Vor 80 Jahren schrieben in Leonberg die Schüler mit Griffel auf Schiefertafeln von Schreibwarenhändler Richard Heinrich. Spuren seines Wirkens gibt es noch heute.
Sie war Jahrzehntelang die angesagte Adresse für Schreibwaren, Bürobedarf und Bücher in der Schlossstraße in Leonberger historischen Altstadt. Aber bei Richard Heinrich gab es auch eine eigene Buchbinderei und eine Werkstatt für Bilderrahmen. Zwei der drei ehemaligen Schaufenster in denen seit fast 20 Jahren Bücher wie „Ballermann. Keiner verlässt die Theke“, „Ratgeber Familie“, aber auch das 2007 erschienene Buch „Nachgedacht. Im Leben und im Sterben: Sozialstation und Hospiz in Leonberg“ von Lilienne und Ernst Haaf und Margarete Helmes in der Sonne verblassen, zeugen noch von der einstigen Firma „Richard Heinrich e. K.“ Das dritte Schaufenster wurde vom Technischen Hilfswerk mit Pressplatten verrammelt, weil es wohl irgendjemand eingeschlagen hat. Hie und da tauchen im Internethandel auch noch Ansichtskarten mit Leonberger Motiven auf, die Richard Heinrich in Auftrag gegeben hatte, oder wie jüngst auch Firmenpost.
Der Kaufmann erkennt die Zeichen der Zeit
Im Jahr 2012 war „Richard Heinrich e. K.“ aus dem Handelsregister gelöscht worden, da gab es schon lange andere Inhaber. Der eingetragene Kaufmann, kurz „e.K.“ ist die in Deutschland am häufigsten vorkommende Rechtsform. Die im Handelsregister eingetragenen Kaufleute sind Einzelunternehmer, sie sind alleinige Inhaber und haben in der Firma keine Partner.
Es war gerade erst ein halbes Jahr seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen, als Richard Heinrich versuchte, sein Geschäft wieder in Gang zu bringen. Doch es gab viele Hindernisse, wie eine Postkarte an die Firma „Gebr. Steinhardt in Dettingen/Hohenzollern“ zeigt. Es gab kaum Briefmarken, daher wurde schlicht „Gebühr bezahlt“ auf die Karte gestempelt. Zudem traute die amerikanische Besatzungsmacht den Deutschen nicht über den Weg und selbst die private Post musste „military censorship, civil mails“ (die militärische Zensur für Privatpost) durchlaufen, wie ein weiterer Stempel bezeugt.
Herausforderungen des Warenflusses
Die Postkarte zeigt auch, dass so kurz nach dem Krieg, der Warenfluss alles andere als einfach war. Die Ware in Dettingen holen zu lassen, war für den Leonberger Kaufmann so gut wie unmöglich. Deshalb bat er den Hersteller, diese vielleicht per Express nach Calw an die Firma Alfred Lutz zu schicken, falls es noch nicht in das Leonberger Gebiet ginge. Von hier werde er die Tafeln dann abholen lassen, meinte Richard Heinrich.
Doch was hatte der Leonberger bei „Gebr. Steinhardt“ bestellt? Es waren Schreibgeräte, wie sie seit Jahrhunderten von Lernenden benutzt wurden – es waren Schiefertafeln. In Dettingen befand sich von 1881 bis 1965 die einzige Schiefertafelfabrik im heutigen Baden-Württemberg. Der Kaufmann Otto Steinhardt hatte dort mit 22 Jahren einen Laden eröffnet mit allem, was im Ort und in der Umgebung nötig war: Honig, Keramik aus der Majolkafabrik Schramberg, Glas aus Obertal bei Baiersbronn, Konditorwaren von seinem Bruder August in Rottweil, Zündhölzer aus Schwenningen. Später nahm er den Großhandel mit Schiefertafeln und Griffel auf. Die bezieht er aus Thüringen, wo sie überwiegend in der Hausindustrie hergestellt werden. Doch schon 1882 gründet er mit seinem Stiefbruder Hermann eine eigene Schiefertafelfabrik. Er hat den richtigen Riecher: Bereits im ersten Jahr werden 320 000 gewöhnliche Schiefertafeln und 20 000 Patentklapptafeln fertiggestellt.
Schiefertafeln werden bis 1960 verwendet
Im Lauf der Zeit wurde das Sägewerk der Firma ausgebaut, 1888 eine firmeneigene Krankenkasse gegründet. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte die Firma 60 Mitarbeiter, davon allein 50 in der Tafelproduktion sowie zehn im Sägewerk. Die letzten bekannten Daten stammen aus dem Jahr 1957. Da schrieben die Schulkinder schon nicht mehr auf Schiefertafeln, sondern in ihre Schulhefte. Mit 30 Mitarbeitern wurden bei Steinhardt 39 569 Schiefertafeln gefertigt, 4011 Federkasten und Griffel, 405 437 Meter Keilrahmen für Bilder, 69 343 Malerlineale, 274 Feldstaffeleien und 1505 Malstöcke. Der Wert der Produktion lag bei 267 254 Markt. Noch bis in die 1960er-Jahre wurden Schiefertafeln in den deutschen Grundschulen benutzt.