Vor 100 Jahren als Reformschule unter Leitung von Friedrich Schieker eröffnet, feierte die Schule im Sonnigen Winkel am Samstag ihren 100. Geburtstag als Fest für alle.
Seilspringen, Sackhüpfen, Zielwerfen oder Zaubern sind bei Kindern out? Vom Gegenteil überzeugten sich am vergangenen Samstag fast 1000 Besucherinnen und Besucher des großen Sommerfestes 100 Jahre Schule im Sonnigen Winkel am Kräherwald in Stuttgart. Heute als Außenstelle der Schule im Großen Sonnigen Winkel bekannt, präsentierten sich der 1925 eröffnete Schulbau an der Leibnizstraße samt Schulhof und Straßenraum bei bestem Wetter zum Jubiläum als Mitmachbühne für alle Generationen.
Isabel Fezer, Stuttgarts Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, nützte ihr mit einem Geburtstagsscheck der Stadt Stuttgart gekröntes Grußwort auch für ernste Worte. Fezer hob auf die Idee von Schule als umfassendem Lernort und Spiegel demokratischen Bewusstseins ab, für den auch die Elternschaft Mitverantwortung trage. Die Rektorin Mechthild Spiekermann erinnerte zunächst an die Wurzeln der Schule Im Sonnigen Winkel als aus einer Privatinitiative entstandenen Reformschule. Der Pädagoge Friedrich Schieker suchte im Schulreform-freudigen Stuttgart nach einer Möglichkeit, seine Idee einer Volksschule auf hohem Niveau zu realisieren. Die 1925 eröffnet Schule am Kräherwald wurde Schiekers Reallabor, und ein Anbau stellte 1920 die Weiterführung zur breiten Ausbildung der Klassen eins bis sieben sicher – inklusive Latein, Französisch und Englisch. Im nationalsozialistischen Deutschland gerieten Friedrich Schieker und „seine“ Schule schnell unter Beobachtung. 1936 musste Schieker gehen – seine Idee selbstbewusster, weil selbst denkender Kinder stand in zu großem Widerspruch zum NS-Ideal des Führerprinzips.
Auf weitere 100 Jahre!
An frühere Erfolge konnte der 1977 gestorbene Schieker nach dem Zusammenbruch Hitler-Deutschlands nicht mehr anschließen. Seine Konzeption „Die Schule des Neuaufbaus: Eine Denkschrift über den Neuaufbau der Schule des deutschen Volkes“ von 1946 ist heute weitgehend vergessen. Und doch transportiert die Schule in ihrem an beiden Standorten –an der Leibnizstraße (Schule im kleinen Sonnigen Winkel) wie in der 1952 im Sonnigen Winkel eröffneten und 1959 erweiterten Schule im Großen Sonnigen Winkel – im Schulhaus verankerten Leitbild die Idee des selbst bestimmten Menschen. Freiheit durch Wissen – auch beim großen Jubiläumsfest diskutierten ehemalige Schülerinnen und Schüler wie frühere und heutige Eltern ausgiebig darüber, ob man in Deutschland und auch in Baden-Württemberg nicht zu lange die Chancen dieser Überzeugung vernachlässigt habe. Der große Chor aller Schülerinnen und Schüler hatte derweil nach den Worten Isabel Fezers das Motto des Tages vorgegeben: auf weitere zu bestaunende 100 Jahre!