Die Zahl der überschuldeten Menschen ist 2024 zwar leicht zurückgegangen, wie der alljährliche Schuldneratlas zeigt, der in Stuttgart vorgestellt wurde. Das ist bei genauerer Betrachtung allerdings keineswegs ein Grund zum Aufatmen.
2024 sei ein besonderes Zäsurjahr, betont Bernd Bützow, CEO bei der Wirtschaftsauskunftei Creditforum anlässlich der Vorstellung des diesjährigen Schuldneratlas. Das Scheitern der Bundesregierung, der Ausgang der Wahlen in den USA, die andauernden Krisen in Nahost und der Ukraine und wirtschaftliche Probleme – es herrsche Unsicherheit auf allen Ebenen. Ein Nebeneffekt: Die Überschuldung der Deutschen ist zu einem „kleinen Stillstand“ gekommen, wie Bützow erklärt. Auf den Sparkonten zeichne sich ein Trend zum „Angstsparen“ ab. Das habe einen positiven Effekt auf die Überschuldungsquote. Sie liegt 2024 bei 8,09 Prozent. 2023 waren es 8,15 Prozent gewesen.
Mehr Insolvenzen und weniger Investitionsbereitschaft
Entspannt sei die Situation keineswegs, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung und Pressesprecher beim Creditforum. Wenn VW einen Standort schließe und Ford kurzarbeiten lasse, so seien das nur zwei Beispiele für die angespannte Lage in der Wirtschaft. Es gebe mehr Insolvenzen und weniger Investitionsbereitschaft bei den Unternehmen. Die Folge: Entlassungen drohen. Arbeitslosigkeit ist einer der größten Risikofaktoren für Überschuldung. Die genauere Betrachtung der Zahlen zeigt auch ganz andere Gefahren, in Überschuldung zu geraten. Vor allem jüngere, konsumorientierte Menschen nutzten gerne die leichte Verfügbarkeit von Ratenkrediten, sagte Hanztsch. Die Möglichkeit Buy-Now-Pay-Later-Angebote wahrzunehmen, verführe immer wieder zur Überschätzung der eigenen Finanzkraft.
Signifikant schlägt sich auch die zunehmende Altersarmut in der Statistik nieder. Michael Goy-Yun, Geschäftsführer bei Boniversum sieht vor allem eine Zunahme der so genannten Harten Verschuldung, der Zahlungsunfähigkeit bis hin zur Privatinsolvenz in der Gruppe der über 70-Jährigen. „Das Verlassen der Schuldenspirale scheint hier besonders schlecht zu glücken“, sagt er. Er verweist zudem auf rechnerische Effekte, die Auswirkungen auf die aktuellen Zahlen haben. So würden bestimmte Inkasso-Fälle mittlerweile nicht mehr drei Jahre lang, sondern nur noch für 18 Monate gespeichert. Dadurch seien rund 75 000 Fälle aus der Statistik gefallen. Auch hier ist die Botschaft klar: Grund zur Beruhigung besteht nicht. Für besonders stark von Überschuldung betroffene Gruppen wie alleinerziehende Frauen hat sich nichts geändert.
Für Sparvorhaben fehlt unteren Einkommensschichten das Geld
Gleichzeitig bestätigt sich ein weiteres Mal, dass Regionen und Städte mit besonders viel Innovationspotenzial insgesamt weniger Fälle von Überschuldung aufweisen. Baden-Württemberg rangiert hinter Bayern auf Platz zwei der Länder mit der niedrigsten Quote. Auch die universitäre Prägung von Städten sei in diesem Zusammenhang ein wichtiger Faktor, sagt Rainer Bovelet, Inhaber des Büros Synergie 2. Selbstredend spielt auch das Einkommen eine Rolle. Der Anstieg der Realeinkommen wird nach wie vor zu einem bedeutenden Teil durch gestiegene Lebenshaltungskosten, etwa durch gestiegene Lebensmittelpreise aufgefressen. Besonders den unteren Einkommensschichten bleibt kein Geld für Sparvorhaben oder zusätzlichen Konsum, wie der Experte festhält.
Eine Verbesserung der Lage ist nicht zu erwarten. Thyssenkrupp Stahl-Chef Dennis Grimm hat eben erst einen Stellenabbau angekündigt. Die höheren Zölle, die mit dem Regierungswechsel in den USA einhergehen werden, dürften sich ebenfalls negativ auswirken.