Die Stadt veröffentlicht rund 80 Schulwegpläne in sieben Sprachen

Mit Hol- und Bringzonen für diejenigen Eltern, die auf jeden Fall weiterhin aufs Auto setzten, könne man in Stuttgart in absehbarer Zeit nicht rechnen: „Überall dort, wo das Elterntaxi ein Problem ist, ist dafür zu wenig Platz“, erläuterte die Chefin des Ordnungsamtes.