Der Einsatz von Tablets wird an manchen Schulen erprobt Foto: dpa

Die Schulversuche entwickeln sich in der grün-schwarzen Koalition zu einem heißen Eisen auf dem sensiblen Feld der Bildungspolitik. Der grüne Ministerpräsident stärkt der CDU-Kultusministerin den Rücken. Die Grünen-Fraktion bremst.

Stuttgart - Der Grünenfraktionschef Andreas Schwarz hat bereits bei der CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann interveniert und sie vor Schnellschüssen und Alleingängen bei Entscheidungen über künftige Schulversuche gewarnt. Jetzt wiegelt die Ministerin ab. „Mit der Forderung, beim Thema Schulversuche besonnen vorzugehen, rennen die Grünen offene Türen bei mir ein“, sagte Eisenmann unserer Zeitung. Sie versichert, „in aller gebotenen Ruhe werden wir Schritt für Schritt vorgehen.“

In den kommenden Monaten müsse man sich zunächst einen Überblick über alle laufenden Versuche verschaffen. „Wir müssen dieses Thema erst gründlich aufarbeiten, um auf einer soliden Faktenlage überhaupt Entscheidungen treffen zu können.“ Auf jeden Fall würden auch noch Gespräche geführt, ergänzt eine Sprecherin des Ministeriums.

Manche Entscheidung schon gefallen

Doch von ihrer Entscheidung, den Versuch „Grundschule ohne Noten“ abzuwickeln, wird Eisenmann wohl kaum abrücken. Der Versuch, der an zehn Schulen läuft, ist der aktuelle Stein des Anstoßes. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vermutet hinter der Einstellung des Versuches „eine rein ideologische Entscheidung“, so ihr Geschäftsführer Matthias Schneider.

Die Vielfalt der Schulversuche ist Susanne Eisenmann ein Dorn im Auge. Auf der steten Suche nach Ressourcen, die gebündelt werden könnten, hat die Kultusministerin 140 Versuche zählen lassen.

Kretschmann steht hinter Eisenmann

Mal seien „zwei, mal 30 Schulen beteiligt“, konstatiert die Ministerin. Die würden jetzt alle unter die Lupe genommen. „Wir werden sie fortführen, wenn sie begründet sind und beenden, wenn sie nicht begründet sind.“ Für das Durchlüftungsvorhaben bekundet der grüne Ministerpräsident seiner CDU-Kultusministerin seine „volle Unterstützung“. Schulversuche, legt Winfried Kretschmann dar, „haben den Sinn, neue pädagogische Ansätze zu prüfen. Nur unter dieser Maßgabe sind sie sinnvoll.“ Wenn etwa neue Bildungspläne erprobt werden, läuft das als Schulversuch. Der GEW-Geschäftsführer Schneider vermutet, es könnte vor allem ums Sparen gehen. Doch nicht alle Versuche seien üppig ausgestattet. Man müsse differenziert auf die Versuche blicken.

Ganztag im Versuchsstadium

Die Bandbreite ist groß. Manches glaubt man dem Versuchsstadium längst entwachsen. Seit den 60er Jahren befinden sich die Ganztagsschulen im Status eines Versuchs. Der Ganztagsbetrieb an Grundschulen hat es inzwischen in das Schulgesetz geschafft. Jetzt sieht das Kultusministerium „Regelungsbedarf“ für die weiterführenden Schulen. Es sei das Ziel, „im Zuge des Ganztagsausbaus auch in der Sekundarstufe einheitliche Modelle und eine gesetzliche Regelung zu schaffen“, erklärt eine Sprecherin.

Das hat die Inklusion bereits geschafft. Im Schuljahr 2010/11 wurde in fünf Schwerpunktregionen der Versuch gestartet, dass Eltern von behinderten Kindern zwischen Sonder- und Regelschulen wählen konnten. Das Projekt endete mit der Änderung des Schulgesetzes. Wesentliche Erkenntnisse des Versuchs sind laut Ministerium in die Gesetzesnovelle eingeflossen.

Versuch als juristische Krücke

Am häufigsten ist vom Schulversuch zum neunjährigen Gymnasium die Rede. 44 Schulen sind beteiligt. Eben hat ihn die Ministerin um fünf weitere Jahre verlängert. Dabei geht es weniger um pädagogischen Erkenntnisgewinn, als um eine juristische Krücke, neben G8 auch G9 zuzulassen.

Ein Schulversuch der speziellen Art ist auch Chinesisch als zweite Fremdsprache. Der einzige Teilnehmer am Versuch ist das Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach. Der Versuch, der seit 2008 läuft, sei nicht befristet, er werde auch nicht wissenschaftlich begleitet, so das Ministerium. Einziger Grund für die Deklaration als Versuch sei es, dass Chinesisch im Hamburger Abkommen, der Vereinbarung zwischen den Bundesländern zur Bildung, nicht als zweite Fremdsprache vorgesehen sei. Der Versuch sei „unschädlich und nicht besonders teuer“, gegen eine Fortführung spricht aus Sicht der GEW nichts.

Orientierungsstufe vor dem Aus

Eingestellt wird dagegen zum Ende dieses Schuljahres der Versuch an der Geschwister-Scholl-Schule Konstanz zum sanften Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule. Seit 1988 erprobt die Schule eine schulartenübergreifende Orientierungsstufe. Eine wissenschaftliche Begleitung gab es dem Kultusministerium zufolge nicht.

Ins Geld geht der vor einem Jahr an vier allgemein bildenden Gymnasien gestartete Versuch „Tablets am Gymnasium“. Jetzt sind 14 weitere Schulen eingestiegen. Eine Million Euro sollen allein die Geräte kosten. Die wissenschaftliche Begleitung übernimmt die Universität Tübingen. Der Versuch soll bis 2021 laufen.

Berufliche Schulen versuchsfreudig

Ohne Befristung, aber auch ohne wissenschaftliche Begleitung läuft dagegen der Versuch berufliches Gymnasium der sechsjährigen Aufbauform. Nicht wie üblich nach der zehnten Klasse sondern bereits nach der siebten Klasse können Schüler dabei auf ein berufliches Gymnasium wechseln und dort nach sechs Jahren Abitur machen. Durch die Wahl der Schule können die Schüler früh Schwerpunkte setzen. Ziel ist die Fachkräftesicherung. Weitere Modelle sind etwa das Internationale Abitur mit Prüfungen auf Englisch in Biologie und Geschichte wie es in Korntal erprobt wird oder Englisch als Pflichtfach an der Berufsschulen.

In den Schubladen verschwunden ist der GEW zufolge dagegen ein Bericht, den schon Annette Schavan als Kultusministerin angestoßen hatte. Damals ging es um die Neubewertung der Lehrerarbeitszeit. Das Eisen galt als zu heiß.