Mehr Zeit zum Lernen und Reifen oder nur mehr Zeit zum Zocken? Was die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium betrifft, sind sich die Schulleiter im Kreis Ludwigsburg nicht einig.
Die von einer Elterninitiative durchgesetzte Rückkehr zu G9 in Baden-Württemberg trifft bei den Direktoren der Gymnasien im Kreis Ludwigsburg auf Skepsis. Das zeigt eine Umfrage unserer Zeitung. Dabei bringt es Christoph Mühlthaler, der Leiter des Kornwestheimer Ernst-Sigle-Gymnasiums, auf den Punkt: G9 bedeute vor allem für Schüler der Mittelstufe, dass sie mehr Zeit für andere Dinge hätten. „Die Frage ist aber, wie diese Zeit genutzt wird“, sagte Mühlthaler. „Wenn sie nur zu Hause sitzen und zocken, ist es kontraproduktiv.“
Aus seiner Sicht sei es richtig, dem Elternwunsch zu folgen. Andererseits habe es immer Schüler gegeben, für die die Schulzeit zu lange gewesen sei. „Da hat man dann gemerkt, die müssen raus ins Leben.“ Auch Achim Salomon vom Alfred-Amann-Gymnasium in Bönnigheim hält die Rückkehr „grundsätzlich für eine sinnvolle und notwendige Anpassung“. Bildung und Reife brauchten Zeit „und in der heutigen, komplexen Bildungslandschaft ist es entscheidend, den Jugendlichen mehr Raum für vertieftes Wissen und eine umfassendere persönliche und soziale Entwicklung zu bieten.“ Für Schüler mit speziellen Interessen und Begabungen biete eine neunjährige Gymnasialzeit Vorteile, weil der Lehrplan flexibler gestaltet werden könne. Doch schon bisher kämpfe man mit Lehrermangel und Unterrichtsausfall.
„Ich habe das Gejammer nie verstanden“
Katja Kranich spricht hingegen von einer „großen Katastrophe“. „Die wenigen Ressourcen im Bildungsbereich kommen der ohnehin bevorzugten Schulart zugute“, sagt die Leiterin des Vaihinger Stromberggymnasiums. Dabei bestehe der größte Bedarf in der Grundschule. Und keines der Probleme am Gymnasium wie übervolle Lehrpläne und unzeitgemäße Prüfungskultur werde gelöst. „Bei uns wird nichts besser durch G9.“
Auch Jürgen Stolle, der Leiter des Friedrich-List-Gymnasiums in Asperg, hätte eine Reform von G8 bevorzugt. „Ich habe das Gejammer über G8 nie verstanden.“ Viele Abiturienten hätten das gewonnene Jahr sehr individuell genutzt und zum Beispiel im Bundesfreiwilligendienst wertvolle Erfahrungen gesammelt. Ursprünglich habe man ja gewünscht, dass die Schüler schneller auf dem Arbeitsmarkt landen. „Interessanterweise hört man von der Wirtschaft jetzt dazu gar nichts.“ Sicher ist: wenn der erste G9-Jahrgang in die 13. Klasse kommt, wird es in Baden-Württemberg für ein Jahr fast keine Abiturienten geben.