Vielen Lehrern geht die vollständige Wiedereröffnung der weiterführenden Schulen zu schnell. Foto: dpa/Felix Kästle

Die Pandemie verändert den Unterricht - auch über den Sommer hinaus. Die Schulen stehen vor großen Herausforderungen. Viele Lehrer leiden unter der Situation. Nun offenbaren sie, wo ihnen der Schuh drückt.

Stuttgart - Der Schulbetrieb im Südwesten läuft seit Monaten im Ausnahmezustand - und wird das noch eine Weile tun. Nach den Sommerferien sollen die weiterführenden Schulen wieder voll öffnen. Knapp jedem dritten Lehrer (31 Prozent) geht das zu schnell - das geht aus einer Umfrage unter Lehrern an Grund- und weiterführenden Schulen in Baden-Württemberg hervor, die der Verband Bildung und Erziehung am Donnerstag vorstellte. 39 Prozent sind demnach der Meinung, man hätte mit der Öffnung der Grundschulen Ende Juni noch bis nach den Sommerferien warten sollen. Die Lehrer benennen in der Umfrage die aus ihrer Sicht größten Probleme im Schulalltag in Pandemie-Zeiten:

Abgehängt Kinder

Der Schul-Lockdown hat die Wissenskluft zwischen den Kindern verschärft. Schwächere Schüler verlieren den Anschluss. Als größte pädagogische Herausforderung in der Schulöffnungsphase betrachten die meisten Lehrer (77 Prozent) den Ausgleich von Lernrückständen. Deshalb wären auch 53 Prozent bereit, auf freiwilliger Basis außerplanmäßig in den Sommer- und Herbstferien zu unterrichten, um Lücken zu schließen - 18 Prozent generell, 22 Prozent bei Anrechnung auf ihre Pflichtstunden, 13 Prozent nur bei besonderer Vergütung. Etwas weniger, nämlich 46 Prozent, wären bereit, im neuen Schuljahr auch an Samstagen zu unterrichten. Man müsse sich aber vom Gedanken verabschieden, dass man das Versäumte wieder komplett aufholen könne, sagt VBE-Landeschef Gerhard Brand.

Lehrermangel

Bereits vor Corona mangelte es an Lehrkräften im Land. Er höre immer Stammtischparolen, Lehrer hätten es in der Krise zu Hause gut gehabt, aber die Belastung habe massiv zugenommen, sagte VBE-Landeschef Brand. Mehr als die Hälfte der befragten Lehrer berichtet auch, dass die Arbeitsbelastung seit der Krise deutlich (28 Prozent) oder etwas (25 Prozent) höher sei als davor. Fernunterricht, versäumter Stoff, Ferien-Nachhilfe, Notbetreuung, gestaffelte Bewegungspausen, zeitversetzter Unterricht, Masken auf dem Pausenhof - der Organisationsaufwand sei gewaltig, sagt Brand. Es brauche mehr Personal.

Vor allem Grundschullehrer klagen über eine höhere Belastung. 22 Prozent der Lehrer dort wünschen sich die Einstellung neuer Kräfte. Dass das Land den Lehrermangel in den vergangenen Jahren nicht in den Griff bekommen habe, räche sich nun, sagt Brand. Auch die Bildungsgewerkschaft GEW fordert zusätzliches pädagogisches Personal zum Schulstart im September.

Hygiene

Lehrer sitzen jeden Tag mit vielen Kindern in einem Raum - nicht wenige sorgen sich vor Infektionen. Rund ein Drittel der Lehrer hält sich für nicht ausreichend geschützt, an den Grundschulen sind es sogar 41 Prozent. 71 Prozent der Befragten würden gerne regelmäßig und freiwillig auf das Virus getestet werden. 37 Prozent gaben an, dass die Lehrer selbst die Räume putzen müssten. „Zu allen Belastungen obendrauf bekommen die Lehrkräfte also auch noch den Putzeimer in die Hand gedrückt!“, kritisiert Brand. Sein Verband fordert mehr freiwillige Corona-Tests, Plexiglasscheiben am Pult und Maskenpflicht für Schüler bei direkter Interaktion mit Lehrern.

Laptops und digitale Ausstattung

Rund 40 Prozent fordern eine bessere digitale Ausstattung von Schülern wie Lehrern - das formulieren die Lehrkräfte als dringlichste Erwartung an das Kultusministerium. Die Ausstattung mit digitalen Endgeräten wird auch als erstes auf die Frage genannt, was die Lehrer bei ihrer Arbeit in der momentanen Situation am stärksten entlasten würde. Das Land will 300 000 Laptops und Tablets anschaffen - die solle es aber nur im Einzelfall für Lehrer geben, kritisiert Brand. Es könne nicht sein, dass Lehrer ihre privaten Geräte nutzen müssten.

Und wie reagiert der oberste Dienstherr auf die Forderungen der Lehrer im Land? Im Kultusministerium liest man die Ergebnisse der Umfrage in erster Linie positiv. Die Einschätzungen der befragten Lehrer zeigten „eine insgesamt hohe Zustimmung zur Schulpolitik in der Corona-Krise und zu den Plänen für das neue Schuljahr“, teilte eine Sprecherin am Donnerstag mit. Sie räumte aber auch ein: Das Coronavirus sei immer noch ein unberechenbarer Gegner, der langfristige Planungen erschwere. „Hier ist es für alle Schulpartner wichtig, gemeinsam im Gespräch zu bleiben.“