Am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Filderstadt schlüpfen Schüler in den Lehrerkittel. Dort unterrichten zurzeit Elftklässler Viertklässler. Ein Seitenwechsel, von dem am Ende alles etwas haben.
Filderstadt - Wie viele Knochen hat der Mensch? Und welche Organe schützen Erwachsene mit einem Gurt für Motorradfahrer? Die Kinder der Klasse 4b der Grundschule Bonlanden grübeln mit Feuereifer. Dann schnellen die ersten Hände in die Luft. Lukas sagt die richtige Antwort, alle jubeln. „Am Anfang sind sie noch schüchtern, doch im Laufe der Stunde tauen sie schnell auf“, sagt Jonas Rau, Lehrer am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium. Er hat gemeinsam mit seinem Kollegen Dirk Lehmann das Kooperationsprojekt mit den Filderstädter Grundschulen ins Leben gerufen. 15 seiner Schüler gestalten in kleineren Gruppen für Grundschüler eine Unterrichtsstunde.
„Der Praxisphase ging ein Theorieteil voraus, in dem wir uns den Grundschullehrplan angeschaut haben und gemeinsam überlegen konnten, wie man eine Unterrichtsstunde gestaltet“, sagt Rau. Insgesamt 17 solcher Stunden werden die Elftklässler für Viertklässler von sechs Grundschulen im Umkreis von Filderstadt abhalten. Sie bauen gemeinsam ein Modell des Sonnensystems, machen chemische Experimente oder nehmen den menschlichen Körper unter die Lupe. „Die Lehrer der Grundschulen waren gleich begeistert von unserem Projekt“, sagt Jonas Rau.
Vielleicht wird die Elftklässlerin mal eine echte Lehrerin
Begeistert war auch Jana. Die Elftklässlerin hat bereits ein Praktikum an einer Grundschule gemacht. „Das Projekt ist perfekt für mich, ich wollte unbedingt mitmachen“, sagt sie. Sie kann sich die Stunden als Seminarkurs im Abitur anrechnen lassen und spart somit die mündliche Abi-Prüfung. „Aber vor allem geht es mir um die Praxiserfahrung“, sagt sie. Später mal Lehrerin zu werden, ist durchaus eine Option für Jana. Als Lehrerin vor einer Grundschulklasse zu stehen, sei jedoch noch mal eine ganz andere Herausforderung, als einfach nur ein Referat zu halten. „Wenn die Schüler unruhig werden, muss man schon auch mal streng sein“, sagt Jana.
Eigenständigkeit, zielgerichtetes Arbeiten und Zeitmanagement könnten die Schüler bei diesem Seminarkurs lernen. Und neben diesem positiven Aspekt für die Schüler sei das Ganze auch eine gute Werbung für die Schule. „Im April müssen sich die Grundschüler und ihre Eltern für eine weiterführende Schule entscheiden“, erklärt Rau.
Das Projekt ist gute Werbung für die Schule
Direktor Peter Bizer erzählt, dass jedes Gymnasium dazu verpflichtet sei, in engem Kontakt mit den Grundschulen zu stehen. „Die Grundschüler müssen sich ja vorstellen können, wie es auf dem Gymnasium aussieht und was künftig auf sie zukommt“, sagt er. Natürlich sei das Projekt eine gute Werbung. Aber „am Ende entscheiden Kinder und Eltern nach ganz unterschiedlichen Kriterien, wie die weiterführende Schule aussehen soll.“ Die Nähe zum Wohnort spiele dabei eine große Rolle und auf welche Schule Freunde und Geschwister gehen, sagt Bizer.
Seit die verbindliche Grundschulempfehlung vor fünf Jahren abgeschafft worden ist, dürfen Eltern selbst entscheiden, welche Schulart sie für ihr Kind nach der Grundschule wählen. „Anfangs hatten wir deshalb etwas mehr Bewerber und auch einige Kinder, die sonst vielleicht nicht aufs Gymnasium gekommen wären“, sagt Bizer. Mittlerweile habe sich das aber eingependelt. Die Entscheidung der Eltern sei in den meisten Fällen bedacht und verantwortungsvoll getroffen.
Familiäre Atmosphäre und Vertrauen
Die Anzahl der Beratungsgespräche sei seither trotzdem gestiegen. „Die enge Kooperation mit den Eltern ist Bestandteil unseres Leitbildes“, sagt der Direktor. Kommunikation werde am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium großgeschrieben. „Eine familiäre Atmosphäre und ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrern und Schülern ist uns ganz wichtig“, sagt der Lehrer Jonas Rau.
Im Klassenzimmer haben die Grundschüler derweil Vertrauen zu Jana und ihren Mitstreitern gefasst. „Lehrer sein ist ganz schön anstrengend“, sagt sie, als am Ende der Stunde alle aus dem Klassenzimmer stürmen.