Die Debatte über den Weg zum Abitur ist an der Spitze der baden-württembergischen Landespolitik angekommen. Foto: dpa/Felix Kästle

Ministerpräsident Kretschmann und Ministerin Schopper sind offen für eine Debatte über die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Was das bedeutet und was nicht.

Für Anja Plesch-Krubner und Corinna Fellner fängt das neue Jahr besser an als das letzte aufgehört hat: Seit Jahren kämpfen die beiden für eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium als Regelschule in Baden-Württemberg, seit rund zwei Monaten sammeln sie Unterschriften für einen Volksantrag, der ein Volksbegehren zum Thema vorbereitet. Und jetzt sitzen Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) bei der Landespressekonferenz und kündigen Gesprächsangebote „von Regierungsseite“ an (Schopper) und signalisieren die Bereitschaft zur Debatte (Kretschmann).

Damit hat das Thema, das die grün-schwarze Koalition eigentlich wie alle bildungspolitischen Strukturfragen in dieser Wahlperiode links liegen lassen wollte, recht schnell nach dem Start des Volksantrags seinen Weg an die Spitze der Landespolitik gefunden. Das ist ein Erfolg der G9-Initiative. Es ist aber ein zwiespältiger Erfolg, denn ihrem eigentlichen Ziel sind die Aktivisten nicht wirklich näher gekommen.

Konziliant im Ton – hart in der Sache

Zwar erklärte Ministerin Schopper konziliant, dass sie sich einer Debatte über die flächendeckende Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren nicht verschließen wolle. Mit Nachdruck verwies sie aber darauf, dass Strukturreformen immer auch Unruhe in die Schullandschaft brächten. Sie habe den Volksantrag genau angeschaut und durchgerechnet, welche Konsequenzen er habe, erklärte Schopper. 1400 bis 2000 Lehrerdeputate würden für die Umsetzung gebraucht. Das seien Lehrerstellen, die an anderer Stelle – vor allem zur besseren Ausstattung der Grundschulen mit ihrer heterogenen Schülerschaft – fehlten.

Kretschmann outet sich als G9-Gegner

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) brachte die Regierungshaltung noch deutlicher auf den Punkt. Er sei ein „entschiedener Gegner der Wiedereinführung von G9“, werde sich aber keiner Debatte verweigern. „So ein Volksantrag muss debattiert werden, das ist der Sinn, weshalb wir ihn eingeführt haben“, sagte Kretschmann und blieb damit ganz auf seiner angestammten Linie, dass die „Politik des Gehörtwerdens“, die er nach seinem Aufstieg an die Macht zu seinem Markenzeichen gemacht hat, nicht mit einer Politik des automatischen Erhörtwerdens verwechselt werden dürfe.

Debattieren will Kretschmann, in der Sache sieht er aber „ganz wenig schlagende Argumente“, die für eine Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums in der Fläche sprechen. Politisch sehe die Lage aber anders aus, räumte der Regierungschef ein, da Baden-Württemberg in Westdeutschland fast das letzte Land sei, das den achtjährigen Weg zum Abitur noch pflege, ergänzte der Ministerpräsident. „So etwas setzt einen föderal unter Druck“, sagte Kretschmann, sogar wenn die anderen Länder anders als der Südwesten keine beruflichen Gymnasien hätten. Kretschmann erinnerte daran, dass die beruflichen Gymnasien ein wichtiger und erfolgreicher Aufstiegspfad für Realschüler zum Abitur seien. „Wenn wir G9 einführen, dann verschiebt sich etwas. Das wirkt sich auf alles andere aus und der Kultusminister hätte Jahre damit zu tun“, meinte er. „Das wird wieder nicht dafür sorgen, dass wir an die Spitze kommen. Dann sind die Reformkosten höher als die Reform.“

Politischer Druck entscheidet

Einen Erkenntnisgewinn können die Befürworter des neunjährigen Gymnasiums trotzdem aus der Pressekonferenz an diesem Mittwoch mitnehmen: Kretschmann und Schopper wollen die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium nicht, sie sind aber sensibel für politischen Druck. Der wird umso höher, je mehr Unterschriften die G9-Befürworter sammeln.