Die ICE-Flotte der Deutschen Bahn wird bis 2036 umgebaut. Foto: imago/Arnulf Hettrich

Der verlustreiche Staatskonzern will die Zahl seiner Fernzüge bis 2036 um ein Fünftel auf 428 verringern. Das zeigen vertrauliche interne Unterlagen.

Die Deutsche Bahn AG will ihren defizitären Fernverkehr mit deutlichen Einschnitten bei der Zugflotte profitabler machen. Die Zahl der Fernzüge soll bis 2036 um ein Fünftel sinken. Bis im Frühsommer waren für den Staatskonzern noch 509 ICE- und Intercity-Züge unterwegs, in elf Jahren sollen es nur noch 428 Züge sein. Zudem soll bis dahin die hohe Zahl der bisher 14 Modellreihen halbiert werden, um die enormen Instandhaltungs- und Reparaturkosten der Flotte zu senken. Das zeigen interne Unterlagen zur Flottenplanung, die unserer Redaktion vorliegen.

 

Die DB Fernverkehr AG mit ihren 21 000 Beschäftigten ist auch im ersten Halbjahr tief in den roten Zahlen gefahren, die operativen Verluste nach Zinsen haben sich aber zumindest von 304 auf 132 Millionen Euro verringert. Bisher betonte DB-Chef Richard Lutz gerne, dass der Staatskonzern insgesamt 12 Milliarden Euro in den Flottenausbau stecken werde, um ausreichend rollendes Material zu haben für die Verdoppelung der Fahrgastzahlen, die auch von der Politik bisher angestrebt wurde. Doch angesichts der enormen Zins- und Tilgungslasten sowie der hohen Abschreibungen für die neuen Züge drohen im Fernverkehr dauerhaft Defizite – und ein Debakel wie bei DB Cargo, falls die EU-Wettbewerbskommission auch beim Fernverkehr den Verlustausgleich durch den Konzern untersagen würde.

DB dementiert vertrauliche Informationen

Um das zu vermeiden, sieht die vertrauliche DB-Flottenplanung die Stornierung und Streckung von Zuglieferungen sowie verstärktes Leasing von Fahrzeugen vor. Einiges sickerte schon durch. Kurzzeitig sorgte ein „Spiegel“-Bericht für Aufregung, wonach der Konzern drastische Sparmaßnahmen im Fernverkehr erwäge. Unter anderem 21 000 der aktuell 265 000 Sitzplätze sollen demnach bis 2036 gestrichen werden, statt angestrebtem Wachstum also ein Minus von acht Prozent, berichtete das Magazin unter Verweis auf ein vertrauliches 98-seitiges DB-Papier.

Der DB-Konzern dementierte prompt und zündete einige Nebelkerzen. Die Botschaft: Manches ist falsch, anderes übertrieben, einiges altbekannt. So sinke die Sitzzahl auch, weil die letzten 42 Züge der hochbetagten IC-1-Flotte endlich ausrangiert würden. Die Zahl der ICE-Plätze dagegen werde bis 2036 sogar leicht auf 212 000 steigen – damit allerdings viel weniger als bisher geplant.

DB-Chef Richard Lutz versprach bisher die Verdoppelung der Fahrgastzahlen. Foto: Hannes P Albert/dpa

Tatsächlich gibt es bereits massive Einschnitte bei der Flottenmodernisierung. So brach der Konzern im Winter die europaweite und milliardenschwere Ausschreibung für den ICE 5 plötzlich ab. Dabei sollten die ersten 33 von 95 neuen Hochgeschwindigkeitszügen gleich bestellt werden und spätestens 2032 starten. Bei den Herstellern wie Siemens und Alstom, die dafür bereits Konzepte entwickelt hatten, war die Enttäuschung groß. Zumal die Großaufträge für die nächste ICE-Generation nicht kurzzeitig aufgeschoben, sondern dauerhaft vertagt sind – in der vertraulichen Flottenplanung bis Ende 2036, die unserer Redaktion vorliegt, kommt der ICE 5 überhaupt nicht mehr vor.

