Friedrich Ani. Foto: Isabelle Grubert

Ein Jugendroman, der polarisiert: „Die unterirdische Sonne“ erzählt von sechs Kindern, die, in einem Keller eingesperrt, von ihren Entführern misshandelt werden; ein Happy End scheint unmöglich. Der Münchner Autor Friedrich Ani geht mit seinem neuen Buch an die Grenzen des Erträglichen.

Ein Jugendroman, der polarisiert: „Die unterirdische Sonne“ erzählt von sechs Kindern, die, in einem Keller eingesperrt, von ihren Entführern misshandelt werden; ein Happy End scheint unmöglich. Der Münchner Autor Friedrich Ani geht mit seinem neuen Buch an die Grenzen des Erträglichen.
Stuttgart - Herr Ani, wie alt muss man sein, um die Lektüre Ihres neuen Buchs aushalten zu können?
Der Verlag bietet das Buch für Leser ab 16 Jahren an, aber ich denke, dass man es schon als 14- oder 15-Jähriger verstehen kann. Das hängt davon ab, was man in diesem Alter sonst liest. Aber ich glaube nicht, dass die Lektüre jugendgefährdend ist.
Mir persönlich ist sie schwergefallen. Sechs Kinder, eingesperrt in einem Keller, misshandelt: Das fand ich beim Lesen sehr beklemmend, psychisch wie physisch. War das Ihr Ziel beim Schreiben, den Leser diesem Ausgeliefertsein auszusetzen?
Selbstverständlich. Als ich mich entschlossen hatte, diese Geschichte zu erzählen, wollte ich auch alles daransetzen, dass man als Leser ganz bei den Jugendlichen ist und deren Entwicklung von Todgeweihten zu Helden mitverfolgt. Das ist ein sehr schmerzhafter Weg. Den kann man mitgehen, wenn man sich dem Geschehen aussetzt. Wenn man als Leser mit diesen Figuren fühlt, hält man das ganz gut aus.
Konnten Sie denn gut schlafen, während Sie diese Geschichte geschrieben haben?
Nein. Ich wollte eine Geschichte erzählen, die auch mich umtreibt und mir wichtig ist.
Es gab in jüngster Zeit ja viele Verbrechen, in denen Kinder und Keller Hauptrollen spielten. Hat Sie eines davon konkret inspiriert?
Nicht ein bestimmtes. Aber mir ist aufgefallen, dass Berichte über Entführungen und Interviews mit Opfern solcher Misshandlungen mehr denn je in die Öffentlichkeit gekommen sind. Was nicht bedeutet, dass sich die Zahl der Opfer verringert hat. Natürlich habe ich mich mit diesem Thema sehr intensiv beschäftigt. Von vornherein war es für mich klar, dass ich nicht aus der Erwachsenenperspektive schreibe, sondern ausschließlich die Sicht der Jugendlichen einnehmen wollte.
Im Keller der „Unterirdischen Sonne“ sitzen sechs Kinder unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Wie kamen Sie gerade auf diese Personenkonstellation?
Das hat sich im Lauf der Vorbereitung einfach so ergeben. Ich suche die Figuren nicht aus, sondern sie kommen beim Schreiben zu mir. Ich entwickle meine Geschichten nicht am Reißbrett. Die Figuren entstehen von selbst und kristallisieren sich ganz langsam. Es hätten auch sechs Jungen sein können...
Wie haben Sie für Ihr Buch recherchiert? Mit Material von konkreten Fällen wie dem von Natascha Kampusch?
Ich habe mich mit Psychologen über diese Fälle unterhalten und habe viele Berichte über das Thema gelesen. Aber diese Recherche ist wie bei allen Büchern nur ein kleiner Teil dessen, was man wirklich schreibt. Wenn dieses Thema mich selbst nicht so intensiv bewegt hätte, hätte ich keinen Roman daraus gemacht.
Was hat der Leser über den puren Voyeurismus hinaus mit solchen Schicksalen zu tun?
Dass er Empathie entwickelt mit Menschen, die in höchster Not sind. Vielleicht kann er so begreifen, dass es in einer schier aussichtslosen Situation möglich ist, in sich einen Überlebenswillen herzustellen und dann auch tatsächlich auszubrechen und die Not zu überwinden. Letztendlich ist „Die unterirdische Sonne“ kein Buch über Gewalt, sondern über Liebe, über Zuneigung und über den unbedingten Willen, am Leben bleiben zu wollen.
Ihr Buch spielt mit Leerstellen. Über das, was die Kinder oben im Haus erleben, dürfen sie unten nicht sprechen. Wollten Sie nicht über Unsagbares schreiben, oder ist das ein Mittel, um die Spannung hoch zu halten?
Es war für mich von Beginn klar, dass ich die ganze Geschichte aus der Sicht der Jugendlichen erzählen wollte. Ich hätte sehr viel Material und Möglichkeiten gehabt, auch die Welt der Erwachsenen zu erzählen. Aber ich habe das vollkommen ausgeblendet, weil ich wollte, dass man sich als Leser ausschließlich auf die Seite der Jugendlichen schlägt. Wie sie mit dieser Situation umgehen, reizte mich an der Erzählung.
Ihr Buch ist wie ein Kammerstück angelegt. Könnten Sie sich „Die unterirdische Sonne“ auf der Theaterbühne vorstellen?
Ja, das könnte ich mir gut vorstellen. Es ist ja auch kein Zufall, dass der Roman in Akte unterteilt ist.
Am Schluss weitet sich die auf den Keller konzentrierte Erzählperspektive. Wieso lassen Sie Ihre Geschichte nicht an der Kellertür enden?
Dass den Jugendlichen ihre Befreiung gelingt, ist ja ein entscheidender Schritt – natürlich verbunden mit sehr viel Gewalt, die auch zeigen soll, dass man aus so einer Situation nicht unbeschadet herauskommt. Ich hatte am Anfang die Idee, dass sich die Jugendlichen befreien und in dem Haus ihrer Entführer bleiben. Beim Schreiben habe ich aber festgestellt, dass sie von dort weg müssen. Es muss so scheinen, als wären sie ganz frei. Aber das werden sie nie wieder sein.
Ist ein Mensch nach solchen Erlebnissen fähig, wieder ein normales Leben zu führen?
Nein, das glaube ich nicht. Die Jugendlichen in meinem Buch melden sich nach ihrer Befreiung ja nicht einmal bei ihren Eltern.

Friedrich Ani: Die unterirdische Sonne. Verlag cbj, München. 336 Seiten. 16,99 Euro. Ab 16 Jahren.