Baubürgermeister Peter Pätzold ärgert sich über gelegentlich fehlenden Gemeinsinn. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Bau des Musikgymnasiums in Stuttgart verzögert sich um ein Jahr. Anlass ist der Einspruch eines Nachbarn. Eher ein Einzelfall, sagt Baubürgermeister Peter Pätzold im Interview. Er bescheinigt den Stuttgartern großen Gemeinsinn.

Stuttgart - Im Gespräch mit unserer Zeitung zeigt Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) Verständnis für Nachbarn öffentlicher Neubauten.

Herr Pätzold, ein Schulumbau klingt zunächst nicht nach Komplikationen. Was dauert da so lang?
Für das Schulprojekt gibt es einen neuen Bebauungsplan, der von allen Gremien beschlossen wurde. Dabei wurden auch die Einsprüche der Nachbarn abgewogen. Was nun noch aussteht, ist der Bauantrag auf der Grundlage dieses Bebauungsplans. Ein Nachbar hat aber nun eine Rüge gegen den Bebauungsplan, insbesondere das Thema Lärmschutz, eingereicht. In Abwägung der damit zusammenhängenden rechtlichen Themen und deren Klärung kann sich eine Verzögerung ergeben. Deshalb musste die Stadtverwaltung den Terminplan anpassen – wir brauchen mehr Zeit.
Abwägung? Das klingt nicht nach juristisch haltbarer Entscheidung.
Wenn die Stadt baut, und es gibt Einsprüche, erteilt sich die Stadt die Baugenehmigung nicht selbst. Im Streitfall wechselt das Genehmigungsverfahren zum Regierungspräsidium. Wir gehen davon aus, dass die Planung genehmigungsfähig ist.
Gab es in jüngster Zeit weitere Blockaden durch Anwohner?
Wir hatten bei derzeit zehn weiteren Schulerweiterungen und -umbauten nur beim Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Bad Cannstatt Einsprüche, auch gegen die eine oder andere Kita, aber die Zahl hält sich zum Glück in Grenzen. Gibt es mehr Lärm auf den Außenspielflächen? Wo liefern Eltern ihre Kinder ab? Kommt mehr Verkehr ins Viertel? Wird das eigene Haus verschattet? Dazu gibt es oft Einsprüche.
Wie stark verzögern sich Bauten dadurch?
Man kann keine Durchschnittszahl nennen, das hängt immer davon ab, ob Rechtsmittel eingelegt werden. Aber bei Schulen ist es so, dass Um- und Auszüge immer gleich um ein Jahr in die nächsten Sommerferien verschoben werden. Da sollten wir in Zukunft mal prüfen, ob auch unterm Schuljahr ein Umzug möglich ist.
Ist das Bauen fürs Gemeinwohl insgesamt schwieriger geworden?
Es ist nicht ganz einfach in einer dicht bebauten Stadt. Wir sind gehalten, nachbarschaftliche Einwände, Stadtklima, Grünflächen und all dies abzuwägen, das braucht seine Zeit. Es ist nicht schwieriger geworden, aber durch die Nachverdichtung gibt es mehr Diskussionsthemen.
Haben Sie den Eindruck, die Stuttgarter seien intoleranter geworden?
Nein. Wir haben eine große Akzeptanz und Bereitschaft, solche öffentlichen Vorhaben zu fördern. Ich bin froh, dass die Bürgerinnen und Bürger hinter Projekten des Allgemeinwohls stehen. Natürlich stellen die Stuttgarterinnen und Stuttgarter auch Fragen zu öffentlichen Bauvorhaben und wollen vorher informiert werden.
Rechtsanspruch auf Kita, steigende Schülerzahlen – kommen Sie in die Zwickmühle?
Wir müssen für unsere Vorhaben werben. Der Ausbau der Kitas hilft jedem. Und mit Sanierungen wollen wir die Schulen auf den aktuellen Stand bringen; man will ja neue pädagogische Konzepte umsetzen können, oder man braucht neue Fachräume. Wir haben den Anspruch, unsere Schulen zukunftsfit zu machen. Das erfordert zusätzliche Bauten und damit das Verständnis der Nachbarn.
Wenn einer allein aber alles auf unbestimmte Zeit blockiert: Ärgert Sie das?
Natürlich fragt man: Muss das jetzt sein? Aber wir leben in einem Rechtsstaat, und es ist halt manchmal allzu menschlich. Das wusste schon Friedrich Schiller (Anm. d. Red.: „ Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.“ Wilhelm Tell in der gleichnamigen Tragödie von Friedrich Schiller).
Ist ein Gebäude für die Allgemeinheit ein höheres Gut als Schatten auf Nachbars Garten?
Nein. Das Nachbarschaftsrecht ist eben ein sehr hohes Recht. Laut Baugesetzbuch § 31 dürfen beispielsweise Befreiungen vom Mindestabstand nur gegeben werden, wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen vereinbar ist. Es ist also nicht so, dass die Stadt mit einer guten Idee alles außer Kraft setzen kann.
Ist die Bevölkerung generell dünnhäutiger, wehrhafter geworden?
In den letzten Jahrzehnten ja. Jeder sieht sein Recht als hohes Gut an. Damit geht die steigende Tendenz einher, einfach mal Einspruch einzulegen, auch wenn der Bebauungsplan alle demokratischen Instanzen durchlaufen hat. Manchen ist der Sinn dafür abhandengekommen, dass eine Stadt davon lebt, dass man manches gemeinsam trägt und eben auch in Kauf nimmt.
Was stört Bürger am meisten?
In erster Linie Lärm und Verkehr. Wenn Lärm droht, wenn zusätzlicher Verkehr zu befürchten ist, wenn die Parkplatzfrage aufgeworfen wird.
Kann man die Anwohner noch besser auf Vorhaben vorbereiten?
Die Frage ist: Erreichen wir alle? Wir stellen fest, dass es da Lücken gibt. Nicht jeder liest noch eine Tageszeitung. Wir suchen das Gespräch mit Nachbarn bei Veranstaltungen, über die Schulgemeinden, bei öffentlichen Sitzungen. Im Großen und Ganzen haben wir Unterstützung für den Ausbau der sozialen und kulturellen Infrastruktur in der Stadt. Weil jeder auch davon profitiert.