Der Grund dafür liegt nahe: Die hohen Kosten für weitere milliardenteure Zugbestellungen kann sich die DB Fernverkehr AG schlicht nicht leisten. Schon voriges Jahr waren bei der Konzerntochter die Schulden mit mehr als 6,4 Milliarden Euro höher als der Umsatz, die erdrückenden Zinslasten stiegen von 85 auf 150 Millionen Euro drastisch. Bereits für die Bezahlung der ICE-4- und ICE-3-neo-Lieferungen von Siemens mussten weitere hohe Darlehen beim Mutterkonzern aufgenommen werden, der sich seinerseits immer mehr bei Geldgebern am Kapitalmarkt verschuldet.

Konzentration auf wenige Baureihen

So verwundert es nicht, dass der Konzern seine bisher sehr heterogene und teils veraltete Fernzugflotte radikal straffen und verjüngen will, wie die vertraulichen Papiere zeigen. Die um ein Fünftel reduzierte Flotte von 428 DB-Zügen soll 2036 noch 244 000 Sitzplätze bieten. Der Konzern will sich auf wenige große Baureihen konzentrieren. Sieben Modellreihen sollen komplett wegfallen: Die letzten 42 Intercity 1 werden bis nächstes Jahr ausrangiert, die modernen 17 Intercity-KISS wurden kürzlich schon verkauft, die ersten der betagten 63 ICE-T-Neigezüge sind vorzeitig schon aufs Abstellgleis geschoben worden, und auch für einige ältere ICE 3 werden seit Monaten Interessenten gesucht.

Die DB-Flotte der Zukunft soll als größten Teil die 137 bereits vorhandenen ICE 4 umfassen, die bis zu tausend Passagiere transportieren können. Und die Zahl der international einsetzbaren ICE 3 (die Baureihen 407 und 408) soll sich bis 2036 auf 107 Züge verdoppeln. Die weiteren Lieferungen von Siemens werden aber um mehrere Jahre bis 2032 gestreckt, ursprünglich sollte eigentlich der 90. und letzte Zug spätestens 2028 in Betrieb gehen. Die offizielle Begründung lautet, dass die ICE 3 nun auch für den Einsatz in Ländern wie Polen ausgerüstet werden.

Kaum zwei von drei ICE pünktlich

Zudem setzt der Konzern weiter auf die vielfach bewährten und modernisierten ICE 1. Die 54 Züge wurden noch zu Zeiten der Bundesbahn entwickelt und gebaut – und werden 2036 dann mehr als 45 Jahre unterwegs sein. Die vertrauliche Planung sieht für die Flotte 2036 zudem die 70 IC-2-Doppelstöcker von Alstom (früher Bombardier, Baureihen 147 und 148) vor, die schon weitgehend im Bestand sind, sowie 60 neue Reisezüge ICE-L von Talgo, deren Lieferung aus Spanien sich allerdings ebenfalls verzögert.

Ein DB-Sprecher will die vertraulichen Planungen weder dementieren noch bestätigen: „Die Flottenstrategie von DB Fernverkehr hat das klare Ziel, die Flotte zu verjüngen und zu modernisieren, um den Betrieb zu stabilisieren.“ Dazu gehöre neben dem Kauf von Neufahrzeugen und der Modernisierung von Bestandsfahrzeugen, ältere und störanfällige Fahrzeuge konsequent auszumustern. Das sei „wirtschaftlich zielführend und macht den Fernverkehr betrieblich stabiler“. Verlässlicherer Schienenverkehr ist dringend nötig: Im ersten Halbjahr kamen kaum zwei von drei ICE halbwegs pünktlich ans Ziel – im internationalen Vergleich ein katastrophal schlechter Wert.