Unkonzentrierte und überforderte Schüler gibt es inzwischen in jeder Klasse. Unkonzentrierte und überforderte Schüler gibt es inzwischen in jeder Klasse. Foto: dpa

Schulsozialarbeiter beobachten schon bei Erstklässlern Probleme. Mit ein Grund ist die veränderte Gesellschaft. An weiterführenden Schulen wirkt sich der Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung negativ aus.

Korntal-Münchingen - Immer mehr Schüler plagen in immer jüngerem Alter Schlafstörungen, Aggressionen, Mobbing, Depressionen, Ängste oder Stress. Als Folge brauchen sie oft mehr Unterstützung, als das vor zehn Jahren der Fall war. Diesem Wandel und dem damit gestiegenen Bedarf an Schulsozialarbeit trägt Korntal-Münchingen jetzt Rechnung. Die Stadt stockt die Stelle der Schulsozialarbeiterin am Korntaler Gymnasium auf. Von September an arbeitet Birgit Hanl 50 statt 39 Prozent. „Damit können wir einiges abdecken. Ob der Stellenumfang reicht, wird sich zeigen.“

Länger schon zeige sich, dass „die Lebenswelt der Schüler komplexer geworden ist. Das spiegelt sich im Schulalltag wider“, sagt Birgit Hanl. Der Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung führe zu uneinheitlichen Klassen: Die Schüler hätten große Unterschiede bei der Ausbildung der sozialen Kompetenzen sowie im Leistungsniveau. Gerade Kinder, die auf der Realschule besser aufgehoben wären, seien überfordert, zumal die Eltern hohe Ansprüche stellten. „Manche Schüler fürchten, dem Druck nicht standzuhalten und zu versagen“, sagt Birgit Hanl. Außer Schlafstörungen, Ängsten oder Lernstress stellt die Sozialarbeiterin Störungen im Unterricht, Konflikte oder Ausgrenzung fest.

Insgesamt seien die Einzelfallberatungen komplexer und intensiver geworden. Etliche Schüler hätten neben schulischen auch persönliche Probleme. „Ich muss oft mehrere Konfliktstellen finden. So wird der Beratungsaufwand größer als angenommen“, sagt Birgit Hanl. Zwei Beratungen genügten längst nicht mehr. „Häufig sind drei bis fünf Beratungen nötig."

Immer mehr Erstklässler sind nur bedingt schulreif

Auch an Grundschulen haben die Schulsozialarbeiterinnen immer mehr und auch andere Aufgaben zu tun. „Mittlerweile beginnen die Beratungen schon in der ersten Klasse und nicht mehr erst mit der Pubertät in den weiterführenden Schulen“, sagt Christiane Bungert. Sie ist an der Teichwiesenschule tätig. Schwierigkeiten gebe es in allen Klassen – im sozialen, emotionalen, motorischen wie erzieherischen Bereich. Während bei den Dritt- und Viertklässlern der Druck steigt, gute Leistungen fürs Gymnasium zu bringen, seien zahlreiche Erst- und selbst Zweitklässler nur bedingt schulreif. Sie hätten Probleme mit der Sprache oder damit, Regeln einzuhalten. Heike Richter, die Schulsozialarbeiterin an der Flattichschule, bestätigt das. „Bestimmte Probleme wie Konflikte mit Gleichaltrigen treten früher auf.“

Die Expertinnen führen all das auf eine veränderte und schnelllebigere Gesellschaft zurück. Kinder wachsen mit digitalen Medien auf, verbringen weniger Zeit mit den Eltern – die stärker berufstätig sind – und mehr Zeit in Betreuungseinrichtungen oder bei Oma und Opa. „Viele Kinder sind überreizt und kommen nicht mehr zur Ruhe. Sie sind müde und können sich schlecht konzentrieren“, sagt Christiane Bungert. Zudem seien sie länger auf sich bezogen. Dabei sei es für den Unterricht wichtig, dass Schüler sich zurücknehmen und wissen, Teil einer Gruppe zu sein.

Prävention wird immer wichtiger

Dass Eltern und Schüler verstärkt auf die Schulsozialarbeiterinnen zukommen, liegt auch an den Präventionsprojekten. Diese sind ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld. Die Schulsozialarbeiterinnen reden inzwischen mit allen Grundschülern über Kommunikation, Gefühle oder Selbstvertrauen. „Wir sind in Klassen und bei Elternabenden stärker präsent“, sagt Heike Richter. So sehe man zugleich mehr – und könne andererseits Probleme abfedern, damit Schüler erst gar keine weitere Hilfe benötigen. Am Gymnasium gibt es im Schnitt vier Präventionsprojekte. „Themen, die Schüler darüber hinaus beschäftigen, greife ich bei Bedarf auf“, sagt Birgit Hanl.

Das Korntaler Gymnasium nähert sich mit 50 Prozent Schulsozialarbeit anderen Gymnasien im Kreis an. Ditzingen und Markgröningen haben trotz jeweils weniger Schüler als Korntal (900) eine volle Stelle. Mit dem Ende der Werkrealschule erhält die Teichwiesenschule den gesamten Stellenanteil von 62,82 Prozent für die Schulsozialarbeit. Die Flattichschule bleibt bei 50, die Realschule bei 90 Prozent.