Beate Schwarz und Jörg Kleinbeck am Grab von Eugen Gottlob Winkler. Foto: Christian Hass

Eugen Gottlob Winkler wäre am 1. Mai 100 Jahre alt geworden. Der Schriftsteller aus den 1930er Jahren hat seine Kindheit in Wangen verbracht.

Wangen - Er war kein Goethe, kein Schiller und auch kein Thomas Mann – mit gerade mal 24 Jahren nimmt sich Eugen Gottlob Winkler das Leben, das Ende einer jungen Schriftstellerkarriere.

 

In Fachkreisen ist der Name Winkler zwar ein Begriff, auch in Kindlers Literatur-Lexikon findet man einen Eintrag über ihn. Doch für den Großteil der Bevölkerung dürfte er ein Unbekannter sein. Selbst vielen Wangenern sagt der Name vermutlich nichts. Und das, obwohl Winkler, der am 1. Mai 100 Jahre alt geworden wäre, auf deren Friedhof beerdigt wurde. 15 Jahre lang hat der Dichter in Wangen gelebt, seine gesamte Kindheit hat er dort verbracht.

Doch wer sich in Wangen auf die Spuren von Winkler begibt, der muss genau hinschauen. Das Grab auf dem Friedhof ist mit einem gewöhnlichen Stein geschmückt. Bis auf den Zusatz Dr. phil. vor dem Namen des Bestatteten deutet nichts daraufhin, dass dort ein Schriftsteller aus den 1930er Jahren begraben liegt. Und auch am ehemaligen Wohnhaus der Winklers in der Salacher Straße 5 sucht man vergebens nach einer Gedenktafel oder einem anderen Hinweis auf den Dichter.

Während Winkler im Leben der meisten Wangener keine Rolle spielt, gibt es eine Bewohnerin, die seit Jahren für sein Andenken kämpft.

Eugen Gottlob Winkler wird 1912 in Zürich geboren

Der Schriftsteller trat mehr oder weniger zufällig in das Leben von Beate Schwarz. Das war Mitte der 1990er Jahre, damals wurde die heute 64-Jährige zum ersten Mal auf das Grab auf dem Wangener Friedhof aufmerksam. Ihre verstorbene Schwester liegt nicht weit davon entfernt. Schwarz sagte der Namen Winkler etwas, bei einer Veranstaltungsreihe über Stuttgarter Dichter hatte sie ihn schon einmal gehört. Ihre Neugierde war geweckt und Schwarz, die damals noch als Redaktionsassistentin für die Kulturredaktion des SWR arbeitete, fing an zu recherchieren.

Eugen Gottlob Winkler wird 1912 in Zürich geboren. Drei Jahre später zieht er mit seinen Eltern nach Wangen. Ein biografisches Detail, das er mit Schwarz gemein hat. Auch sie ist als Kind mit ihren Eltern in den Stadtbezirk gezogen.

1930 macht Winkler am Reformrealgymnasium, dem heutigen Zeppelin-Gymnasium, Abitur. Anschließend beginnt er ein Romanistik-Studium in München. Im November 1933 wird Winkler von den Nazis verhaftet. Ein zehnjähriges Mädchen denunziert ihn. Sie behauptet, er habe ein Wahlplakat der NSDAP beschädigt.

Kleinbeck ist Buchhändler und lebt im Stuttgarter Osten

Der junge Schriftsteller wird eingesperrt, kurze Zeit später aber mangels Beweisen wieder freigelassen. Sein literarisches Werk, Gedichte und Prosa, aber auch Essays, die etwa in der Frankfurter Zeitung erscheinen, entsteht hauptsächlich in den Jahren 1935 und 1936. Eine seiner Schriften, das Gewächshaus, spielt in der Cannstatter Wilhelma.

1936 nimmt sein Leben ein tragisches Ende. Mit gerade einmal 24 Jahren entscheidet sich Winkler aus Angst vor einer erneuten Verhaftung durch die Nazis für den Selbstmord. Seine Mutter lässt ihn nach Wangen überführen, wo er an der Seite seines Vaters beerdigt wird.

Nachdem Beate Schwarz Winklers letzte Ruhestätte auf dem Wangener Friedhof entdeckt hatte, kümmerte sie sich um das Grab. „Ich habe es immer ein wenig hergerichtet“, erzählt die 64-Jährige. Das Grab sei von der Stadt nur sehr spärlich bepflanzt worden.

Inzwischen ist die letzte Ruhestätte des Dichters gar nicht mehr bepflanzt, die Einfassung wurde entfernt und statt Blumen wächst an dieser Stelle jetzt Gras. Die Stadt habe das Grab ganz einebnen wollen, erzählt Schwarz. Doch die Wangenerin setzte sich dafür ein, dass Winkler ein Ehrengrab bekam. Wäre der Schriftsteller etwa auf dem Pragfriedhof beerdigt worden, wäre sein Grab eines von vielen, findet Schwarz. Aber hier in Wangen sei es schon etwas Besonderes.

Doch warum setzt sich die ehemalige SWR-Mitarbeiterin so für den doch recht unbekannten Dichter ein? Sie frage sich oft, was wohl aus Winkler geworden wäre, wenn er seinem Leben nicht so früh ein Ende gesetzt hätte, erklärt Schwarz.

Eine Frage, die auch Jörg Kleinbeck seit Jahren umtreibt. Denn Schwarz ist nicht die einzige, die plötzlich über Winkler stolperte und den jungen Schriftsteller dann nie wieder ganz loslassen konnte.

Kleinbeck, der Buchhändler ist und im Stuttgarter Osten lebt, veröffentlicht Anfang der 1990er Jahre in der Stuttgarter Osten Lokalzeitung einen Artikel über Winkler. Eine Frau meldet sich und erzählt ihm, dass der Dichter einer der engsten Freunde ihres Vaters gewesen sei. Briefe und Zeichnungen des Schriftstellers befinden sich in ihrem Besitz. Sie stellt sie Kleinbeck zur Verfügung.

Der Buchhändler ist von dem jungen Dichter sofort fasziniert. Ein Mensch, der sich ganz den schönen Künsten, dem Malen, dem Musizieren und dem Schreiben widmete – und das während des Nationalsozialismus, einer Zeit, in der es für künstlerische Individualisten nicht nur keinen Platz gab, sondern auch sehr gefährlich werden konnte.

„Dieser Mensch hat mein Leben verändert“, sagt Kleinbeck. Der Buchhändler fasst einen Entschluss, er fragt seinen Vorgesetzten, ob er einen Tag in der Woche freihaben kann, wenn er dafür an allen übrigen Tagen länger arbeitet. Der Chef gibt grünes Licht, seither verbringt Kleinbeck so gut wie jeden Freitag im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Der 60-Jährige arbeitet an einer Bibliografie über Winkler.

Denn auch wenn Eugen Gottlob Winkler kein Goethe oder Schiller war – im Leben derer, die seine Werke und sein tragisches Schicksal kennen, scheint der Dichter bis heute deutliche Spuren zu hinterlassen.