Sind unsere Schulen ein großes Versuchslabor? Ja, das könnte man fast meinen, sagt der Berliner Abiturient Anjo Genow (17), der Aktionen unter dem Motto #WirWerdenLaut gegen die „Durchseuchung“ an Schulen organisiert.
Berlin - Viele Schüler gehen jeden Morgen mit einem mulmigen Gefühl in die Schule: Die Infektionszahlen explodieren und „die Schutzmaßnahmen sind völlig unzureichend“, sagt der 17-jährige Abiturient Anjo Genow . Die Politik gehe bewusst das Risiko ein, dass sehr viele Kinder und Jugendliche mit dem Virus infiziert werden.
Herr Genow, die Zahl der infizierten Schüler steigt. Sie sprechen von einer Krisensituation an Schulen und einer Durchseuchung auf Kosten der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Virologen halten allerdings dagegen, dass Omikron nur selten einen schweren Verlauf verursacht.
Es ist richtig, dass die Gefahr für einen schweren Verlauf geringer als bei Delta ist. Experten sagen auch, die Durchseuchung ist aktuell keine sichere Option. Schüler:innen werden bewusst einem hohen Risiko zu erkranken ausgesetzt. Die Situation ist sehr belastend. Jeden Morgen testen sich Kinder in den Klassen und hoffen, dass kein zweiter Strich erscheint. Zudem ärgern sich viele Schüler:innen, dass wir uns zwei Jahre so stark eingeschränkt und geschützt haben und wir nun in die Schule gezwungen werden. Hier sind wir einem großen Infektionsgeschehen ausgesetzt und haben wenige Möglichkeiten uns zu schützen. Viele haben das Vertrauen in die Politik verloren.
„Wir fordern keine Schulschließung – uns geht es um sichere Bildung“
Fühlen Sie sich als Versuchskaninchen?
In gewisser Weise schon. Auf jeden Fall fragt man sich, ob Politiker selbst mal öffentliche Schulen besucht haben und die Bedingungen dort kennen. Die Schutzmaßnahmen sind völlig unzureichend. Und die Aussetzung der Quarantänemaßnahmen für Kontaktpersonen wie hier in Berlin ist ein Witz. Man geht bewusst das Risiko ein, dass sehr viele Kinder und Jugendliche mit dem Virus infiziert werden.
Welche Schutzmaßnahmen fordern Sie konkret?
Zunächst die bundesweite Umsetzung der Maßnahmen, die das RKI empfiehlt: ausreichend Luftfilter und kostenlose Masken. Dazu PCR-Pooltestungen statt unsicherer Schnelltests an allen Schulen. Außerdem sollte jede Schülerin und jeder Schüler selbst entscheiden, ob sie/er in Präsenz- oder digitalen Distanzunterricht gehen will und kann. Uns geht es um sichere Bildung.
Die psychischen Belastung im Homeschooling während des Lockdowns waren für viele enorm hoch. Schulschließungen haben fatale Folgen wie etwa Depressionen und Ess- und Angststörungen.
Wir fordern keine Schulschließungen, sondern eine Lösung für alle Schüler – auch für diejenigen, die sich im digitalen Distanzunterricht zuhause wohler fühlen. Sicherer Präsenzunterricht und Möglichkeiten für eng betreuten, gut strukturierten Distanzunterricht, schließen sich nicht gegenseitig aus. Eine neue Studie zeigt, dass der erzwungene Präsenzunterricht mit vielen Infektionen für SchülerInnen sehr belastend sein kann. Die Politik hatte zwei Jahre Zeit, sich auf die aktuelle Situation vorzubereiten. Viele Schutzmaßnahmen sind aber noch nicht umgesetzt. Omikron wird nicht die letzte Welle sein und wir sehen nicht, dass Vorbereitungen für zukünftige Wellen getroffen werden.
Schülerstreik? „Wenn sich die Lage verschlimmert, müssen wir handeln“
Wie ist der weitere Plan Ihrer Initiative – werden Sie wie die Schüler in Österreich auch streiken?
Wir haben nun unsere Forderungen in einem offenen Brief der Schülervertreter:innen an Politiker und die Kultusministerkonferenz geschickt. Wir versuchen, einen Streik abzuwenden und ins Gespräch zu kommen. Aber wenn sich die Lage weiter verschlimmert, müssen wir handeln. Wir planen, nach dem Vorbild Österreichs vorzugehen und schauen aktuell, was wir genau organisieren können.
Sie schreiben im April Ihr Abitur – wie kommen Sie mit den schwierigen Bedingungen zurecht?
Auf uns allen lag in den letzten zwei Jahren ein großer Leistungsdruck. Wir haben uns flexibel auf alle Veränderungen eingestellt. Der Lernplan müsste dringend angepasst und Abitur-Prüfungsaufgaben dezentral gestellt werden. Es gab zwar kleine Kürzungen im Lernplan, aber es wird noch immer versucht, das absolute Maximum aus uns herauszuholen. Das klappt in einer weltweiten Krisensituation schlecht.
Aktionssprecher
Abiturient
Anjo Genow (17) ist Schulsprecher am Otto Nagel Gymnasium in Berlin. Der Abiturient ist beratendes Mitglied des Landesschülerausschusses Berlin. Der 17-Jährige organisiert Aktionen unter dem Motto #WirWerdenLaut gegen die Präsenzpflicht und für sichere Schulen.