Tausend Unterschriften, eine geplante Demo – jetzt kommt der Kurswechsel des Landratsamts, das Eltern an den Schülerbeförderungskosten beteiligen will. Doch nicht alle profitieren davon
Erst war von sozialer Gerechtigkeit die Rede, dann von einem „Korrekturhinweis“ auf Instagram. Inzwischen ist klar: Schwerbehinderte Kinder, die eine Sonderbeförderung benötigen, sollen weiterhin keine Kosten tragen. Das hat das Landratsamt Rems-Murr in einem Schreiben an betroffene Eltern klargestellt.
Zuvor hatte eine geplante Änderung der Schülerbeförderungskostensatzung Empörung ausgelöst. Der Protest formierte sich schnell – Eltern um das Schorndorfer Ehepaar Nicole und Marc Hieber starteten eine Petition, sammelten mehr als 1000 Unterschriften, planten eine Demonstration. Das Ziel: Die geplante Einführung eines monatlichen Eigenanteils von 43 Euro pro Kind sollte für Kinder an Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) zurückgenommen werden. Zumindest für schwerbehinderte Kinder ist das nun gelungen.
7 Millionen Euro jährlich – und ein Sparkonzept, das Fragen aufwirft
Was war der Auslöser? Die Schülerbeförderung im Rems-Murr-Kreis ist teuer geworden. Rund sieben Millionen Euro jährlich verschlingt das System inzwischen, Tendenz steigend. Ein Teil dieser Summe entfällt auf Sonderfahrdienste, wie sie für Kinder mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen notwendig sind.
Doch auch außerhalb dieses Bereichs wächst der Kostendruck. Vor allem die Zahl der anspruchsberechtigten Schüler, die in abgelegenen Ortsteilen wohnen oder wegen überfüllter Klassen auf weiter entfernte Schulen verteilt werden, hat zugenommen. Der Landkreis will deshalb insgesamt mehr als 400.000 Euro jährlich einsparen. Ein kleiner, aber symbolisch aufgeladener Beitrag zur angestrebten Haushaltskonsolidierung in zweistelliger Millionenhöhe.
43 Euro pro Kind und Monat – nicht viel, aber für manche zu viel
Kernstück des Plans war die Einführung eines monatlichen Eigenanteils von 43 Euro für mehrere Gruppen:
- Familien mit drei oder mehr Kindern (für das dritte Kind)
- das zweite Kind in der Grundstufe
- und: Kinder an SBBZ mit Schwerpunkt geistige oder körperliche Entwicklung
Das Landratsamt argumentierte, dies sei „gerecht“, weil auch andere Familien bereits zur Kasse gebeten würden – ein „Solidarbeitrag“ zur Sicherung der öffentlichen Finanzen. Doch gerade Letzteres stellte sich nun als besonders heikel heraus.
Denn anders als ursprünglich kommuniziert, betrifft die Satzungsänderung nicht die schwerbehinderten Kinder, die eine Sonderbeförderung benötigen – also jene, für die ein Schulweg per Linienbus keine Option ist. Für sie bleibt die Kostenbefreiung bestehen, wie Simon Kistner, Dezernent für Mobilität, Umwelt und Bürgerservice im Waiblinger Landratsamt, nun klarstellt.
Instagram-Beitrag geändert – Landratsamt rudert öffentlich zurück
Noch Anfang Oktober hieß es in den offiziellen Kanälen des Kreises, dass auch Kinder an SBBZ künftig zahlen müssten – pauschal, ohne Unterscheidung. Erst nach massiven Rückmeldungen korrigierte der Kreis seinen Instagram-Beitrag. In der aktualisierten Fassung ist nun ausdrücklich von einer fortbestehenden Kostenbefreiung für schwerbehinderte Kinder die Rede, sofern ein entsprechender Antrag mit Nachweisen bis spätestens 31. Oktober gestellt wird.
Für Nicole Hieber und viele Mitstreitende aus dem Verein „Mein Herz lacht“ ist das eine späte Genugtuung. „Wir freuen uns riesig über diese Nachricht“, sagt sie. Aber sie fragt auch: „Warum war das nicht von Anfang an klar kommuniziert?“
Befreiung bleibt – aber Sparziel bleibt auch bestehen
Die Entscheidung hat Konsequenzen. Denn mit dem Ausschluss schwerbehinderter Kinder aus dem Kostenplan schrumpft die erhoffte Ersparnis des Landkreises. Wie viel nun tatsächlich übrig bleibt, ist unklar. Das ursprüngliche Einsparziel von rund 430.000 Euro jährlich wird man nur noch zum Teil erreichen können.
Zugleich bleibt der politische Druck hoch: Die Haushaltslage des Kreises ist angespannt, es droht ein strukturelles Defizit. Die neue Schülerbeförderungssatzung war eine der Maßnahmen, um gegenzusteuern. Und sie trifft nun andere Familiengruppen stärker: etwa kinderreiche Familien oder Haushalte mit zwei schulpflichtigen Grundschulkindern. Diese sollen ab 2026 zur Kasse gebeten werden.
„Unsere Sorgen wurden gesehen“ – aber Vertrauen ist nicht gratis
Für die betroffenen Familien ist die Rücknahme der Regelung ein Etappensieg. Die für den 20. Oktober vor der Kreistagssitzung in Schorndorf geplante Demonstration wurde abgesagt, ebenso die Petition gestoppt. Nicole Hieber spricht von einem guten Gefühl – trotz aller Aufregung im Vorfeld: „Unsere Sorgen und Nöte sind gesehen worden.“
Doch der Vorgang hat Spuren hinterlassen. Die Elterninitiative fragt sich: War das nur ein Kommunikationsfehler oder eine geplante Maßnahme, die durch öffentlichen Druck gestoppt wurde?
Elternprotest zeigt Wirkung: Soziale Gerechtigkeit im Fokus
Eines ist sicher: Das soziale Korrektiv hat gewirkt. Und es hat gezeigt, dass Engagement etwas bewegen kann, selbst in starren Verwaltungsstrukturen. Der Rems-Murr-Kreis wiederum steht vor einem Spagat: Einerseits muss er deutlich sparen. Andererseits darf soziale Gerechtigkeit nicht zum Sparopfer werden. Der Protest der Eltern hat das deutlich gemacht.