Für viele Schüler ist die Sozialarbeit in der Pandemie die einzige Anlaufstelle, um Hilfe zu bekommen, wenn etwa der Ausbildungsplatz bedroht ist. Foto: dpa/Jens Büttner

Schulsozialarbeiter sind ganz nah dran an den Schülern. Sie schildern die Lage in der Pandemie als teils dramatisch.

Böblingen - Ein Tag vor dem Lockdown ist es gelungen, für eine Schülerin der Hilde-Domin-Schule ein Zuhause zu finden. In der kleinen Bleibe steht nun ein Bett, viel mehr nicht, denn jetzt sind die Geschäfte zu. Aber trotzdem war der Auszug ein großes Glück für die junge Frau, die zu Hause nicht bleiben konnte. Nadja Großmann, Sozialarbeiterin der Herrenberger Schule für Haus- und Landwirtschaft erzählt aus ihrem Alltag, der coronabedingt noch einmal etwas verrückter geworden ist: „Wir sind seit Monaten damit beschäftigt, schnell und kreativ Lösungen für zig Probleme zu finden.“

Die Schulsozialarbeiter sehen die Pandemie bei den Schülern wie unter einem Brennglas: Wer zuvor schon „vom Leben gebeutelt“ war, den „fegt es nun beinahe weg“ (Großmann). Vor allem, weil die „Jugendlichen auf ihrem Weg in ihre Zukunft“ von der Pandemie getroffen wurden, sagt Frank Arnold, der Leiter des Kreisbildungsbüros, der im regelmäßigen Austausch mit den 23 Schulsozialarbeitern des Kreises steht, die an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren und den beruflichen Schulen arbeiten – dort sei die Not besonders groß.

Es gibt immer mehr Berichte von psychischen Problemen

Alles im Leben stehe infrage: Ausbildungsplatz, Alltag und nicht selten die eigene Zukunft, an deren Anfang man gerade erst stehe. Jüngere Schüler leben eher in Familienverbünden. Die Berufsschüler haben teilweise stolz und glücklich die erste eigene Wohnung oder sie stammen aus so schwierigen Verhältnissen, dass sie gar nicht mehr daheim leben können. „Wir hören seit Beginn der Pandemie vielfach von psychischen Krisen bis hin zu suizidalen Tendenzen.“ Michael Groh vom Waldhaus in Hildrizhausen beschreibt die Lage als teilweise dramatisch. Fast 30 Schulsozialarbeiter arbeiten bei diesem Jugendhilfeträger an weiterführenden, aber auch beruflichen Schulen.

Die durch die Pandemie bedingten Probleme haben sich seit dem Frühjahr deutlich verändert. Im ersten Lockdown sei es vielfach darum gegangen, die Jugendlichen im Homeschooling irgendwie zu versorgen. „Wir haben alles nach Laptops abgeklappert, was ging“, schildert Nadia Großmann. Maria Antonella Manes, Sozialarbeiterin am Berufsschulzentrum Gottlieb-Daimler-Straße 1, sagt: „Die Kommunikation mit sehr vielen Jugendlichen funktionierte ausschließlich über das Smartphone und Whatsapp.“

Wenn dieses dünne Band riss, war die Verbindung zur Schule und damit bei vielen zum einzigen verlässlichen Umfeld oft über einen längeren Zeitraum gekappt. Das sei das Schlimmste gewesen, sagen viele der Schulsozialarbeiter, die Frank Arnold regelmäßig trifft.

Im ersten Lockdown sind viele Schüler einfach verschwunden

In dieser Zeit seien viele Jugendliche abgetaucht. Die seien einfach verschwunden. „Dieser Rückzug ist dramatisch, weil er gerade bei den Stillen oft in eine Depression mündet“, sagt Nadia Großmann. Man habe versucht, virtuell ansprechbar zu sein, sagt Michael Groh, das habe zumindest als Ersatzlösung in einigen Fällen gut funktioniert. Aber Hilfe lebt vom Kontakt, wenn es denn aber nicht mehr gibt, weil die Jugendlichen sich nicht mehr melden, nützt das beste Angebot nichts. Dadurch sei ein weiteres Problem entstanden: Große Lerndefizite machen den Lehrern zu schaffen. Ein Problem, das sich binnen weniger Wochen im Präsenzunterricht seit den Herbstferien nicht aufholen lasse, so Michael Groh.

Aber eine Sache habe sich verändert: Nach den Sommerferien sei „Schule weniger als Lernort, sondern als Lebensort wahrgenommen“ worden, sagt Frank Arnold. Nie habe sie diesen Satz häufiger gehört: „Zum Glück dürfen wir wieder kommen“, so Maria Antonella Manes, „die klebten quasi bei uns an der Türschwelle. Wir waren wie Freundinnen, die man mag und lange nicht gesehen hat“. Das sei eine Chance für die Zukunft, meint sie. „Wir dürfen keinen Jugendlichen verlieren. Wir brauchen jeden für unsere Zukunft.“

Eigene klinische Strukturen wären ein Wunschtraum

Auch wenn es heute gar keine Frage mehr ist, dass es in Schulen Sozialarbeit gibt, und auch Kreis- und Landesmittel fließen – die Männer und Frauen an der Front wünschten, sie könnten noch mehr tun. Michael Groh: „Wir brauchen eine Art ,Bündnis Schule’, weil uns das, was jetzt passiert, lange nach Corona noch beschäftigen wird.“ Das könnten Pools für Nachhilfelehrer sein, aber auch eigene klinische Strukturen. Denn es gebe viel zu wenige Termine bei Psychiatern oder Psychologen, die Wartelisten seien lang. „Wenn wir solche Strukturen an allen großen Schulen hätten, wäre das eine ganz tolle Sache“, formuliert es Nadja Großmann, die seit zehn Jahren im Job ist.