Zum Jahresende kommen viele Anfragen bei Schuldnerberatern. Das liegt nicht an Geschenk-Exzessen – dennoch sehen Verbraucherschützer neue Trends beim Online-Shopping mit Sorge.
Für die Klienten von Sandra Meyer ist der Advent eine schwierige Zeit. „Gerade Eltern stehen unter einem enormen Druck“, berichtet die Caritas-Mitarbeiterin, die bei der Zentralen Schuldnerberatung in Stuttgart Menschen in Finanznot betreut. Schließlich sei Kindern schwer zu vermitteln, warum sie nicht das Gleiche haben könnten wie ihre Klassenkameraden. „Da ist die Gefahr groß, neue Schulden zu machen.“
Johannes Kreukler, Schulden- und Insolvenzberater bei der Arbeitsgemeinschaft Spezialisierte Schuldnerberatung (ASS) in Mannheim, beobachtet: „Die Zahl der Anfragen bei der Schuldnerberatung steigt zum Jahresende immer an.“ Das habe mehrere Gründe – so bewege der Jahreswechsel generell viele Menschen zur Reflexion über die eigenen Lebensumstände. Aber Kreukler ist sicher, dass Weihnachten eine wichtige Rolle spielt: „Wenn man merkt, dass alle Welt Geschenke kauft, führt es einem schmerzhaft vor Augen, dass man nicht mithalten kann.“
Die häufigsten Auslöser von Überschuldung sind Schicksalsschläge
Das heißt nicht, dass Menschen durch Geschenk-Exzesse in die Überschuldung rutschen: Das Konsumverhalten ist laut dem jüngsten Überschuldungsbericht des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen (iff) nur in neun Prozent der bei den Schuldnerberatungen registrierten Fälle Ursache der Probleme. Die häufigsten Auslöser sind demnach Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scheidung und Einkommensarmut.
Doch wer einmal in finanziellen Nöten steckt, für den ist der Konsum auf Pump eine besondere Versuchung. Unter den unbezahlten Rechnungen, mit denen Hilfesuchende in den Schuldnerberatungen auftauchen, nehmen Ratenkredite den größten Anteil ein. Laut iff-Bericht machen sie im Schnitt 18 Prozent der Verbindlichkeiten aus – was auch daran liegt, dass Schuldner die Tilgung von Krediten eher einstellen als die Zahlung der Miete oder der Stromrechnung.
Umstrittener Zahlungsaufschub bei Klarna und Paypal
Besorgt zeigt sich das iff in diesem Zusammenhang über die Zunahme an Möglichkeiten, Produkte im Internet zu bestellen und erst später zu bezahlen. „Buy now, pay later“ heißt der Trend, der weit über die Bestellung auf Rechnung hinausgeht: Die Finanzdienstleister Paypal und Klarna beispielsweise bieten an, Bestellungen erst nach 30 Tagen oder in mehreren Raten zu bezahlen. Die von einigen Online-Händlern selbst angebotene „Zahlpause“ bringt teilweise sogar noch mehr Aufschub.
Aufsehen erregten die Angebote, als junge Erwachsene im sozialen Netzwerk Tiktok eine „Klarna Challenge“ ausriefen. Es handelte sich um eine Art Wettbewerb, wer die höchsten Schulden angehäuft hatte – ausgetragen über Videos, in denen teils Rechnungen über mehrere tausend Euro eingeblendet wurden.
Verbraucherschützer sehen Risiken gerade für junge Menschen
„Gerade bei jüngeren Klienten ist Klarna ein Standard-Gläubiger“, sagt dazu der Mannheimer Schuldnerberater Kreukler. „Das löst im Prinzip das ab, was bei vielen Älteren der klassische Versandhandel war.“ Nur dass eine Bestellung im Internet eben noch bequemer ist und die Option Zahlungsaufschub oder Ratenzahlung in vielen Online-Shops über wenige Klicks verfügbar: „Der Zahlungsaufschub verleitet im Online-Geschäft gerade junge Menschen zum schnellen Kauf“, kritisiert Helena Klinger, wissenschaftliche Referentin beim Hamburger iff.
Klarna Deutschland weist den Vorwurf, junge Menschen in die Überschuldung zu treiben, zurück. Der Anteil der Rechnungen, die an ein Inkassounternehmen übergeben wurden, liege unter einem Prozent, heißt es auf der Website des Unternehmens. Schon zu Jahresbeginn änderte Klarna außerdem seine Geschäftspolitik: Kunden wurde die Möglichkeit genommen, die Bezahlung einer Bestellung auf einen Monat ihrer Wahl zu verschieben. Stattdessen können sie nun nur noch zwischen einer Zahlung nach 30 Tagen und einer Aufteilung auf drei Raten entscheiden. Diese Lösungen sind gebührenfrei.
EU berät über strengere Vorschriften für „Buy now, pay later“
Überdies verwahrt sich Klarna gegen den Verdacht, die Zahlungsfähigkeit der Nutzer nicht hinreichend zu prüfen. „Kundinnen und Kunden mit unzureichender Kreditwürdigkeit lehnen wir ab.“
Eine generelle Verpflichtung zu einer Bonitätsprüfung besteht bei „Buy now, pay later“-Lösungen allerdings nicht – jedenfalls nicht bei Beträgen unter 200 Euro. Verbraucherschützer kritisieren zudem, oft würden die Kunden bei Annahme eines solchen Angebots nicht darüber aufgeklärt, was passiere, wenn sie die gesetzte Zahlungsfrist versäumten. „Wenn man nach der eingeräumten Zahlungsfrist von 14, 30 oder 60 Tagen die Rechnung nicht beglichen hat, kommen vielfach horrende Zinsen und Gebühren auf einen zu. Darüber wird nicht hinreichend informiert“, sagt iff-Expertin Klinger. Auf EU-Ebene wird derzeit darüber verhandelt, den Verbraucherschutz für Buy-now-pay-later-Angebote zu verbessern.