Walter Link im Rektorat Foto: FACTUM-WEISE

Im Sommer geht Rektor Walter Link in Ruhestand. Das weiß sein Kollegium in der Korntaler Johannes-Kullen-Schule für Erziehungshilfe bereits seit einiger Zeit. Allerdings ist die Suche nach einem Nachfolger schwer. Die Gründe dafür erklärt Link im Interview.

Noch hat Walter Link keinen Moment Zeit zum Aufräumen im Rektorat gehabt. Es sieht auch nicht so aus, als würde der Leiter der Johannes-Kullen-Schule in Korntal, einer Sonderschule für Erziehungshilfe, vor seinem letzten Schultag – dem Tag vor den Sommerferien – dazu kommen. Überrascht, dass sich derweil die Suche nach seinem Nachfolger so schwierig gestaltet, ist er nicht.
Herr Link, vor zwei Jahren haben Sie angekündigt, Ende dieses Schuljahrs in Ruhestand gehen zu wollen. Warum planten Sie den Abschied schon so frühzeitig?
Ich wollte sicherstellen, dass wir hier an der Schule genug Zeit haben, einen Nachfolger für mich zu finden. Die frühe Planung hat nichts damit zu tun, dass ich mich schnellstmöglich von meinen Kollegen verabschieden wollte. Im Gegenteil, das wird mir ziemlich schwerfallen. Zudem war es mir wichtig, dass nicht ich in diesen wechselvollen Zeiten der Bildungspolitik die Weichen für die Zukunft stelle, sondern mein Nachfolger.

Aber Ihre Rechnung ist nicht aufgegangen.
Leider nicht. Wir haben uns seit anderthalb Jahren intensiv um einen Nachfolger bemüht, aber bislang keinen gefunden. Dabei haben wir die Stelle bundesweit ausgeschrieben. Leider kam darauf nur eine Bewerbung, die aber aus diversen Gründen nicht infrage kam. Zudem sind auch wir als Schule auf mehrere aus unserer Sicht geeignete Kandidaten zugegangen. Doch auch das hat nicht geklappt.

Wer wird dann nach den Sommerferien Ihren Platz im Rektorat einnehmen?
Wir haben uns einen Plan B überlegt. Mein Stellvertreter Georg Gutjahr wird die Schule ab September kommissarisch leiten. Unterstützt wird er dabei von unserem Sonderschulkollegen Kai Holtkamp, der die Aufgabe des Konrektors übernimmt. Zudem werden etliche Lehrer aus dem Kollegium einzelne Aufgaben übernehmen, die bislang in meiner Hand lagen.

Warum soll diese Lösung nur ein Provisorium bleiben?
Georg Gutjahr ist von Hause aus Realschullehrer. Es ist aber sinnvoll, dass eine so große Erziehungshilfeschule wie die Johannes-Kullen-Schule von einem Sonderpädagogen geleitet wird. Mit 235 Schülern an drei Außenstellen gehören wir zu den größten Schulen für Erziehungshilfe im Land.

Liegt es an der Schulart, dass die Suche nach einem Leiter so schwer ist?
Ich denke, das ist kein spezifisches Problem der Johannes-Kullen-Schule, und es liegt auch nicht an der Schulart. Schon seit Jahren ist es auch an Regelschulen schwieriger geworden, Schulleiterstellen zu besetzen. Wer heute eine Schule leitet, muss sehr viel mehr Verantwortung als früher übernehmen und auch mehr Arbeit schultern. Tatsächlich verdient man aber nicht sehr viel mehr als ein normaler Lehrer. Finanziell lohnt sich das nicht unbedingt.

Aber wegen der finanziellen Vorteile haben Sie die Stelle als Leiter dieser Sonderschule 2003 auch nicht angetreten.
Nein, das war sicherlich nicht der ausschlaggebende Grund. Was mich an der Schulleitung immer gereizt hat, war die Möglichkeit zu gestalten – und dies ist an einer Schule in privater Trägerschaft in noch größerem Umfang möglich.

Der Träger ist die Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal. Kann es auch diese dezidierte Bindung an die Gemeinde sein, die Bewerber abschreckt?
Dies ist, glaube ich, eher ein nachgeordneter Faktor. Entscheidender ist, dass es gerade insgesamt zu wenig Sonderpädagogen im Alter zwischen 40 und 55 gibt. Diese Jahrgänge wurden seinerzeit zu wenig eingestellt und fehlen jetzt sehr. Lehrer dieser Altersklasse brächten nötige Erfahrung mit und würden einer Schule noch genug zeitliche Perspektive geben. Leider haben mehrere Sonderpädagoginnen aus Gründen ihrer Familienplanung abgesagt.

Überall wird von Inklusion geredet. Mag das potenzielle Bewerber abschrecken? Es ist schließlich nicht verlockend, Leiter einer Schule zu werden, die man womöglich in wenigen Jahren schließen muss, weil die Schulpolitiker keine Sonderschulen mehr wollen.
Die Inklusion ist ein heiß diskutiertes Thema, und auch in unserem Kollegium hat das manche Ängste ausgelöst. Ich glaube allerdings, dass wir dies als Schule für Erziehungshilfe am wenigsten zu befürchten haben. Dazu muss man sich nur die Entwicklung der letzten zehn Jahre anschauen. In dieser Zeit hat sich unsere Schülerzahl verdoppelt. Allein in diesem Schuljahr haben wir 77 Schüler neu aufgenommen, davon 20 Schüler in unsere Klassen 1 – das ist ein erschreckender Fakt.

Liegt das daran, dass man heute stärker sensibilisiert ist und verhaltensauffällige Schüler weniger durchs Raster fallen?
Nein, das glaube ich nicht. Die meisten unserer Neuaufnahmen sind schon vorher aus mehreren Schulen verhaltensbedingt rausgeflogen. Sie sind nicht einfacher geworden – im Gegenteil. Viele waren vorher in psychiatrischer Behandlung. Obwohl von den 63 Beratungsfällen unserer Frühförderstelle nur zwei Kinder bei uns eingeschult wurden, nehmen die Zahlen erschreckend zu. Viel zu wenige Eltern nehmen diese kostenlose Hilfe rechtzeitig in Anspruch. Die gesellschaftliche Investition von 15 Wochenstunden für unsere Fachkraft der Sonderpädagogischen Beratungsstelle hat sich ausbezahlt, sollte aber unbedingt weiter ausgebaut werden.

Könnten künftig nicht vermehrt Schüler einer Schule für Erziehungshilfe inklusiv beschult werden?
In gewisser Weise betreiben wir schon Inklusion. Denn im Schnitt wechseln von uns 25 bis 30 Schüler im Jahr wieder zurück auf eine Regelschule. Die sind dann im ersten halben Jahr auf dem Papier noch unsere Schüler und gehen erst dann richtig auf die andere Schule über. Aber das muss eng von Sonderpädagogen begleitet werden. Die Pädagogik auf einer Schule für Erziehungshilfe ist Beziehungspädagogik. Da reicht es nicht, wenn ein Sonderpädagoge wie ein Gastarbeiter ein oder zweimal in der Woche für drei Stunden beim inklusiv beschulten Schüler vorbeischaut. Das ist nur sinnvoll, wenn diese Schüler in einer Gruppe betreut werden und genügend Lehrerstunden zur Verfügung stehen.