Bitte einsteigen – welcher Schwarzfahrer saß denn da in einer S-Bahn S 4? Foto: Jan Reich

Dietrich Bonhoeffer, der 1945 von den Nazis ermordete Theologe und Widerstandskämpfer, ist Kontrolleuren der Bahn kein Begriff. Sie jagen ihn deshalb als Schwarzfahrer. Und das sehr hartnäckig: Ein Inkassounternehmen hat ein neues Ultimatum gestellt.

Stuttgart/Filderstadt - Wann merkt die Bahn AG, dass sie einer Schule vorwirft, mit der S-Bahn schwarzgefahren zu sein? Die kuriose Jagd auf eine „Frau Bonhoeffer Dietrich“, hinter der sich nur das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Filderstadt verbirgt, geht unvermindert weiter. Die Lok lässt sich offenbar nicht aufhalten – ungeachtet unserer Berichterstattung Anfang Dezember und mehrerer Anfragen bei der Bahn. Die Mahngebühr steigt immer weiter – ein beauftragtes Inkassounternehmen verlangt inzwischen 99,17 Euro.

Vor über einem Monat noch schien der Fall erledigt zu sein. Die Schulverwaltung des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums erreichte Ende November 2014 ein Schreiben der DB-Fahrpreisnacherhebungsstelle mit dem Vorwurf, dass sie, beziehungsweise eine „sehr geehrte Frau Dietrich“ in einer S-Bahn ohne gültigen Fahrausweis angetroffen worden sei und das erhöhte Beförderungsentgelt nicht noch beglichen habe. 45 Euro seien dafür fällig.

Offenbar spielte sich alles in einer S-Bahn der Linie S 4 ab, die am 4. November 2014 zwischen den Haltestellen Stuttgart-Schwabstraße und Eglosheim/Favoritepark unterwegs war. Um 8.48 Uhr geriet Dietrich Bonhoeffer, beziehungsweise Frau Bonhoeffer Dietrich, in eine Fahrausweiskontrolle und hatte keinen gültigen Fahrschein dabei. Ein Routinevorgang, wie er immer wieder abläuft. Etwa drei bis sechs Prozent der Fahrgäste haben keinen gültigen Fahrschein dabei – weshalb den Prüfern ihren Personalausweis oder andere amtliche Dokumente vorweisen müssen. Haben sie gar nichts dabei, wird die Polizei herbeigerufen.

Doch wie konnte der schwarzfahrende Fahrgast entkommen? Wie konnte er die Prüfer täuschen? Den Kontrolleuren war offenbar nicht aufgefallen, dass „Bonhoeffer Dietrich“ ein seltsamer Frauenname ist. Und dass sich unter der Adresse Seestraße 40 in 70794 Filderstadt das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium verbirgt. Kann man an Ort und Stelle ja auch nicht wissen. Doch auch nachgeordneten Stellen fiel der Fehler nicht auf. Während die Schule versuchte, per Telefon und Fax ihre Unschuld zu beweisen, erklärte ein Stuttgarter Bahnsprecher auf Anfrage unserer Zeitung, dass „der Fall geprüft“ werde.

Schließlich ist es durchaus interessant, wie ein unbekannter Fahrgast es geschafft haben könnte, bei der Personalienfeststellung eine ganze Schule, deren Namensgeber der Theologe und Widerstandskämpfer während des Naziregimes Dietrich Bonhoeffer ist, in die Bahn zu setzen. Oder wie eine Frau den Prüfern glaubhaft machen konnte, dass ihr Vorname Bonhoeffer sei. Darüber wollte unsere Zeitung eine Auskunft. Zumal Schwarzfahren kein Kavaliersdelikt ist und nach Angaben des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS) jährlich etwa 14 Millionen Euro Schaden verursacht.

Doch die bahninterne Prüfung dürfte nicht so recht vom Fleck gekommen sein. Dietrich Bonhoeffer, ein Schwarzfahrer: Die DB Vertriebs GmbH in Baden-Baden zeigte sich unbeeindruckt von den Unstimmigkeiten. Und ließ die Maschinerie weiterlaufen. Der Vorgang wurde, wie im ersten Schreiben an die Schule Ende November angedroht, „ohne erneute Mahnung einem Inkassounternehmen zur Beitreibung der Forderung übergeben“.

Das Inkassounternehmen, ebenfalls mit Sitz in Baden-Baden, war fleißig. Am Silvestertag, 31. Dezember 2014, wurde ein weiteres Mahnschreiben abgeschickt. Das Schreiben erreichte, wegen der Weihnachtsferien verspätet, am 8. Januar die Schule. Sie wurde aufgefordert, bis zum 10. Januar nunmehr 99,17 Euro zu bezahlen. Bestehend aus 40 Euro erhöhtem Beförderungsentgelt, fünf Euro Mahnauslagen, 4,27 Prozent Jahreszinsen, also zwölf Cent, Inkassokosten von 45 Euro zuzüglich Auslagen von neun Euro plus weitere Zinsen von fünf Cent. Die Schule hat das Inkassounternehmen nochmals mit einer Stellungnahme von ihrer Unschuld zu überzeugen versucht.

Wann wird der Name Dietrich Bonhoeffers rehabilitiert? Der Versuch, bei der Bahn eine Antwort zu bekommen, zieht sich auch für unsere Zeitung schon über mehrere Tage hin. Auch am Dienstag konnte ein Bahnsprecher keine Erklärung liefern. „Viele Dinge laufen ja automatisiert ab“, vermutet er, „und wenn das erst einmal die Rechnungsabteilung durchläuft, hat das zwischendurch niemand in der Hand.“